Die Bahamas sind ein Bild wie im Rausch gemalt; die Farben von Weiss über Türkis bis Indigo mit breitem Pinsel und ausladender Geste aufgetragen. Ein Meer von Inseln, nach einer Laune der Natur.
So zahlreich die Inseln, so vielfältig ihr Charakter. 2000 sind es auf den Bahamas an der Zahl, ein Zehntel davon bewohnt. Einige sind mit Kasinos und Kunstwelten für vergnügungssüchtige Massen zugekleistert, andere locker mit protzigen Villen oder ärmlichen Schwarzensiedlungen überbaut, und den Rest bedecken fast unberührte Pinienwälder und Mangrovensümpfe voller Meeresgetier.
Für Reisende aus Europa beginnt die Entdeckung des karibischen Archipels meist in der Hauptstadt Nassau, einem charmanten, kolonial geprägten Dorf, dessen kleiner, geschützter Hafen allerdings in den 70er-Jahren zum grössten Kreuzfahrtschiff-Anlegeplatz der Karibik ausgebaut wurde. So ist die einzige breite Strasse in Downtown Nassau zu einer bunten Shoppingmall umfunktioniert worden, wo täglich Tausende von Kreuzfahrtpassagieren durchgeschleust werden. Um 17 Uhr, wenn die Schiffssirenen zum Dinner rufen, ist Ladenschluss, und das Leben verzieht sich in die populären Aussenbezirke.
Piraten und Schwammtaucher
Dabei hat Nassau mit seinem viktorianischen Regierungszentrum, dem Sklaven- und dem Piratenmuseum sowie den kleinen, versteckten Restaurants einiges zu bieten. Lässt man sich zum Beispiel von Alana Rodgers, einer jungen, quirligen Einheimischen, im Rahmen ihrer «true Bahamian food tour» durch die Stadt führen, erfährt man vom ersten britischen Gouverneur der Inseln, der 1717 seine ehemaligen Piratenkollegen hinrichten liess und so die Handelsschifffahrt von dieser Plage befreite. Jahrzehntelang waren die Bahamas eine Hochburg der Freibeuter gewesen, denn sie eigneten sich dank der riesigen Flachwasser – daher der ursprünglich spanische Name Baja Mar – besonders gut für deren Handwerk: Mit Feuern an der Küste, die Siedlungen simulierten, lockten die Piraten französische, holländische und spanische Schiffe in die flachen Gewässer. Dort liefen die bauchigen Frachtschiffe zumeist auf Grund und stellten dann eine leichte Beute dar.
Alana erzählt auch von den griechischen Schwammtauchern, die Anfang des 19. Jahrhunderts eine blühende Industrie betrieben, bis eine Krankheit die Schwämme aussterben liess, und von den goldenen Zeiten während des Amerikanischen Bürgerkriegs, als der Waffennachschub für die isolierten Südstaatler über die Bahamas lief. Während der US-Prohibition schliesslich wurde der Schmuggel von Alkohol zu einem lukrativen Geschäft. Nach jedem wirtschaftlichen Boom kam aber ein tiefer Fall.
Zu diesen kurzweiligen Geschichten bekommt man in sieben ausgesuchten Lokalen schmackhafte ortstypische Speisen und Getränke auf den Tisch. Die bahamaische Spezialität par excellence ist die Conch – eine Riesenmeeresschnecke, deren wunderschöne leere Gehäuse alle Strände der Bahamas zieren.
Kunstwelt und Historisches
Hat man die geschichtsträchtige Kleinstadt erkundet, kann man mit der Fähre in die direkt gegenüber liegende Kunstwelt der Paradise-Insel übersetzen. Sie wird dominiert von den fünf hurrikansicheren, hohen Hoteltürmen des «Atlantis», die unterirdisch durch Kasinos, Restaurants, Einkaufsstrassen und ein Aquarium verbunden sind. Oberirdisch umrahmen die lachsfarbenen Hochhäuser eine Parklandschaft aus Lagunen mit Schwärmen von Rochen, Haien und Delfinen und einem riesigen Wasserpark. Immerhin finden 8000 Personen Arbeit in dieser Anlage für 3000 Gäste. Von den Bahamas bekommen diese aber kaum etwas mit.
Wer mehr sehen will, muss in eines der altertümlich wirkenden Mail Boats, die neben der Post auch Alltagsgüter zwischen den Inseln transportieren, oder ein Inselflugzeug einsteigen. Filmfans werden sich vielleicht auf die Suche nach den Drehspots für die sechs James-Bond-Filme aufmachen, literarisch Interessierte mögen Bimini wählen, wohin es in den 1930er-Jahren auch Ernest Hemingway verschlagen hatte. Das Eiland liegt nur 50 Seemeilen von Florida entfernt, und Hemingway soll regelmässig mit seinem Boot «Pilar» auf die Insel übergesetzt haben. In seiner Novelle «Islands in the Stream» beschreibt er seine künstlerisch produktive Zeit auf dem Eiland und die Raubeinigkeit der box- und trinkfreudigen Einheimischen.
Doch nicht nur zum Schreiben, auch zum Hochseefischen ist Hemingway gekommen. Und viele tun es ihm heute noch nach. Die Insel lebte bisher vor allem von diesen Sportfischern, die keinen Luxus suchen, sondern praktische, gut ausgerüstete Anlegestellen.
Mit Haien im Wasser
Der warme, planktonreiche Golfstrom, der zwischen Bimini und Florida gen Norden strömt, ist für die grossen Fische am Ende der Nahrungskette wie ein Fliessband mit Futter. Doch so prächtige Exemplare von Thunfischen und Marlins, wie sie auf den alten Fotos mit Hemingway in einigen Hotels auf Bimini zu bestaunen sind, fängt heute trotz Echolot und Stahlseilen keiner mehr.
Obwohl Bimini unter Sportfischern als Kapitale der Hochseefischerei gilt, kann es durchaus sein, dass man nach einem Tag auf See mit leeren Händen heimkehrt. Da bleibt den Glücklosen nur, den anderen auf dem Pier beim Ausnehmen ihres Fangs zuzusehen. Mutige können in den am Dock befestigten Käfig steigen und unter Wasser aus nächster Nähe den Ammen- und Bullenhaien zusehen, die sich an den Fischabfällen laben. Dabei kann es allerdings vorkommen, dass der kraftvolle Schwanzschlag eines dieser 500-kg-Tiere die Gitterstäbe des Käfigs aus ihrer Verankerung springen lässt – kein angenehmes Gefühl, das kann ich bezeugen.
Beim Besuch in der Haiforschungsstation auf Süd-Bimini bestätigt sich, dass der Mensch zwar nicht ins Beuteschema der Haie passt, dass es aber in der Aufregung beim Fressen zu Verwechslungen kommen kann. Haie stehen auf den Bahamas unter Schutz, und die riesigen Mangrovensümpfe auf Nord-Bimini und insbesondere auf Andros sind ideale Kinderstuben und Rückzugsorte.
Andros – fast unberührt
Im Gegensatz zu dem zwölf Kilometer langen und wenige hundert Meter breiten Bimini ist Andros ein Riese. Die Insel entspricht flächenmässig etwa dem Kanton Bern und ist damit grösser als alle ihre Schwestern zusammen. Und doch ist sie praktisch unbewohnt. Der trockene Karstboden ist landwirtschaftlich kaum nutzbar, ein riesiges Riff umgibt die Landmasse wie ein Schutzwall und es gibt praktisch keine natürlichen Häfen. Das war schon den weissen Siedlern unsympathisch, weshalb sie Andros den Sklaven über liessen.
Auch heute noch sind auf Andros die menschlichen Eingriffe verschwindend klein. Zivilisationsmüde, die Abgeschiedenheit suchen, finden sie an den weissen, palmengesäumten Sandstränden, in den lichten Pinienwäldern oder im Labyrinth der Mangrovenkanäle. Wen das zu langweilen beginnt, kann in eines der kreisrunden Blue Holes steigen, eingestürzte Karsthöhlen, von denen es an Land und zu Wasser Hunderte gibt, sich am drittgrössten Riff der Welt dem Rausch der Tiefe hingeben oder sich im Fliegenfischen versuchen. Wer Mitleid mit den gefangenen Bonefish haben sollte, der lege sich mit einer Taucherbrille ins türkisblaue, flache Wasser und lasse die glitzernden Fischschwärme, die dunklen Rochen und die bunten Seesterne an sich vorübergleiten.
Von Lucie Paska