Wo früher Schlafmohn für die Opiumgewinnung angebaut wurde, wachsen heute Erdbeeren.
Als Wachara Wangwanawat sechs oder sieben Jahre alt war, ganz genau weiss er das heute nicht mehr, kam Bhumibol Adulyadej der Grosse, Seine Majestät der König von Thailand, Rama IX., in das kleine Dorf Doi Pui in den Bergen westlich von Chiang Mai. Noch heute huscht ein verzücktes Strahlen über das Gesicht des Bergbauern und seine Augen glänzen, wenn er vom Besuch des Königs spricht. «Aus seinen Händen habe ich einen Snack erhalten», sagt er, «es war ein ganz besonderer Moment in meinem Leben.» Der 51Jährige sitzt vor einer Tasse Tee auf der Terrasse seiner einfachen Hütte und lächelt selig.
Damals, als Wachara Wangwanawat noch klein war, war die Gegend um sein Heimatdorf berühmt für ihren Opiumanbau. Um die geduckten Hütten des Dorfes blühten leuchtend rote Felder. Der Schlafmohn war eine der wichtigsten Einnahmequellen der Hmong. Wie die anderen Bergvölker, die hier im Norden Thailands entlang der Grenzen zu Myanmar und Laos leben, pflegten die Hmong über Jahrhunderte ihre Traditionen. Sie unterscheiden sich deutlich von den Thais.
«Ich erinnere mich an den süssen Duft von Opium», erzählt der Bergbauer, «die Alten lagen mit den Pfeifen in den Hütten wie gelähmt.» Die Droge zerstörte das Leben vieler Bewohner von Doi Pui.
Dem König lagen die Bergvölker schon immer besonders am Herzen. Der Monarch ersann einen Plan, um den Teufelskreis des Opiums aus Armut, Sucht und Kriminalität zu durchbrechen. Er liess Strassen und Schulen in der entlegenen Gebirgsregion bauen. Die Bauern sollten künftig Obst, Gemüse und Blumen statt Opium anbauen. Zielstrebig setzte der Monarch seine «Royal Projects» in die Tat um. «Nach der Ankunft des Königs hat sich in Doi Pui alles verändert», sagt Wachara.
Mag sein, dass es den König schon deshalb immer wieder in den Norden zog, weil er selbst seine Kindheit in den Alpen verbrachte. Die Gebirgsregion an der Grenze zu Myanmar wird auch «Thailändische Schweiz» genannt. Von 1933 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs lebte Bhumibol in Lausanne. Nach der Siamesischen Revolution war seine früh verwitwete Mutter mit ihren drei Kindern in die Schweiz gezogen. Der Prinz lernte Deutsch, Französisch und Latein auf einem humanistischen Gymnasium. Er liebte Bergsteigen und Skifahren. Als junger Mann erkundete er die Umgebung des Genfersees mit seinem Fiat Topolino.
Im Bergdorf Doi Pui hat sich viel verändert seit dem Besuch des Königs. Heute ziehen sich Litschi-Plantagen die Berghänge hinauf. Auf den Feldern, wo früher der Schlafmohn blühte, wachsen Erdbeeren und Kartoffeln. Wachara blickt nun von seiner Terrasse auf einen kleinen Park am Hang. Zwischen Hyazinthen und Weihnachtssternen flackert dort ein weissroter Blütenschauer: Schlafmohn. «Für die Touristen», erklärt der Bergbauer.
Ein Pärchen aus Bangkok in merkwürdiger Tracht posiert neben dem winzigen Opiumfeld für Fotos. Der Mann trägt eine mit Perlenschnüren, Glöckchen und Muscheln üppig dekorierte Kopfbedeckung und einen mit Silbermünzen behängten Brustschmuck über dem knallbunten Lendenschurz. Seine Freundin steckt in einem nicht weniger farbigen Kostüm. Die beiden Hauptstädter haben sich im Dorf für ein wenig Geld traditionelle HmongTrachten geliehen und amüsieren sich sichtlich beim gegenseitigen Fotografieren. Auch die Dorfbewohner tragen die traditionellen Kleider. «Manche haben die Trachten nicht so gerne an», verrät Wachara, «aber so mögen es die Touristen.»
Die «Royal Projects» locken Besucher aus ganz Thailand in die Berge des Nordens. Auf den Spuren der Grosszügigkeit ihrer königlichen Familie zu reisen, ist ein regelrechter Tourismuszweig. Doch auch für ausländische Reisende hat die Gegend einiges zu bieten. In der verwunschenen Gebirgslandschaft entdecken sie eine reizvolle Ferienregion der Einheimischen im Gegensatz zum Massentourismus in Phuket, Pattaya und Ko Samui.
Entlang der Strassen in Richtung des Goldenen Dreiecks ist das Konterfei des Königs allgegenwärtig. Von mit Blumen und weissgelben Girlanden geschmückten Plakaten grüsst der Monarch mal mit nachdenklichem Akademikerblick, mal etwas steif im goldenen Königsmantel. Daneben flackern zwischen den blauweissroten Nationalflaggen unzählige gelbe Fähnchen. Gelb ist die Farbe der königlichen Familie.
Viele Königstreue fahren hinauf nach Doi Angkhang direkt an der Grenze zu Myanmar. Hier windet sich die Strasse durch dicht bewaldetes Bergland. Das üppige Grün des Dschungels ist gesprenkelt vom Blütenweiss der Orchideenbäume und den leuchtend gelben Kronen der Schneckensamenbäume. An manchem Hang klebt ein Dörfchen der Hmong, Lahu oder Akha, umgeben von kleinen Obst und Gemüseplantagen. Dahinter erheben sich mächtige Bergkämme, die auf fast 2000 Meter ansteigen.
«Für viele Thais ist die Schweiz ein Traumreiseziel», sagt Amornlak Panyala, «die meisten können sich einen Urlaub dorthin aber nicht leisten. So kommen sie hierher nach Doi Angkhang. Vor allem in den heissen Monaten, um frische Luft zu schnappen.» Die Gegend gehört zu den Lieblingsorten der einheimischen Reiseleiterin. Sie freut sich, wenn sich auch ausländische Touristen auf die Spuren der königlichen Familie begeben.
In Doi Angkhang liess der König 1969 sein erstes Landwirtschaftsprojekt in die Tat umsetzen. Wie Doi Pui war das entlegene Dorf früher berüchtigt für seinen Opiumanbau. Bhumibol kaufte hier ehemalige Schlafmohnfelder und durch Brandrodung zerstörtes Bergland auf.
Heute wandern Touristen durch die sorgsam gepflegten Obstplantagen. Zu Ehren des Königs wurden üppige Gärten angelegt. Rhododendren, Azaleen und Rosen wetteifern um Farbigkeit und Leuchtkraft. In einem riesigen Treibhaus wuchern seltene Orchideen neben Baumfarnen und tropischen Schlingpflanzen. Auf den Plantagen gedeihen Tomaten, Kiwis und Erdbeeren, die als die schönsten Südostasiens gelten. Ob der Anbau von Erdbeeren und anderen pilz und krankheitsanfälligen Arten in der Region auch ökologisch sinnvoll ist, wird von Agrarwissenschaftlern bezweifelt. Ein unabhängiges Forschungsprojekt über den verstärkten Einsatz von Fungiziden und Pestiziden und seine Folgen ist kaum möglich. Es käme einem Zweifel an der Unfehlbarkeit des königlichen Projekts gleich.
«Wir lieben unseren König», kann Amornlak nicht oft genug mit einem andächtigen Lächeln wiederholen, während sie durch die Gewächshäuser und Blumenrabatten von Doi Angkhang spaziert. Auf westliche Touristen wirkt die innige Verehrung des Königs und seine Huldigung als Heilsfigur manchmal befremdlich, manchmal kurios.
Etwa drei Autostunden weiter östlich unweit des Goldenen Dreiecks liegt ein weiterer Pilgerort thailändischer Monarchisten. Auf dem Berg Doi Tung steht ein merkwürdiges Gebäude. Es ist eine Kreuzung aus der in Nordthailand typischen LannaTempelArchitektur mit der schlichten Einfachheit eines Schweizer Holzchalets.
Somdech Phra Srinagarindra Boromarajajonani, die verehrte Mutter des Königs, verbrachte hier ihre letzten Lebensjahre, bevor sie 1995 im SirirajKrankenhaus in Bangkok mit 94 Jahren starb.
Wer die königliche Berghütte besucht, stellt schon auf den ersten Blick fest, dass die ehemalige Bewohnerin eine besondere Liebe für die Schweiz empfand. In den Vorgärten blühen Löwenmäulchen und Fingerhut neben Stiefmütterchen und Kapuzinerkresse wie in einem Alpengarten. Buddhisthische Mönche in orangenen Kutten fotografieren die sorgsam angelegten Rabatten.
Die Königsmutter mochte es rustikal. In der mit Kiefernholz vertäfelten Küche kochte sie selbt für ihre Gäste, die gestickten Blumenmotive im Schlafzimmer entstanden aus eigener Handarbeit. In die Balkonkästen liess sie Holzreliefs von Hirschen und Elefanten schnitzen. Über eine Reihe Geranien blickte sie auf die im blauen Dunst verschwommene Bergkulisse. Träumte sie hier manchmal von Lausanne, das lange ihre Wahlheimat blieb, selbst noch Jahre, nachdem ihr Sohn nach Thailand zurückgekehrt war?
«Sie war eine einfache und herzensgute Frau», sagt Amornlak Panyala. Fast wie eine Heilige wird die Königsmutter unter den Bergvölkern verehrt. Liebevoll nennen sie sie Mae Fah Luang, die königliche Mutter aus dem Himmel. Den Namen soll sie nicht nur deshalb erhalten haben, weil sie meist mit dem Helikopter anreiste. Wie ihr Sohn in Doi Angkhang und andernorts führte sie in Doi Tung ein landwirtschaftliches Projekt als Alternative zum Opiumanbau ein.
Als Srinagarindra starb, pilgerten Hunderte Hmong, Akha und Lahu nach Bangkok, um Mae Fah Luang die letzte Ehre zu erweisen. Seit immer öfter Nachrichten über den schlechter werdenden Gesundheitszustand des Königs durchdringen, sorgen sich die Thais schon um die Zukunft des Landes. Ihr geliebter König Bhumibol gilt mit derzeit 84 Jahren als dienstältestes Staatsoberhaupt der Welt. Wenn er stirbt, wird Thailand nach alter Tradition mindestens 99 Tage Trauer tragen. Manche gehen davon aus, dass der Palast die offizielle Trauerzeit sogar auf 999 Tage ausdehnt. Dann werden noch mehr Touristen in die Thailändische Schweiz reisen und ihren Kindern von der Güte Bhumibols erzählen, der einst Erdbeeren pflanzte, da wo früher der Schlafmohn blühte.
Von Winfried Schumacher