Wo die geteerte Strasse endet, fängt Kambodscha an. Zumindest am Grenzübergang bei Pailin. «Kulturschock» im Schnelldurchlauf für die wenigen europäischen Touristen, die sich hierhin verirren.
Der Weg von Thailand nach Kambodscha führt über eine kleine Holzbrücke, unter der sich ein brauner Bach müde in Richtung Süden kämpft. Dahinter beginnt das Niemandsland, wo diverse Bretterhütten als Zollstationen dienen. Hier ist das Reich der korrupten Zöllner und Schlepper. Die scharen sich um westliche Neuankömmlinge, um mit deren Pässen und ausgefüllten Visa von einem Grenzhaus zum nächsten zu eilen: Ein verwirrendes Schauspiel, bei dem die mitunter ängstlich dreinblickenden Touristen im Schatten zurückbleiben. Hütchenspiel à la Kambodscha: Welcher Asiate hat meinen Pass?
Filmreife Strassenszenen
Die kambodschanische Grenzstadt Psah Prum wirkt selbst bei greller Mittagssonne zwielichtig: Windschiefe Gebäude aus Holz und eine staubige Strasse versprühen das Flair einer amerikanischen Westernstadt. Die Pferde: Zahllose Motorroller, deren Eigentümer sich direkt hinter der Grenze auf die Besucher stürzen, um sie zur Taxizentrale ihres Vertrauens zu bringen. Einigt man sich auf einen Preis, heisst es: warten. Warten, bis das Taxi voll ist. Zeit genug, sich umzusehen.
In der kleinen Kneipe, vor der das Taxi wartet, sitzen die Menschen auf blauen Plastikstühlen. Während ein Mann gerade ein ausgewachsenes Schwein von seinem Moped hievt, kommt ein anderer Gast auf ein Bier vorbei. Er trägt zwei lebendige Hühner in einem Jutebeutel mit sich. Zusammen mit den meisten anderen Kunden drängt er sich vor den obligatorischen Fernseher. Das verschwommene Bild lässt Wrestling erahnen. Der amerikanische Show-Sport ist im ganzen Land unheimlich populär.
Auf der Schotterpiste durch Psah Prum brettern Mopeds, Pick-Up-Taxis und Lastwagen mit frisch geerntetem Mais vorbei. Neben Lebensmitteln und Hühnern stapeln sich auf der Ladefläche Menschen mit Sturmhauben, Sonnenbrillen und Mundschutz. Was an Bürgerkrieg oder Seuchen erinnert, ist Grundausstattung auf kambodschanischen Strassen. Denn ohne Schutz beisst der Staub in den Augen und brennt in Nase und Lunge.
Kriegsgeplagte Landbevölkerung
Die Menschen der Region haben harte Zeiten hinter sich: In den mehr als 25 Jahren Bürgerkrieg waren es zunächst zwei kommunistische Armeen, die sich erbitterte Gefechte lieferten. Zum Leidwesen der Landbevölkerung, die jedes Jahr zur Trockenzeit vor den Raketenangriffen und den plündernden Soldaten flüchtete, um bei ihrer Rückkehr auf verwüstete Dörfer und verminte Felder zu stossen. Zwischen 1993 und 1996 zogen sich die letzten Einheiten der Roten Khmer hierher zurück, um ihre finanziellen Pfründe gegen die Armee zu verteidigen: eine Schatzkammer aus Edelsteinen und Tropenholz. Die Schlag- und Schürfrechte verkauften sie vor allem an thailändische Geschäftsleute, um so ihren Guerillakrieg fortsetzen zu können.
Selbst mehr als ein Jahrzehnt später leben noch immer viele ehemalige Schergen von Pol Pot unbehelligt in Dörfern rund um Pailin und auch in Psah Prum. Die meisten arbeiten als Bauern auf den Feldern. Einige der alten ranghohen Offiziere leben zurückgezogen in ihren schmucken Häusern. Sie verdienen am blühenden Schmuggel nach Thailand. Die Ware: nach wie vor Edelsteine und Tropenholz. Doch angesichts rückläufiger Edelsteinfunde bedarf es Alternativen. So haben sich die ehemaligen Kommunisten zwei anderen Geschäften zugewandt: dem Drogenschmuggel und den Spielcasinos. Vor allem reiche Thai verlieren in den grenznahen Glücksspielhallen regelmässig ihr Geld.
Reiskammer des Landes
Von Psah Prum sind es rund hundert Kilometer nach Battambang, der zweitgrössten Stadt des Landes. Unser Taxi, ein ramponierter Renault, benötigt für die Strecke vier Stunden. Die Buckelpiste ist durchzogen von Schlaglöchern. Nicht alle Autos schaffen die Strecke. Immer wieder passiert unser Fahrer Khon Chanyan Kollegen, die ratlos vor defekten Motoren stehen oder mit den Passagieren versuchen, den Wagen aus einem Schlagloch zu hieven.
Hier, im ländlichen Kambodscha, wechseln sich alte, blau gestrichene Holzhäuser auf Stelzen ab mit den mondänen Steinvillen der Schmuggler, Drogenhändler und Strippenzieher des Grenzhandels. Selbst in den kleinsten Holzverschlägen flimmert ein Fernseher. Vor manchen Hütten stehen sogar Billardtische unter den Vordächern. Väter dösen in Hängematten, während Kinder in Schuluniform ihre Hausaufgaben machen oder zwischen streunenden Hunden und grasenden Kühen spielen. Am Strassenrand verkaufen Frauen gekochte Maiskolben, kalte Pepsi und frisch gebratene Heuschrecken.
Khon schafft die Strecke nach Battambang heute in Rekordzeit von dreieinhalb Stunden. Battambang gilt als Reiskammer Kambodschas und ist zudem berühmt für seine Orangen. So ist es kaum verwunderlich, dass der Markt von Battambang einer der besten des Landes ist. Während eine Schneiderin schnatternd Mass bei ihrer Kundin nimmt, wird nebenan lautstark um Gemüsepreise gefeilscht. Über allem liegen eine drückende Schwüle und ein Mantel betörender Gerüche. Wer fragt, kann hier eine gute Übersicht über die Essgewohnheiten der Khmer bekommen.
Trotz der Hektik auf dem Markt: Battambang wirkt wesentlich sympathischer als Pailin oder Psah Prum. Hier ist der kleine wirtschaftliche Aufschwung Kambodschas angekommen. Der Touristenstrom fliesst zwar in der Regel an Battambang vorbei, doch kommen viele Individualreisende hierher, um sich die prächtige Pagode im Zentrum anzusehen oder zum mächtigen Tempelbau von Wat Phnom Ek zu fahren. Und wer weiss: Wenn die Strasse nach Pailin und Psah Prum wie geplant ausgebaut wird, profitiert vielleicht auch das ländliche Hinterland vom internationalen Tourismus und ist weniger auf Drogen- und Schmuggelgelder angewiesen.
Prächtige Tempelanlagen
Von Battambang fährt jeden Tag ein Boot nach Siem Reap, acht Stunden über den Sangher River und den Tonle-Sap-See. Vorbei an weiten Reisfeldern, schwimmenden Dörfern und prächtigen Pagoden. Unterwegs begegnet man Kindern, die zwischen dem Müll im Fluss schwimmen und Fischerfamilien mit ihren Hausbooten. An der Uferböschung warten zahllose Reusen auf Kundschaft, an Land stehen meterhohe, katapultartige Ungetüme aus Holz, die für den Fischfang verwendet werden.
Auf dem Fluss geht es beschaulich zu. Ganz im Gegensatz zum Ziel der Fahrt: Der Hafen von Siem Reap ist voll mit fliegenden Händlern, bettelnden Kindern und Tuk Tuks, deren Fahrer sich auf Neuankömmlinge stürzen, um sie für überteuerte Hotels zu begeistern. Siem Reap gleicht einem Touristenstädtchen an der Costa Brava. Man würde der Stadt sofort den Rücken kehren, wären da nicht die Tempel. Vom 9. bis 15. Jahrhundert bildete Angkor das Rückgrat des Khmer-Reiches. Es gibt kaum einen Kambodschaner, der Reisende nicht sofort auf die Tempel anspricht. Einheimische, die sich eine Fahrt nach Angkor leisten konnten, werden nicht müde, von der Grösse der Ruinen und der Feinheit der Ornamente zu schwärmen.
Text und Bilder: Christian Schnohr