Malawi träumt von einer Zukunft als Safariland mit Löwen und Leoparden. Im Majete-Schutzgebiet sind die Raubkatzen bereits zurück. Das kleine Land wird als Geheimtipp in Afrika gehandelt.
Autopanne im Löwenrevier. Unheimliches Schweigen liegt über der Savanne. Der einheimische Safari-Guide schraubt am Rad mit dem platten Reifen. Eben noch hatte Samuel Chihana erzählt, dass hier in der Gegend Löwen einen Büffel erlegt haben. Er hat sie vor ein paar Stunden ganz in der Nähe geortet. Eines der Tiere trägt einen Sender. Die afrikanische Sonne versinkt goldrot im Dickicht. Über den Wipfeln der Amarulabäume verfärbt sich der Himmel in ein milchiges Rosé. Wir warten darauf, dass jemand einen zweiten Ersatzreifen bringt. Ohne fünftes Rad ist eine Safari zu riskant.
Mit der hereinbrechenden Dämmerung kriecht ein leichter Schauer über die verschwitzten Schulterblätter. Die Löwen. Der lahmgelegte offene Geländewagen. Einbruch der Dunkelheit. Wieder kein Funksignal. Warum schweigen die Steppenvögel? Bewegt sich da etwas hinter der Buschgruppe? Der Guide lächelt entspannt. «Keine Sorge, Raubkatzen greifen nie wahllos Menschen an. Sie haben hier genügend Beutetiere.»
Noch vor zwei Jahren wäre eine Szene wie diese in Malawi fast undenkbar gewesen. Die Löwen galten bis auf wenige Einzeltiere landesweit als ausgerottet. Malawi hatte sein Wappentier verloren. Genauso wie seine Nashörner und eine Reihe anderer Grosstiere, die vor Jahrzehnten noch zahlreich in dem kleinen Land zwischen Tansania, Sambia und Mosambik waren. 1955, bei Gründung des Majete-Schutzgebiets, etwa drei Stunden südlich des Malawisees, war die Gegend berühmt für ihre grossen Büffel- und Elefantenherden. Durch die andauernde Wilderei wurden die Bestände aber vor allem seit den 80er-Jahren völlig dezimiert. Um das Jahr 2000 waren in Majete fast alle Grosswildarten ausgerottet.
Big five per Lastwagen angekarrt
Endlich tauchen in der Ferne die Scheinwerfer eines Geländewagens auf. Mitarbeiter der nahen Lodge bringen den Ersatz reifen. Die Pirschfahrt kann weitergehen. Mit einem Starklichtstrahler tastet Chihana die umliegenden Buschgruppen ab. In der Nacht wird Majete erst richtig lebendig. Eine Ginsterkatze huscht durch den Lichtkegel. Ein Stachelschwein verschwindet flugs im Unterholz. Direkt am Wegrand ist eine Elefantenfamilie laut schmatzend beim Nachtmahl. Der Guide möchte sie nicht blenden. Überall sind Gruppen von Antilopen unterwegs. Sie scheinen die nahen Löwen nicht zu wittern.
«Die meisten Tiere, die wir hier sehen, wurden vor Jahren wiedereingeführt», erzählt Chihana. «Bevor das Schutzgebiet wiedereröffnete, waren nur noch ein paar Kudus, Buschböcke und Ducker übrig.» 2003 entschied die Regierung von Malawi, das einstige Naturparadies wiederzubeleben. African Parks, eine von multinationalen Naturschützern und Geschäftsleuten gegründete Non-Profit-Organisation, wurde zu ihrem wichtigsten Partner für das Projekt, das 25 Jahre dauern soll. Sie liess 142 Quadratkilometer zum Schutz vor Wilderern umzäunen und mehr als 2500 Grosstiere auswildern. Die Tiere wurden aus Sambia, Südafrika und dem Liwonde-Nationalpark herbeigeschafft. Die Umsiedlung kostete mehr als zwei Millionen Euro. Doch seit 2012 hat Majete auch seine Big Five zurück. Über 200 Elefanten, 300 Büffel und sieben Spitzmaulnashörner wurden per Lastwagen angekarrt. Bereits 2011 waren vier Leoparden ausgesetzt worden. Im Juli 2012 gesellten sich drei Löwen aus dem Pilanesberg-Nationalpark in Südafrika hinzu.
«Die Big Five ziehen immer mehr Touristen an», sagt Chihana, «vor allem Ausländer, aber auch viele Einheimische. Die meisten Menschen in Malawi haben nie einen Löwen oder Leoparden gesehen. Sie möchten, dass das Land wieder seine alte Tierwelt zurückerhält.»
Schwindender Lebensraum
«Löwen haben mehr als 75 Prozent ihres historischen Lebensraums eingebüsst», sagt Luke Hunter. «Viel davon ist wahrscheinlich für immer verloren.» Seit Jahren forscht der Südafrikaner über Wiedereinführungsprojekte von Raubkatzen. Als Vorsitzender der Tierschutz-Organisation Panthera setzt er sich für den Schutz und die Wiedereinführung von Grosskatzen weltweit ein. «Der grösste Teil Malawis hat wie viele Teile Afrikas ein zu grosses Bevölkerungswachstum und einen enormen Viehbestand. Es wird zumindest zu meinen Lebzeiten wohl nicht mehr als Lebensraum für Löwen infrage kommen. Schutz gebiete wie Majete sind die Ausnahme.»
Wenn Majete längerfristig wieder zum Raubkatzenrevier werden will, ist es entscheidend, die ländliche Bevölkerung für den Naturschutz zu gewinnen. «Wesentlich für den Erfolg wird sein, die Wilderei von Beutetieren zu bekämpfen und den Konflikt mit Viehbesitzern einzudämmen», erklärt Hunter. African Parks hat in Malawi für mehr als 150 Einheimische Arbeitsplätze geschaffen. Mit Schulungsprogrammen und medizinischer Versorgung sollen die 19 umliegenden Gemeinden davon überzeugt werden, dass sich Artenschutz lohnt und Tourismus im Gegensatz zur Wilderei langfristig Einnahmen schafft. Inzwischen wurden 250 Kilometer Wegstrecke für Pirschfahrten, ein Campingplatz, ein Restaurant und die luxuriöse Mkulumadzi-Lodge am Shire-Fluss eröffnet. Die Touristen liessen nicht lange auf sich warten.
Malawi hat durchaus Potenzial, sich zu einem Geheimtipp in Afrika zu entwickeln. Mit dem Malawisee verfügt das Land über eines der schönsten Badeziele des Kontinents. Der drittgrösste See Afrikas kann es mit seiner wilden Bergkulisse, versteckten Sandbuchten und verstreuten Felseninselchen an natürlicher Schönheit durchaus mit den Stranddestinationen im Indischen Ozean aufnehmen. Massentourismus gibt es nicht. Taucher schwärmen von der farbenprächtigen Unterwasserwelt. Mehr als 450 Fischarten machen den See zu einem der artenreichsten Süsswasserbiotope der Erde. Unter Aquarianern sind besonders die endemischen, maulbrütenden Buntbarsche bekannt. Überfischung und Verschmutzung bedrohen jedoch zunehmend die Artenvielfalt. Seit 2012 reiche Öl- und Gasvorkommen unter dem See entdeckt wurden, fürchten Naturschützer um die Zukunft des Biotops. Ökotourismus könnte für die bitterarme Bevölkerung eine echte Alternative zu Fischfang und Plünderung der Rohstoffe sein.
Südafrika als Beispiel
Naturschutzinitiativen wie das Majete-Projekt zeigen, dass nur eine intakte Umwelt Touristen anlockt. «Einige Gebiete Malawis könnten noch mehr Löwen aufnehmen als Majete», sagt Hunter. Wiedereinführungen von Raubkatzen in Südafrika zeigen, dass diese sehr erfolgreich sein können. «Es gibt dort mehr als 40 Populationen, die auf ausgesetzte Löwen zurückgehen.»
Samuel Chihana leuchtet weiter angestrengt in die Dunkelheit. Er hat es noch nicht aufgegeben, dass wir die Löwen von Majete zu Gesicht bekommen, vielleicht auch eines der Nashörner, die sich nachts aus ihrem Versteck trauen. Für heute haben wir aber einfach kein Glück. «Die Löwen haben sich wohl an dem Büffel satt gefressen und liegen unbewegt im Busch», mutmasst der Guide. Plötzlich leuchten zwei rötliche Augenpaare am Wegesrand. Aufgeregt fuchtelt der Guide ins Dickicht. Zwei doggengrosse Schatten huschen durch den Scheinwerfer des Geländewagens. «Tüpfelhyänen!», flüstert Chihana, «das Büffelkadaver und die Löwen sind nicht weit.»
Von Winfried Schumacher