Fabienne Rochat war schon immer vom Norden fasziniert. Mit der Stelle als Reiseleiterin für Falcontravel in Finnisch-Lappland ist darum ein Traum in Erfüllung gegangen. Von finnischen Mutproben, der Wirkung des Nordlichts und der Schönheit von Kälte.
«Ich würde nicht sagen, dass ich nie Strandferien machen möchte. Ich mag auch die Hitze. Aber mit Lappland ist das etwas anderes. Ich fühle mich dort zu Hause. Und wenn ich den Sommer über in der Schweiz bin, im See bade, meine Freunde treffe und die warmen Tage geniesse, merke ich trotz all dem Schönen, dass ich Lappland vermisse. Dieses Jahr fahre ich darum schon im September einmal hoch für Ferien. Ich möchte die Landschaft ohne Schnee sehen und Freunde besuchen.
Seit 2011 arbeite ich im Winter in Finnisch-Lappland als Reiseleiterin für falcontravel, den Nordeuropa-Spezialisten von Hotelplan. Zusammen mit unseren finnischen Fahrern hole ich die Gäste auf dem Flughafen in Kittilä ab und begleite sie nach Äkäslompolo. Das ist ein kleiner Ort, umgeben von sieben Bergen, mitten in den weiten, finnischen Wäldern gelegen. Normalerweise zählt Äkäslompolo etwa 400 Einwohner. Doch in der Hochsaison, zwischen Weihnachten und Neujahr, wächst die Zahl der Bewohner auf bis zu 10 000 Menschen. Sie machen Ferien in den Blockhütten, geniessen die unglaubliche Ruhe und die Natur. Tagsüber erleben sie Huskytouren, besuchen eine Rentierfarm, gehen Schneeschuhwandern, Langlaufen oder probieren die Schneemobile aus. Abends entspannen sie sich in der Sauna und lesen in den gemütlichen Hütten oder übernachten einmal in einem Eishotel.
Am ersten Abend machen wir jeweils in einem Pub oder Restaurant einen Welcome-Anlass für unsere Gäste. Es gibt heissen Beerensaft zu trinken und wir essen miteinander. Ich versuche mich mit allen zu unterhalten und die individuellen Wünsche aufzunehmen, informiere über die Touren und gebe Tipps. Ich bin die Ansprechperson vor Ort für unsere Gäste und helfe, wo es nötig ist.
Die finnische Seele gewinnen
Dieser Job ist ein grosser Glücksfall für mich. Der Norden hat mich schon immer fasziniert. Die Mystik, die Geheimnisse, die ihn umgeben. Schon seit Jahren höre ich skandinavischen Metal und nach meiner Ausbildung an der Tourismusfachschule in Zürich habe ich im Kanton Uri bei einem Anbieter von Husky-Schlittenfahrten gearbeitet. Dort habe ich meinen Freund kennengelernt, der meine Leidenschaft für die Hunde teilt. Wir gingen zusammen nach Schweden und haben auf einer Huskyfarm mit über 100 Hunden mitgeholfen. Inzwischen haben wir selber eine Hündin namens Luna. Sie stammt aus einer Auffangstation in Spanien, eine deutsche Familie hat sie uns vermittelt. Die Liebe zu den Hunden ist wie ein Fieber. Huskys gefallen mir einfach. Sie verkörpern den Norden, sind ursprünglicher als andere Rassen. Ein Husky unterwirft sich dem Menschen weniger, hat einen starken Jagdtrieb und ist trotzdem sehr anhänglich. Diesen Gegensatz zwischen Kuschelhund und Wolf mag ich.
Durch unseren Aufenthalt in Schweden, die Arbeit mit den Hunden und die Schlittentouren ist der Wunsch nach mehr Norden bei meinem Freund und mir immer grösser geworden. Das Stelleninserat von Hotelplan für die Reiseleiterin in Lappland kam darum wie gerufen. Es musste einfach klappen mit der Stelle. Und es hat geklappt.
Im Dezember 2011 haben wir unseren Opel Vectra mit unseren wärmsten Kleidern, einer Espresso-Maschine und allem, wovon wir glaubten es unbedingt zu brauchen, vollgeladen und sind zu dritt – mein Freund, Luna und ich – in den finnischen Norden aufgebrochen. Wir haben die 3200 Kilometer bis nach Äkäslompolo in fünf Tagen zurückgelegt. Es war abenteuerlich, so ins Ungewisse zu reisen, die letzten 300 Kilometer nur noch auf Schnee zu fahren und uns einem Ziel zu nähern, das für ein paar Monate unser zu Hause sein würde. Aber schon bei unserer ersten Ankunft hatte die Region für mich etwas Vertrautes. Dieses Gefühl ist inzwischen Fakt geworden: Die Menschen im Dorf kennen uns, wir finden uns gut zurecht, haben Freunde gefunden. Die Finnen sind den Schweizern ziemlich ähnlich. Anfangs sind sie distanziert, introvertiert und eher kurz angebunden. Wenn man sie aber kennt, sind sie sehr herzlich und hilfsbereit. Man sagt: «Hast du einen Finnen geknackt, dann hast du einen Freund gefunden.» Das kann ich nur bestätigen.
Farbige Dunkelheit, trockene Kälte
Am meisten freue ich mich aber jeweils auf das Nordlicht. Ein unglaubliches Schauspiel. Manchmal erscheint es nur als ein feiner, tanzender Streifen am Horizont, manchmal nimmt es den ganzen Himmel ein. Dann steht man da, inmitten der Natur, und fühlt sich unendlich klein und berührt. Ich habe angefangen, mich mit der wissenschaftlichen Seite der Polarlichter zu befassen. Ich erkläre den Gästen, dass es sich um Sonneneruptionen handelt, und mit Hilfe von entsprechenden Websites verfolge ich, wann die Chancen besonders gut sind, um das Schauspiel am Himmel zu beobachten.
Es muss dunkel sein, damit uns Nordlichter auffallen. Weil die Sonne es im zweiten Halbjahr fast nicht über den Polarkreis schafft, wird es in Lappland zwischen November und April auch tagsüber nicht richtig hell. Während zwei Monaten ist die Sonne ganz weg. Doch das Manko an Sonnenlicht ist nicht halb so schlimm, wie sich das alle vor stellen. Im Gegenteil, es kann wunderschön sein. Ist das Wetter gut, strahlt der Himmel morgens in intensivem Dunkelblau, bis zum Mittag verfärbt er sich türkis und die von unten angeschienenen Wolken leuchten rot. Es ist ein wunderschönes Farbenspiel. Bei schlechtem Wetter hingegen, erinnert alles an die Melancholie eines Schwarz-Weiss-Films. Farben sind schlicht nicht vorhanden.
Dafür ist die Temperatur höher, wenn der Himmel verhangen ist und es schneit. Mit der Kälte ist es gleich wie mit dem Licht: Die meisten Gäste stellen es sich schlimmer vor, als es ist. Wenn es bewölkt ist, messen wir meist zwischen minus 10 und minus 15 Grad. Bei Sonnenschein kann die Temperatur bis minus 40 Grad sinken. Aber es ist eine trockene Kälte. Sie ist angenehmer als im Schweizer Mittelland. Zudem ändert sich alles sehr schnell: Vom dunkelsten Tag an bleibt es pro Tag zehn Minuten länger hell. Das sind siebzig Minuten in einer Woche. Ein riesiger Unterschied! Und schon im Februar gibt es manchmal Wärmeeinbrüche mit Temperaturen von plus 3 Grad.
Die Finnen lassen sich von der Kälte und dem mangelnden Licht nicht beirren. Sie gehen trotzdem täglich nach draussen. Ich glaube, das ist das beste Rezept. Schon im März stellen die Pubs wieder ihre Stühle auf die Terrassen. Man trifft sich, trinkt Kaffee mit Whisky, sitzt um ein Feuer, plaudert und lacht. Barbecue gibt es das ganze Jahr über. Mit Würsten, die an Cervelats erinnern. In Lappland lebt man in der Natur und mit der Natur.
Mut auf finnisch
Mein Freund und ich versuchen, das den Finnen gleichzutun. Wann immer wir eine Minute frei haben, gehen wir nach draussen. Oft sind wir mit den Schneemobilen unterwegs. Obwohl ich nicht gerade Benzin im Blut habe, macht mir das grossen Spass. Noch mehr Freude aber habe ich natürlich an den Husky-Schlitten. Letzten Winter wollte es der Zufall, dass ich für eine Guesthouse-Besichtigung bei einem der bekanntesten Musher, also Hunde-Schlittenfahrer, vorbeikam. Ich habe ihn gefragt, ob ich mit ihm eine Tour drehen darf. Er dachte wohl ich sei ein Grünschnabel und hat mir gleich den Lenkplatz frei gemacht auf einem Achtergespann mit Junghunden – sozusagen der Sportwagen unter den Schlitten. Vor seinem inneren Auge hat er mich sicher schon kurz nach dem Start im Schnee liegen sehen. Tatsächlich war alles nicht ganz einfach. Die Hunde sind mit enorm viel Speed losgedonnert, gleich in eine scharfe Rechtskurve, einen Abhang hinunter und sehr nahe an den vielen Baumstämmen vorbei. Es war ein wahrer Adrenalinkick. Aber ich konnte mich halten und kam erst nach der über 20 km langen Tour zurück. Das hat den Musher beeindruckt. Die finnische Mutprobe habe ich bestanden.»
von Stefanie Schnelli