Das Südtirol ist mit seiner 3000 Jahre alten Geschichte das älteste deutschsprachige Weinbaugebiet. Nun hat die Region mit der grössten Sortenvielfalt Italiens von einer enormen Entwicklung profitiert.
Wer erinnert sich noch an St. Magdalener oder Kalterersee, welche in rauen Mengen auch in die Schweiz exportiert und hier oft in Literflaschen für wenig Geld verkauft wurden? Als Massenweine sind diese Südtiroler Tropfen verschwunden. Heute konzentriert sich die Provinz am Südrand der Alpen auf Qualität: 98 Prozent der Rebfläche sind DOC-klassifiziert. Damit steht die Region an der Spitze in Italien.
Die Rebfläche von rund 5100 Hektaren entspricht knapp einem Prozent der italienischen Weinproduktion. Das zeigt, dass die insgesamt 160 Betriebe mit ihrer Jahresproduktion von 330 000 Hektolitern respektive 40 Millionen Flaschen gezwungen sind, auf Qualität zu setzen. Zum Vergleich: Die Weinschweiz bringt es auf rund 2,5 mal mehr Rebensaft.
Weiss holt auf
50 Prozent aller Südtiroler Weine sind weisse. Noch vor Jahrzehnten lag dieser Wert bei 20 Prozent. Winzer Hannes Rottensteiner (36) aus Bozen bestätigt: «Wir sind zum Weissweinland geworden. Vorher wuchsen rund um den Kalterersee traditionellerweise Rotweine. Die zweite grosse Veränderung ist die Tatsache, dass das Südtirol sich in den vergangenen 30 Jahren vom Massen- zum Qualitätsproduzenten gewandelt hat.»
Die Familie Rottensteiner gehört zu den ältesten Familien des Südtirols, die schon seit vielen Generationen mit dem Weinbau verbunden sind. Zehn Hektar zählen zum Besitz, wobei Trauben von 60 verschiedenen Produzenten dazugekauft werden, was die Jahresproduktion von 450 000 Flaschen erklärt. Hannes Rottensteiner zur Seite steht seit einem Jahr seine Frau Judith (32). Sie kümmert sich im Familienbetrieb um den Verkauf und das Marketing und hat dieses Jahr die Ausbildung zum Sommelier abgeschlossen.
Hauptsächlich werden bei Rottensteiners Vernatsch und Lagrein abgefüllt. Vernatsch ist mit 1450 Hektaren die am meisten verbreitete Rebsorte. Hellrubinrot, leicht trocken und fruchtig ist sie wegen ihres tiefen Säuregehalts und des minimalen Tanninanteils mild und bekömmlich. Aus der autochthonen Traubensorte entstehen Lagenweine wie Kalterersee, St. Magdalener – wie bei Rottensteiner – oder Meraner. Der Weinführer Gambero Rosso zeichnete die Sorte erstmals mit drei Gläsern aus (den St. Magdalener Pfannenstilhof 2011 am Eingang zum Eisacktal). Das bleibt sonst vor allem Spitzengewächsen aus der Toskana und dem Piemont vorbehalten.
Der Lagrein hingegen bringt dunkelgranatrote, kräftige Weine hervor, mit Aromen von Waldbeeren, frischen Kirschen und Veilchen. Seine Verbreitung ist rund dreieinhalb mal kleiner als jene des Vernatschs. Rottensteiner legt Wert darauf, dass die Konsumenten die reinsortigen Weine sofort erkennen, und verzichtet deshalb bis auf Lagrein, Blauburgunder und Cabernet bewusst auf den Einsatz von Barrique.
Weissburgunder, Müller-Thurgau und Gewürztraminer gehören zu den wichtigsten weissen Rebsorten bei Rottensteiner. Der Gewürztraminer ist die dritte ursprüngliche Rebsorte im Südtirol. Sie stammt aus dem Weindorf Tramin an der Südtiroler Weinstrasse und hat von hier aus zu ihrem Siegeszug in der ganzen Welt angesetzt. Der Gewürztraminer ist besonders aromatisch, würzig und körperreich. Nur: Unter den Südtiroler Weissweinen schwindet die Bedeutung des Gewürztraminers: Die Anbaufläche von Pinot Grigio, Weissburgunder und Chardonnay (in dieser Reihenfolge) ist grösser.
Die Töchter wie die Mutter
Für einen der grössten Gewürztraminer des Südtirols sorgt Elena Walch (63). Der italienische Weinführer Gambero Rosso adelt ihren Kastelaz regelmässig mit «tre bicchieri» (auch den Riserva Lagrein). Die einstige Architektin Walch sagt von sich, dass sie – wie die Mutter Gottes zum Kind – zum Weinbau gekommen ist. Sie hat einen Winzer geheiratet. Als sie in den Winzerberuf einstieg, entschied sie sich, hohe Qualität in niedrigen Mengen zu produzieren. «Das war eine investitionsträchtige Entscheidung, die sich als sinnvoll erwiesen hat.» Vor 20 Jahren sei sie mit dieser Taktik Aussenseiterin gewesen. Walch, die als Tochter von Südtirolern in Mailand aufgewachsen ist, erklärt: «Die Grossstadt hat mich eine gewisse Selbständigkeit gelehrt.» Heute sei das Südtirol mehr denn je Italiens Vorzeigeland für Weissweine. «Doch die Klimaerwärmung sorgt dafür, dass wieder vermehrt auf Rotweinsorten geachtet wird.»
Der 145-jährige Familienbetrieb kommt bei 55 Hektar auf eine Produktion von einer halben Million Flaschen, wobei sich die Lage Castel Ringberg ausserhalb der Gemeinde Kaltern mit Chardonnay, Lagrein und Cabernet Sauvignon wunderschön oberhalb des Kalterersees ausbreitet. Kastelaz hingegen ist der einzigartige Weinberg mit Gewürztraminer und Merlot in Südlage direkt in Tramin. Schön für die Familie Walch: Tochter Julia hat sich in Bordeaux und Dijon weitergebildet, ihre Schwester Karoline im australischen Adelaide. «Mitte 2013 haben beide zugesagt, in den Betrieb einzusteigen», freut sich die Mutter.
Hanglagen werden interessant
Die Familie Robert und Birgit Sinn aus Oberplanitzing in der Nähe von Kaltern ging erst 2013 mit 8000 eigenen Weinflaschen an den Start. Bis dahin hatten die Betreiber des Biobauernhofs St. Quirinus ihre Trauben, die auf 2,5 Hektar wachsen, der Genossenschaft Kaltern abgegeben. «Für mich war es eine Freude, die Weine selbst fertig zu machen», sagt Winzer Robert Sinn. Er stellt fest, dass seine Trauben als Folge der Klimaerwärmung früher reifen. «Deshalb ist es heute möglich, vermehrt in Hanglagen interessante Weine zu produzieren.» Robert Sinn setzt auf Sauvignon Blanc, pilzresistente, autochthone Traubensorten, Vernatsch, Blauburgunder und Merlot. Jeder Gast, der bei ihm Ferien in einer der vier Gästewohnungen auf dem Bauernhof macht, erhält als Willkommensgeschenk eine Flasche Kalterersee und Bioapfelsaft. «Mein Ziel ist es, so viel wie möglich direkt ab Hof und über das Internet zu verkaufen», sagt Sinn.
Zu den wichtigsten Märkten ausserhalb Italiens gehören bei Elena Walch ferne Länder wie Brasilien, China und die USA, aber auch Deutschland und die Schweiz. «Wir profitieren vom starken Tourismus aus den deutschsprachigen Ländern.» Die Familie Rottensteiner wieder um setzt 60 Prozent ihrer Weine im Südtirol sowie im Rest von Italien ab. Auch Rottensteiners stellen fest, dass der Verkauf ab Hof dank der steigenden Tourismuszahlen zugenommen hat. Die Werte entsprechen ziemlich genau dem Südtiroler Durchschnitt: 35 Prozent aller Südtiroler Weine werden exportiert.
Der Winzer ist überzeugt: «Wenn das Südtirol erfolgreich bleiben will, muss es seine Stärken ausbauen und weniger bei den Schwächen aufholen.» Das heisst: keine Versuche mit neuen Traubensorten, sondern die bewährten Reben aufgrund der Klimaveränderung höher hinaufpflanzen. «Das ist ein langer Prozess. Wenn ich heute eine Rebe pflanze, bringt sie erst nach zehn Jahren Qualität», sagt Rottensteiner. Elena Walch pflichtet ihm bei: «Das Südtirol muss dem eigenen Stil treu bleiben, also sortentypische, elegante und mineralische Weine produzieren. Diese sollen sich nicht mit anderen Provenienzen messen.» Ihr Chardonnay werde nie die Fülle südlicherer Gegenden erreichen. Dafür sei er umso eleganter. «Wenn wir diesen Weg konsequent weitergehen, werden wir erfolgreich bleiben.»
Text und Bilder Reto E. Wild