Den «New York Sound» gibt es nicht – er klingt an jeder Ecke anders. Wo gestern noch ein Club war, ist heute eine Boutique, wo im Keller einst die Bands tobten, wird nun diniert. Ein musikalischer Spaziergang durch die Stadt der Träume, die unzählige Songwriter inspiriert hat.
New York, das ist der Beat eines Basketballes, der von Jungs auf dem Gehsteig nachhause gedribbelt wird, es ist das Pfeifen der Subway in den Kurven, das Lachen von Menschen vor Lokalen, das Dröhnen der Busmotoren und die Sirenen der Dienstfahrzeuge. Dazwischen Fetzen von Musik aus offenen Autofenstern, aus Shops und Kneipen. Sie stammen aus allen Ecken der Welt, mischen Stile und Formen und gehen zusammen im Rhythmus der Stadt auf.
New York City gibt den Beat vor. Die Stadt bestimmt ihn selber, er ändert mit dem Wetter, passt sich dem Wind oder dem Verkehrsfluss an, schleicht in die Subway und dann übers Wasser nach Staten Island, zum Rap des Wu Tang Clans und dem Pop von Lady Gaga, dem Rock von Velvet Underground, Sonic Youth und The Strokes nach Manhattan, hinein nach Brooklyn zu Tausenden von Bands in engen Proberäumen mit grossen Träumen, hin zur grossen Lippe von Jay-Z, dem Rapkönig der Stadt, dann nach Queens, zum Punk von den Ramones und den Lieblingssongs der Immigranten aus den 193 Ländern in New Yorks meistbevölkertem Stadtteil.
Schnell ist er, der Herzschlag der Stadt, ein Kommen und Gehen. Wo gestern noch ein Club war, ist heute eine Boutique; wo im Keller einst die Bands tobten, wird heute diniert. Zeit für Verklärung gibt es nicht, so schnell wie eine Szene in der Stadt auftaucht, so schnell ist sie vorbei. In New York geboren ist hier kaum einer, hierhin kommt man auf Besuch, manche kurz, manche für immer – so auch Musikstile.
Aus dem Süden kam der Jazz, er passt auch heute noch bestens in die heissschwülen Sommernächte, in denen man sich nach coolen Melodien sehnt. Ob man dafür aber ins berühmte «Blue Note» gehen soll, wo immer wieder auch Woody Allen an der Klarinette auftritt, sei dahingestellt – die Klänge eines Saxafons in den verwehten Gängen einer Subway können ebenso verzaubernd wirken. Das Horn eines Schiffes im New Yorker Hafenbecken, das den Bänkelsänger aus seiner Bob-Dylan-Ballade aufschreckt, ebenso unterhaltsam.
Die richtig gute Musik aus New York definiert sich nicht über einzelne Stile, sie klingt immer dann am Besten, wenn jemand eine Strassenecke, eine Alltagsszene, ein New Yorker Erlebnis in ein Lied fassen kann, so wie etwa Billy Joel in «New York State of Mind», oder Alicia Keys in «New York», das unterdessen Frank Sinatra den Rang abläuft mit seinem Evergreen, wonach wer es in New York zu etwas bringt, es überall schaffen kann.
Ein Vermächtnis von Jimi Hendrix
Auf zum musikalischen Spaziergang durch New York, begonnen mit einem Frühstück in Tom’s Restaurant am Broadway und der 112. Strasse, das in Suzanne Vegas Song zu «Tom’s Diner» wird. Dann per A-Train mit Duke Ellington an die Mermaid Avenue in Coney Island, wo einst die Folklegende Woody Guthrie wohnte. Später spaziert man mit Simon und Garfunkel entlang der Bleecker Street nach Alphabet City, darauf die Avenue B hinunter, wo Iggy Pop wohnte und der Strasse einen Albumtitel widmete, weiter hinauf an Billy Joels «52nd Street».
Aber Achtung: No sleep till Brooklyn! Ein Trip durch New York auf den Spuren der Musik wird schnell zu einem «Walk on the Wild Side» – schön sind die Geschichten oft nicht, es gibt Tote und Tragödien, Drogen, Sex und unnötige Gewalt. Nicht die vergänglichen Rockpaläste und ihre Glitzerparties und Preisverleihungen haben in New York Geschichte geschrieben, sondern die oft dreckigen Strassen der Metropole.
Das gespenstische Dakota House an der 72. Strasse und dem Central Park, wo John Lennon seine letzten Jahre verbrachte, bevor er erschossen wurde. Das ehemalige Chelsea Hotel, wo sich Sid Vicious von den Sex Pistols und seine Freundin Nancy Spungen das Letzte gaben. An die 110. Strasse in Harlem, wo Bobby Womack zwischen Zuhältern und Gangstern in «Across 110th Street» zu überleben versuchte, dann an die Lexington Avenue und die 125. Strasse, wo Lou Reed in «Waiting for My Man» herumlungert. Hinunter an die 33. Strasse und die 3. Avenue, wo sich Dee Dee Ramone als Stripjunge anbot, um an etwas Geld zu kommen. Letzte Station: Das Studio Electric Lady im Greenwich Village, das Jimi Hendrix aufbaute, kurz bevor Drogen sein Leben beendeten.
New York wird gerne romantisiert, es ist die Stadt der Schnappschüsse, die daheim auf dem Computer aufgeblasen werden, eine Stadt der Träume, die Tausende von Songs inspiriert hat und Millionen von Menschen anzieht. Mit ihnen kommt eine Fülle der Musik in die Metropole am Hudson, die sich allen Schubladisierungen verweigert, dauernd auf der Suche ist und erst dann richtig ankommt, wenn die letzte U-Bahn schon abgefahren ist.
Nicht, dass kein Platz für Kitsch in New York wäre – aber er verstaubt schnell in den allgegenwärtigen 99 Cents Shops, die vom Blumentopf zum Metzgermesser alles anbieten und den Grossteil der armen Bevölkerung bedienen. Hier findet man die ehrliche Route in der verschlagenen Stadt, jene Welt, in der Street Credibility nicht mit Dollars gekauft werden kann, das Portal zur kreativen Quelle New Yorks, die keine Falschheit zulässt. Selbst in den Songs, die sich über New York beklagen – den Reimen von Nas oder Mos Def etwa – wird eine grosse, unbestechliche Liebe für die Stadt enthüllt.
Treffpunkt für Warhol und die Stones
Wo alles 24/7 ist, währt nichts lange – die Geschichte legendärer, allesamt nicht mehr existierender New Yorker Clubs ist beeindruckend, wer ein Jahrzehnt überlebt, wird fast automatisch zum Kult. Zur Wende zu den 70er Jahren war es das Fillmore East an der 2. Avenue und 6. Strasse in Manhattan, das Geschichte schrieb und Jimi Hendrix, Frank Zappa oder Miles Davis auf die Bühne brachte, 1971 schloss es die Türen bereits. Max’s Kansas City, wo Dichter auf Musiker trafen, Andy Warhol und Velvet Underground mit Bowie und den Rolling Stones abhingen, war mit einer Welle von Punks um die New York Dolls ein zweiter Frühling vergönnt, ein dritter Neustart aber nicht von Erfolg gekrönt. Das CBGB’s im East Village schwamm lange gegen den Strom – musste aber 2006 auch abdanken. Die Bowery, einst die Strasse der Bettler und Säufer, hatte sich in einen Boulevard der Boutiquen, teuren Restaurants, Galerien und Museen verwandelt, Rock’n’Roll passte nicht mehr hin.
Die Liste ehemaliger Konzertorte in New York ist lange, sie hat sogar ihren eigenen Wikipedia-Eintrag: Gegenwärtig umfassen die «Former Music Venues in New York City» über 40 Namen, darunter so klingende wie das Palladium (Springsteen, Stones, Clash, U2 …), der Electric Circus (Andy Warhol und Velvet Underground, Sly and the Family Stone …), The Gaslight Cafe (Alan Ginsberg, Bob Dylan, Joni Mitchell …), The Bottom Line, The Cooler und Tonic.
Wirklich schlimm ist das nicht – der Beat mag in weiten Teilen Manhattans verklungen sein, in anderen Stadtteilen bleibt er quicklebendig. Das eintönige Stampfen der Maschinen, die an Wolkenkratzern für Reiche bauen, hat zwar bereits weite Teile von Williamsburg in Brooklyn erreicht, wo in den vergangenen zwei Jahren eine feine Rockbühne nach der anderen verschwunden ist: Die Glasslands Gallery, das Death by Audio, 285 Kent. Dafür sind in den Quartieren weiter aussen, in Bushwick etwa, in Ridgewood und Sunny Side, Queens, eine Reihe neuer Lokale aufgegangen, die den Geist einer «Do It Yourself»-Szene weitertragen, in einer Gegend wo sich die Musiker die Mieten noch knapp leisten können – es empfehlen sich Besuche etwa in der Silent Barn, dem Palisades, The Keep oder The Shop in Bushwick.
Keith Richards Luxusbleibe
Vor dem rücksichtslosen Gleichschritt des Kommerzes bleibt man aber auch hier nicht sicher: Die tollste Neuerung, The Wick, auf einem grosszügigen alten Fabrikareal, wo eben noch die britischen Sleaford Mods ihr rasantes US-Debüt gaben, macht bald dicht: Anstelle der alten Fabrik sollen Luxusuwohnungen entstehen.
Etwa eine solche, wie sie sich Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards mit Ehefrau Patti Hansen zu Weihnachten vergangenes Jahr gekauft hat: Für ein Penthouse an der 5th Avenue legte die Rocklegende 10,5 Millionen Dollar auf den Tisch – ein Schnäppchen: Eigentlich hatten die Makler das Apartment für 15 Millionen ausgeschrieben. Lärmbelästigungen haben die Nachbarn kaum zu erwarten: Keith Richards gehört zu den vielen Multimillionären, für die ein Luxusapartment in New York zum Portfolio gehört, ohne wirklich hier zu wohnen: Richards hängt am Liebsten in Jamaica mit seinen Reggae-Kumpanen ab, die Kollegen Jagger, Bowie und vielleicht auch den Englishman in New York, Police-Sänger Sting, trifft man hie und da zu Geburtstagsfeten und ähnlichen Paraden der Altstars im modernen Manhattan der Milliardäre, aber auch in «Billionsburg» und «Bourgewick», Richards und Jagger und Co landen dann auf den Celebrity-Seiten der «New York Post» und der «Daily News», während sich der wahre New York Beat weiterschleicht, schwer zu fassen, doch immer wieder neu.
Text Roman Elsener, Bilder Voka
Über Voka
«Jimi Hendrix hat ein absolutes Charaktergesicht»
Voka ist Voka. Der Name bedeutet alles und nichts. «Schon als Zehnjähriger habe ich meine Bilder so unterschrieben», sagt Voka. Woher der Name kommt, weiss er nicht mehr. «Er hat auf jeden Fall nichts mit meinem bügerlichen Namen zu tun.» Wie der lautet, ist inzwischen unwichtig. Voka hat sich etabliert – als Name und als Küstler. Die vier Buchstaben hängen in Wohnzimmern von Sammlern in New York, Miami, Moskau und in England. Sie kennzeichnen grosse, farbintensive Bilder, eindringliche Porträts, Strassenszenen aus Metropolen dieser Welt, Momentaufnahmen von Menschen, die in Bewegung sind. Es sind Explosionen von Farben, ausdrucksstarke Kompositionen, die es so nicht einmal gegeben haben muss. «Wenn ich in einer Stadt bin, mache ich Schnappschüsse oder Skizzen von Szenen, die mir gefallen. Zuhause male ich sie ab Bild und manchmal ist dann eine Gruppe Leute, die mir in Wien gefallen hat, plötzlich in New York.» Denn Kunst muss schön sein, findet Voka. «Ich will etwas Ästhetisches schaffen, optimistische Bilder. Die Welt ist schon düster genug.» Es sind spontane Werke, die in einem äusserst dynamischen Prozess entstehen, wie sich in den Youtube-Videos auf der Website des Künstlers mitverfolgen lässt. Was jedoch so locker wirkt, ist das Resultat von 30 Jahren intensivem Selbststudium. «Ich habe schon als Teenager die Technik der alten Meister analysiert. In meinem Stil interpretiere ich die in der alten Kunst gültigen Werte neu und zeitgemäss. Meine Basis ist das genaue Zeichnen.» Spontanrealismus nennt der Österreicher seine Stilrichtung, und er vergleicht mit der Musik: «Um improvisieren zu können, braucht es enorm viel Übung, Fleiss und Technik.» Der Bezug zur Musik ist kein Zufall. Voka malt nur mit Musik im Ohr. Funky, soulige Klänge mit viel Rhythmus, sagt er. Er hat früher selber in einer Band Gitarre gespielt. Ein Vorbild war Jimi Hendrix. Niemanden anderen hat er auch schon so oft gemalt. «Er hat einfach ein absolutes Charaktergesicht und einen fesselnden Ausdruck.» Seine Porträts beschränken sich aber nicht auf Ikonen. Im Gegenteil. «Ich mag interessante Köpfe mit Ausdruck. Das kann auch ein alter Mann aus einem Bergdorf in der Schweiz sein.» Voka lebt selber in einem kleinen Dorf in den österreichischen Alpen. «Die Lebendigkeit grosser Städte fasziniert mich. Aber ich möchte nicht dort leben.» Voka wird in der Schweiz exklusiv von der Galerie Kunst 7 in Altendorf am Zürichsee vertreten. Unter anderem sind dort seine New York Bilder und verschiedene Porträts ausgestellt. sts
Cooler Artikel zu New York. Voka ist ein grossartiger Maler.