Fred Bartu gilt als einer der besten Kenner Singapurs. Während vieler Jahre hat er für die Neue Zürcher Zeitung aus dem grünen Stadt-Staat berichtet. Seine persönlichen Erfahrungen geben Stoff für eine Menge wertvoller Reisetipps.
Wer mit dem Schiff im Hafen von Singapur ankommt, dem präsentiert der Stadtstaat zuerst einmal sein westliches Gesicht: eine hochmoderne Skyline mit Wolkenkratzern, von denen viele auf Land stehen, welches erst in den letzten Jahrzehnten dem Meer mit hohen Kosten abgetrotzt wurde. So liegt heute die Beach Road, diese ehemals am Meeresufer verlaufende Strandpromenade, weit vom Wasser entfernt. Und so wie sich Singapur flächenmässig vergrösserte, so wandelte es sich: aus dem einstigen «Kalkutta Südostasiens» wurde ein moderner und wirtschaftlich erfolgreicher Stadtstaat, der in Sachen Wettbewerbsfähigkeit weltweit an vorderster Stelle steht. Wer hier das traditionelle Asien sucht, das Asien der Dritten Welt, wird enttäuscht sein. Trotzdem bietet die Stadt einiges, das man bei einem Kurzaufenthalt entdecken kann. Um den Besuch optimal zu nutzen, empfiehlt es sich aber, einen oder zwei Schwerpunkte aus dem Angebot auszuwählen: «Kultur und Geschichte», «Fauna und Flora» sowie «Gastronomie und Shopping» lauten die gängigsten Themen. Natürlich liesse sich auch «Spass und Unterhaltung» aufs Programm setzen. Denn Singapur, lange Zeit ein Holzboden für Savoirvivre und Lebensfreude, hat sich in den letzten Jahren auch in diesem Bereich tiefgreifend gewandelt. Neuerdings kann man nicht nur den unlängst eröffneten Freizeitpark von Universal Studios auf der Insel Sentosa besuchen, sondern auch dem Glücksspiel frönen. Entweder im Resorts World Sentosa oder im Kasino, Hotel und ShoppingKomplex Marina Bay Sands, welcher mit Land und Baukosten von mehr als fünf Milliarden USDollar als der kostspieligste Glücksspieltempel der Welt gilt. Und um es vorwegzunehmen: Ein Besuch der Aussichtsplattform auf der Dachterrasse des Marina Bay Sands gehört ins Programm jedes SingapurBesuchers. Für 20 lokale Dollar kann man sich dort hinauf transportieren lassen und hat an klaren Tagen eine prächtige Sicht auf Singapur und die umliegende Region.
Kultur und Geschichte
Wer sich auf die Suche nach den Ursprüngen Singapurs macht, stösst rasch auf den Namen von Sir Stamford Raffles, dem Mitarbeiter der britischen EastIndiaCompany, der 1819 den Grundstein zur späteren britischen Kolonie Singapore legte. Im Gegensatz zu anderen Nationen, die ihre koloniale Vergangenheit gerne ausblenden, ist Raffles im modernen Singapur noch immer präsent. Schulen, ein Hotel, ein Untergrundbahnhof und eine Strasse tragen seinen Namen. Auch Englisch ist nach wie vor die Lingua franca Singapurs und somit die neutrale Sprache einer Stadt, in der sich zahlreiche Kulturen und Volksgruppen begegnen und zunehmend auch mischen. Neben den drei wichtigsten Volksgruppen – Chinesen, Malaien und Indern – ist Singapur Heimat unzähliger Einwanderer aus Europa, Australien und Amerika sowie aus Japan, Persien und Armenien. Weil die verschiedenen Gruppen unter der britischen Kolonialherrschaft voneinander getrennt lebten, lassen sich ihre kulturellen und historischen Spuren noch immer zurückverfolgen: im Chinatown der Chinesen, im Little India der Inder und im Bezirk Geyland der Malaien. Und weil die Chinesen heutzutage mit über 60 Prozent der Bevölkerung die dominante Mehrheit bilden und auch Hochchinesisch (Mandarin) immer einflussreicher wird, tut der Besucher gut daran, sich einerseits auf Chinatown zu konzentrieren und andererseits der typischen lokalen PeranakanKultur – einer interessanten Mischung aus Chinesen und Malaien oder aus Chinesen und Indern – Aufmerksamkeit zu schenken. Beide sind ein zentraler Bestandteil der Singapurer Seele. Das heutige Chinatown ist allerdings nur noch ein Schatten des einstigen Chinesenviertels, welches bis zu Beginn der 1980er Jahre existierte. Wer an den schön restaurierten Shop Houses vorbeispaziert und das Angebot an touristischer Massenware beobachtet, kann sich kaum vorstellen, wie es hier noch vor drei Jahrzehnten zuging. Deshalb empfiehlt sich ein Besuch des Chinatown Heritage Centre an der Pagoda Street 48, einem traditionellen chinesischen Haus, in dessen Inneren einem in unterhaltsamer Weise ein Einblick in das Leben vor noch gar nicht so langer Zeit gewährt wird. Wer nun eine kleine Rast und Erholung benötigt, dem sei ein Besuch des in unmittelbarer Nachbarschaft angesiedelten MassageSalons empfohlen (Pagoda Reflexology Centre, 44B, Pagoda Street), der nur über einen etwas mysteriös wirkenden Treppengang zu erreichen ist. Obschon die Atmosphäre etwas an Suzie Wong und das RotlichtMilieu erinnert, erwarten den Gast dort durchaus gut geschulte Therapeutinnen, die einem für einige Singapore Dollar echte Entspannung vermitteln. Erstaunen mag, dass inmitten des Chinesenviertels auch ein HinduTempel und eine Moschee stehen. Sie sind klare Zeichen für die religiöse Toleranz, die Singapur auszeichnet – und ohne die ein friedliches Nebeneinander der diversen Kulturen gar nicht denkbar wäre. Weil die Volksgruppen sich auch vermischten, entstand im Einzugsgebiet der Strasse von Malakka eine eigenständige Kultur: die der Peranakan. Zu sehen sind deren Traditionen im nahen PeranakanMuseum an der Armenian Street 39. Untergebracht in einer ehemaligen Schule vermittelt die Ausstellung einen guten Einblick in das Leben dieser Menschen, die durchaus darunter zu leiden hatten, dass sie «Mischlinge» sind. «Chinesen ohne Chinesen zu sein», lautete etwa ihre despektierliche Bezeichnung. Mindestens so spannend wie das PeranakanMuseum sind auch zwei weitere Kulturzentren: das Asian Civilisations Museum und das National Museum. Letzteres gibt einen guten Überblick über die Entwicklung Singapurs, welche seit dem Erreichen der Unabhängigkeit im Jahre 1965 mit unglaublicher Geschwindigkeit und Gradlinigkeit verlief. Wer sich in die Kolonialzeit zurückversetzen will, dem sei auch ein Besuch des Raffles Hotels empfohlen, das sich seit seiner Renovierung vor gut 20 Jahren in neuer Frische präsentiert. Oder aber eine Visite des vornehmen Fullerton Hotels, das in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude aus der Kolonialzeit untergebracht ist. Von dort ist es nur ein Katzensprung zum Singapore River, wo sich Abend für Abend Einheimische und Gäste ein Stelldichein geben: bei Musik, Unterhaltung und in unzähligen Restaurants und Bars, in denen man Gerichte und Drinks aus fast der ganzen Welt findet.
Fauna und FloraIn eine ganz andere Welt eintauchen kann der Besucher im Botanical Garden – seit langem ein touristisches Wahrzeichen der Stadt. Dank des tropisch feuchten Klimas gedeihen hier Pflanzen und Blumen von orientalischer Schönheit und teils auch von gigantischer Grösse. Besonders die OrchideenSammlung ist eine Augenweide für Blumenliebhaber und Hobbyfotografen. Natürlich haftet der parkähnlichen Anlage etwas Grossstadtflair an. Das gilt auch – und in noch weit grösserem Ausmass – für The Gardens by the Bay, einem neuen, rund 100 Hektaren grossen Botanischen Garten im südlichen Stadtviertel South Bay, der ganz auf aufgeschüttetem Land liegt und sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum «Marina Bay Sands»Konglomerat befindet. Diese heuer fertigerstellte Anlage, ein Mix aus Naturlehrpfad und ökologischem Freizeitpark, hat sich rasch zu einem Besuchermagnet entwickelt. Bereits nach acht Wochen konnte man den einmillionsten Besucher begrüssen. Ein Highlight bilden die 18 MammutBäume aus Metall und Beton, die bis zu 50 Meter hoch in den Himmel ragen. Sie sind innen mit Orchideen, Farnkraut, Epiphyten oder Bromelien ausgestattet, was eine unglaubliche Farbenpracht erzeugt. Ausserdem kommt auch die Technik zum Zug. So spenden diese majestätischen Kunstbäume nicht nur Schatten, sondern sie produzieren dank integrierten Solarzellen auch Strom für die Beleuchtung und die Kühlsysteme der Gewächshäuser. Womit gesagt ist, dass dieser doch recht künstlich wirkende Park ganz und gar ein Kind des 21. Jahrhunderts ist. Er passt perfekt in die futuristische Umgebung, welche diesen Stadtteil auszeichnet. Es lohnt sich, für den Besuch des Gartens genügend Zeit einzuplanen. Für die Besichtigung der Aussenanlagen wird kein Eintritt verlangt, während die diversen Attraktionen, wie etwa der Dome mit dem künstlichen Wasserfall, kostenpflichtig sind.
Wer sich im wahren Dschungel umsehen möchte, dem sei ein Ausflug ins Bukit Timah Reservat oder aber ins McRitchie Reservoir empfohlen. Hier erlebt man ein letztes Stück weitgehend unbelassener Natur und kann sich vorstellen, wie sehr die tropische Natur noch im Singapur der 1930erJahre präsent war, als hier der letzte frei lebende Tiger erlegt wurde. Andere Attraktionen sind der Singapore Zoo und der Singapore Bird Park, zwei Institutionen, die sich durch eine besonders artgerechte Tierhaltung auszeichnen und deren Besuch sich auf jeden Fall lohnt. Unzählige Vorstellungen geben Einsicht ins Leben der Tiere. Besonders empfehlenswert ist die Bootsfahrt im Zoo entlang des Upper Seletar Reservoirs, auf der die Besucher an Mangroven vorbei tuckern und die Zivili sation für einen Moment weit hinter sich lassen. Weniger ruhig, dafür spektakulärer geht es auf der Night Safari zu, welche in unmittelbarer Nähe zum Zoo angeboten wird. Diese Attraktion ist einzig artig, wobei man sich wünschte, die Trams mit den Besuchern an Bord würden lang samer durch den nächtlichen Park fahren und dem Gast mehr Zeit zum Beobachten der Tierwelt lassen. Allein, das ist wegen des straffen Fahrplans und des meist hohen Andrangs kaum möglich. Insofern könnte man sich dieses Spektakel durchaus schenken und etwa durch einen Besuch eines FoodCourt, eines Essmarktes, ersetzen.
Essen und Shopping
Denn für die Einheimischen gibt es nichts Wichtigeres als Essen und Shopping. Das Angebot ist in beiden Bereichen umwerfend und solch raschem Wandel unterworfen, dass man kaum brauchbare Empfehlungen abgeben kann, ohne von der Realität überholt zu werden. Deshalb nur so viel: Wer sich einen raschen Überblick über die Singapurer Küche machen will, besuche das Restaurant Straits Kitchen im Grand Hyatt Hotel. Hier wird ein Buffet angeboten, an dem beste chinesische und malaiische Küche mit indischer konkurriert. Man bringt am besten einen Bärenhunger mit. Für den kleineren Appetit empfiehlt sich der FreiluftMarkt Newton Circus, ein Evergreen in der Singapurer Gastroszene, wo man lokale Krea tionen unter freiem Himmel geniessen kann. Für Anfänger geeignet: Hainanese Chicken Rice oder Chicken Satay, gebratene Hühnchenstücke in kräftiger ErdnussSauce. Dazu ein Tiger Beer – und der Magen knurrt nicht mehr. Eine durchaus valable Alternative zum offenen Essmarkt bildet das Untergeschoss des Shoppingcenters Vivo City. Der Abstecher in dessen FoodCourt, wo kulinarisch fast ganz Asien präsent ist, lohnt sich. Ähnlich spannend ist auch ein Besuch der einige Stockwerke höher liegenden Food Republic, ein moderner Essmarkt in bester SingapurTradition, der hält, was sein Name verspricht.
Von Friedemann Bartu