Erkundet man das Heilige Land von Nazareth nach Bethlehem auf Naturpfaden, so trifft man auf eine uralte Kultur, die auch jetzt in den schwierigen politischen Zeiten voller Gastfreundschaft ist.
Bethlehem ist lärmig und überfüllt. Die Fassaden der Stadt sind mit schrillen Plakaten von Souvenirshops überkleistert, entlang der Strassen türmt sich der Abfall, Touristentrupps drängen sich durch die engen Gassen. Ihr Ziel: die Geburtskirche Jesu Christi. Sie ist für viele Israel-Reisende der einzige Stopp im palästinensischen Hoheitsgebiet. Das ist schade. Denn nur wer das palästinensische Westjordanland zu Fuss erkundet und die überfüllte Kleinstadt Bethlehem hinter sich lässt, erlebt den Zauber der urtümlichen Landschaften und eine uralte Kultur, deren Bauwerke und Traditionen hier abseits der grossen Touristenströme besucht werden können.
Unsere Reise beginnt im israelischen Nazareth, von wo aus Josef und Maria vor rund 2000 Jahren aufgebrochen sein sollen, um sich auf Geheiss des römischen Kaisers Augustus in Bethlehem in die Steuerliste einzutragen. Auf ihren Pfaden wollen wir in acht Tagen nach Bethlehem wandern. Den Checkpoint südlich von Nazareth überqueren wir ohne Probleme. Nedal, der in einem palästinensischen Flüchtlingslager aufgewachsen ist und uns auf der langen Wanderung als Guide begleiten wird, erwartet uns bereits. Sein strahlendes Lächeln lässt uns die uns umgebenden, bedrohlich wirkenden Grenzzäune vergessen. «Marhaba», ruft Nedal uns zu. «Willkommen in Palästina.» In der Kleinstadt Jenin am nördlichen Rand des Westjordanlandes stossen der Hirte Habib und sein Esel zu uns. Der Esel verleiht der kleinen Wandertruppe einen biblischen Touch – und ist natürlich willkommener Lastenschlepper an anstrengenden Wandertagen.
Theater-Kurse statt Märtyrer-Tod
In Jenin werden wir Zeuge der notgedrungenen Kreativität der Palästinenser. Im Freedom Theatre lernen Jugendliche in Theater- und Multimediakursen die traumatischen Kriegserlebnisse zu verarbeiten. Der junge Palästinenser Adnan leitet die Institution seit 2006. Zwei seiner Brüder haben sich aus Verzweiflung in die Luft gesprengt. «Ich wähle einen anderen Weg, dem Konflikt zu begegnen, und versuche, den Jugendlichen eine friedliche Insel der Kreativität zu bieten», sagt er. Kreativität wird ihnen in vielen Lebensbereichen abverlangt. Die knappen Ressourcen, der immer wieder aufflackernde Konflikt mit Israel: Sie fordern viel Improvisationsvermögen von der lokalen Bevölkerung. In der Beduinen-Zeltstadt Auja werden wir Zeuge, wie Familien in ihrer Not eine israelische Wasser-Pipeline anzapfen, um in der elenden Trockenheit überhaupt über leben zu können. Und im Hirtendorf Duma erfahren wir, dass der fehlende Muezzin kurzerhand durch eine Radiostation ersetzt wurde, die fünfmal täglich wie ein Wecker durch rauschende Lautsprecher zum Gebet aufruft.
Zwischen den Dörfern wandern wir durch raue, wunderschöne Landschaften. Im Norden ist die Szenerie geprägt von Olivenhainen und Pinienwäldern. Südlich der alten arabischen Stadt Nablus verlassen wir die Hochebene und klettern durch die Auja-Schlucht hinunter ins Jordantal. Die Menschen, die hier leben, leiden unter der ewigen Trockenheit in der kargen, einsamen Weite. Uns Touristen beeindruckt sie mit ihrer Schönheit. Wir wandern entlang dem Jordan-Fluss und gelangen nach Jericho. Weiter im Süden kraxeln wir über die riesigen Sanddünen der Wüste von Judäa. Entlang des Weges liegen uralte heilige Stätten wie ein Moses-Grab und das Kloster Mar Saba.
Doch, so imposant die Landschaften und die Kulturschätze im Heiligen Land auch sind: Was uns bleibt, sind vor allem die warmen Begegnungen mit den Palästinensern selbst: unsere christlichen und muslimischen Gastgeber, bei denen wir übernachtet haben; die freiwilligen Helferinnen, die uns im Frauenzentrum von Acraba bewirtet haben; die tanzenden Pfadfinder im Flüchtlingslager Al Fara‘a. Westjordanland – das wissen wir nach 130 Kilometern durch das heilige Land – hat auch in diesen politisch schwierigen Zeiten enorm viel Wärme zu bieten.
Text und Bilder Samuel Schumacher
Oh ja, die schönsten Flecken auf der Erde sind oft neben den großen Attraktionen zu finden.