Bild: Lanzarote Tourismus
Lanzarote, die nördlichste der Kanaren-Inseln, ist im Vergleich zu ihren Schwestern erstaunlich idyllisch geblieben. Das ist zu grossen Teilen einem aussergewöhnlichen Künstler zu verdanken.
Wie eine vorstehende Wirbelsäule teilt eine Vulkankette das rund 50 Kilometer lange Lanzarote in zwei Hälften: die östliche, von der Bergkette etwas windgeschützte Seite mit den hellen Stränden, der Hauptstadt Arrecife und den üblichen, ödebunten Touristenzentren – und die westliche, schwarze und windgepeitschte Seite.
Hier und da ist die raue Lavakruste der Insel durchsetzt mit grossen und kleinen Edelsteinen – von der Natur oder von Menschenhand geschaffen.
Beginnen wir mit den kleinsten, den OlivinKristallen, die der jüngste Vulkanausbruch Mitte des 18. Jahrhunderts an die Erdoberfläche katapultiert und in einem breiten Lavastrom bis an die südliche Küste gespült hat. Unablässig nagt seither der raue Atlantik an den hohen Klippen und spült in der nächsten Bucht den abgeschabten schwarzen Sand wieder an Land. Zwischen den groben, pechschwarzen Sandkörnern schimmern dort dann neben weissen Muscheln auch die blassgrünen Halbedelsteine – ein Sammlerparadies, wenn nur der Wind nicht wäre.
Einen Katzensprung weiter nördlich geht es Grün auf Schwarz weiter: Die mattbraunen Hänge und Täler sind mit saftig grünen Rebstöcken gesprenkelt. Obwohl auf der Insel praktisch kein Regen fällt und somit auch fast kein Grundwasser existiert, sind die Bauern dennoch fähig, dieser wohl fruchtbaren, aber staubtrockenen Erde Leben zu entlocken. Die Lanzaroteños nennen sie deshalb auch Magos – Zauberer.
Die Erde als Lehrmeister
Ihr Lehrmeister war die Erde selbst: Nach den jüngsten Vulkanausbrüchen bemerkten die Landwirte, dass diejenigen Felder, die von einer mehrere Zentimeter dicken LavaKiesschicht bedeckt worden waren, viel ertragreicher waren als jene, die der Sonne voll ausgesetzt waren. An den kleinen, porösen Steinchen, der sogenannten Vulkanasche, kondensiert in der Nacht nämlich die Feuchtigkeit der warmen Passatwinde, sickert in die Erde darunter und verdunstet dank der Isolationsschicht trotz des unablässigen Windes auch am Tag nicht mehr.
Fortan gruben die Bauern also Trichter in den schwarzen Sand und pflanzten darin, windgeschützt, ihre Reben. Der Aushub wurde auf die Felder darum herum verteilt, wo auch heute noch das Gemüse ohne künstliche Bewässerung gedeiht. In jahrhundertelanger Handarbeit haben die Landwirte auf diese Weise ein ganzes Tal in ein Gesamtkunstwerk verwandelt. Sein Name Geria ist auch die Bezeichnung für die Trichter selbst, in denen die bis zu 180 Jahre alten – von den europäischen Seuchen verschont gebliebenen –, knorrigen Weinstöcke wachsen. Ihre Weine haben die Farbe von Rubin und Citrin.
Kunst für die Schönheit der Natur
Neben den Naturkünstlern haben aber auch einige Künstlernaturen die Insel nachhaltig geprägt. Der Architekt, Maler und Objektkünstler César Manrique (1919–2002) ist der wichtigste unter ihnen. Ihm ist es zu verdanken, dass der Bauboom der 70erJahre die Insel nicht wie ihre Schwestern verschandelt hat und dass das Eiland als ganzes 1993 zu einem Biosphärenreservat erklärt wurde. Doch der weit gereiste Manrique war nicht nur ein Verhinderer von touristischen Grossprojekten und Bewahrer der ursprünglichen Inselarchitektur, sondern auch der Erschaffer von Kunstobjekten, welche die Schönheiten der Insel noch hervorheben. Nach dem Beispiel seines Wohnhauses, das er mit viel Phantasie in und über fünf erstarrten Lavahöhlen errichtet hat, entstanden weitere Bauten, die dank ihrer Originalität Kunst und Architekturinteressierte anlocken: Jameos del Agua ist ein halb über, halb unterirdisch angelegter Garten mit einer Bar, einem Höhlensee und einem grossen Konzertsaal. Hier, wie auch in Manriques zweitem Wohnhaus, das er nach dem Ansturm seiner Fans auf sein erstes Haus etwas abseits baute, fühlt man sich zu weilen in die Kulisse einer der älteren JamesBondFilme versetzt: Nierentischchen, afrikanische Masken und Souvenirs aus aller Welt, konkave Panoramafenster, orange Plastik und braune Plüschsessel und aquamarinblaue Pools auf weissem Grund.
Eine zeitgemässe Interpretation von Manriques Idee einer respekt und phantasievollen Kombination von Natur, Kunst und Architektur findet sich in einem aufgegebenen Steinbruch in der Mitte der Insel: das Wohnhaus, das Manrique für einen britischen Auftraggeber wie ein Schwalbennest an die senkrechte Wand geklebt hat, ist in den Folgejahren unter neuen Besitzern durch ein Labyrinth an Gängen ergänzt worden. In den halb offenen Höhlen, die sie verbinden, plätschern künstliche Wasserfälle, duften Jasminbüsche und trillern Vögel. Omar Sharif soll sich bei einem Filmdreh in das Anwesen verliebt, es gekauft und bei einem BridgeSpiel umgehend wieder verloren haben. Heute ist das LagOmar als Museum mit GourmetRestaurant und Ausstellungsräumen für lokale Kunst der Öffentlichkeit zugänglich.
Böse Vermutungen
Manriques farbenfrohe und kindlich verspielte Spuren prägen die Insel in Form von aussergewöhnlichen Bauten und riesigen Windspielen entlang der Hauptstrassen noch heute. Doch hat nach seinem Tod die Zersiedelung der Landschaft mit Baggerschneisen und gesichtslosen Industriehallen eingesetzt. Es wird gemunkelt, dass der Autounfall, bei dem an einer Kreuzung ein Jeep in Manriques Jaguar raste, kein Zufall war. Zu lange wohl mussten die wirtschaftlichen Interessen den Bemühungen, die Identität der Insel zu schützen und zu pflegen, hintanstehen. Jetzt bleibt bloss zu hoffen, dass der Fortschritt die Schätze der Insel nicht wieder zuschüttet.
von Lucie Paska