Eine Flusskreuzfahrt im Mekong-Delta gibt einen eindrücklichen Einblick in den vietnamesischen Alltag. Auf der Fahrt durch eine von Fischern und Bauern bewohnte Gegend sind Touristen eine absolute Nebensache.
«Ein Schiff ohne Augen ist wie ein Mensch, der blind ist», sagt Kapitän Khanh Hai Tran, 41 Jahre alt und seit 25 Jahren auf dem Mekong unterwegs. Deshalb haben nicht nur die zahllosen Frachtschiffe, sondern auch alle 25 Touristenboote im Delta jeweils zwei grosse Augen auf den Bug gepinselt bekommen. Tran sagt: «Es geht ja nicht nur darum, andere Schiffe zu sehen, sondern auch Untiefen und Fische, die einen Meter lang werden und bis zu 40 Kilogramm wiegen!» Trans Dschunke hat sogar den passenden Namen: «Mekong Eyes». Sie tuckert durch ein Meer treibender Inseln aus Wasserlilien. Der Fluss ist schmuddlig braun, die Ufer üppig grün. «Die Lilieninseln treiben je nach Gezeiten. Bei Ebbe stromab-, bei Flut auch stromaufwärts.» Dem Kapitän zuzuhören macht Spass. Er ist zwar eher vom Typ wortkarg, aber was er sagt, hat Bestand. «Der Mekong ist meine Heimat. Ich bin in einem Dorf mitten im Delta geboren. Mein siebenjähriger Sohn fängt in ein paar Jahren als Bootsjunge an, wie ich damals auch.»
Eine Mekong-Cruise ist nicht wie eine Liebe auf den ersten Blick. Es ist eine Fahrt durch den vietnamesischen Alltag, vorbei an Dörfern, Ziegelfabriken, Feldern und einem Lastkahn nach dem anderen. Es ist eine Fahrt durch eine von Fischern und Bauern bewohnte Gegend, in der Touristen eine absolute Nebensache sind.
Die Region um Can Tho, das Hauptstädtchen des Deltas, gilt als der Garten Vietnams. Obst- und Gemüseplantagen versorgen nicht nur die Leute in der Provinz, sondern auch den Grossraum von Ho Chi Minh City und andere Landesteile. So erklärt sich auch die Existenz des grössten schwimmenden Marktes im Mekong-Delta: Von den Plantagen wird die Ernte auf Boote verladen, zum schwimmenden Markt von Can Tho gebracht, auf dem Wasser verkauft und gleich weiter verschifft. Das ist praktisch, effizient und pittoresk zugleich. Auch wenn die Strohhüte der Händlerinnen nicht mit der Bluse und dem Sonnenschirmchen im Kanu korrespondieren, um hauptsächlich für Fotografen attraktiv zu sein, wie dies auf vielen anderen schwimmenden Märkten heute der Fall ist. Auch Souvenirs, Kitsch und Kunsthandwerk ab Boot sucht man in Can Tho vergeblich. Die Händlerinnen tragen den Strohhut gegen die Sonneneinstrahlung, die Bluse ist von der Arbeit verschmutzt und für ein Sonnenschirmchen ist kein Platz. In Can Tho hält man es mit dem traditionellen Warenangebot: Obst und Gemüse. Und für die fleissigen Händler gibt es, wie an Land auch, mobile Grill-, Koch- und Suppenstationen auf dem Fluss. Alles zum ortsüblichen Preis, wie etwa die Nudelsuppe Pho Bo, Vietnams Nationalgericht, zu 15 000 Dong, etwa 60 Euro-Cent.
Rund 300 bis 400 Boote machen den Floating Market aus. Um fünf Uhr morgens geht es mit Waschen und Zähneputzen auf den Booten los, bis zehn wird das meiste Geschäft gemacht, aber erst gegen 17 Uhr löst sich der ganze Trubel auf. Dann wird vielleicht noch an der schwimmenden Tankstelle getankt, auf jeden Fall das Geld gezählt, ehe Feierabend ist. Mehr als ein Drittel der Händler leben auf ihren Dschunken. Die grossen Boote gehören den Bauern, die kleinen den Händlern, und die schmalen Sampangs bringen Suppe, Kaffee und Reisgerichte.
Übernachtet wird auf der «Mekong Eyes» in kleinen, aber komfortablen Kabinen mit Bad. Das Schiff ankert nachts mitten im Fluss, da ein Festmachen am Ufer wegen des Tidenhubs von zwei bis drei Metern nicht möglich ist. Gut hundert Kilometer werden im 40 000 Quadratkilometer grossen Delta zurückgelegt.
von Jochen Müssig