Eine gute Gelegenheit, die ostasiatische Insel Taiwan zu besuchen, ist das chinesische Neujahr. Dann trifft die stille Welt der papiernen Himmelslaternen auf schrille, laute LED-Shows.
Trommeln, Gebimmel und schräge Hornstösse widerhallen in einer der schmalen Quartierstrassen von Taiwans Hauptstadt Taipeh. Ohrenbetäubende Feuerwerkskracher mitten auf dem Asphalt bringen den dichten Verkehr für wenige Augenblicke zum Stehen und öffnen der kleinen Prozession von bunten Handschiebekarren und übergrossen Wächterpuppen mit schlenkernden, langen Armen den Weg zum Tempel. Hier wabern Weihrauchschwaden über Tische voller Blumen, Obstschalen, verpacken Esswaren und ein Gerüst mit hunderten von Schweinswürsten samt Schweinekopf, Füssen und Schwänzchen. Über all den Opfergaben thront eine schwarzgesichtige, goldgewandete Gottheit, der die Quartierbewohner zu Beginn des neuen Mondjahres ein aufwendiges Fest bereiten. Sie soll ihnen Erfolg und die Erfüllung all ihrer Wünsche sichern.
Doch nicht nur die Gottheit wird reich beschenkt, auch die Anwohner erwartet ein Festschmaus – offeriert von einer der reichen Familien des Viertels. Während die Männer für das taoistische Ritual zuständig sind, bereiten die Frauen in der improvisierten Strassenküche neben dem bunt bemalten und reich verzierten Tempel ein Mahl für 200 Personen zu: Gerupfte Enten wandern in einen Riesenkochtopf, Fisch wird eingesalzen, Knödel in Bambusdämpfer geschichtet, Gemüse kleingeschnitten, dampfende Suppe in bunte Porzellantöpfe geschöpft und Reis in Schälchen verteilt.
Leider sind wir nicht eingeladen, aber das macht nichts. Gekocht wird in Taiwan nämlich praktisch überall unverschämt gut. Wir sind allerdings nicht des Essens, sondern der berühmten taiwanischen Laternen wegen hier. Die Spur führt uns zuallererst in den hügeligen, dicht bewaldeten Norden der Insel, die etwas kleiner ist als die Schweiz und neben einem breiten, flachen Küstenstreifen im Westen eine bis zu 4000 Meter hohe Bergkette entlang der Ostküste aufweist. Es nieselt, und die Strasse windet sich durch einen Dschungel aus Baumfarnen, Bananenstauden, Bambus und Kletterpflanzen. Wie kalt, feucht und trist musste wohl das Leben der Minenarbeiter gewesen sein, die hier vor über hundert Jahren schufteten. Als der Kohleboom zu Ende ging, blieben entlang dem Gleis, das die Japaner während ihrer 50-jährigen Okkupation Taiwans vor dem Zweiten Weltkrieg zum Abtransport des Rohstoffs gebaut hatten, die drei ärmlichen Dörfer Jingtong, Pinxi und Shifen zurück, die sich langsam entvölkerten.
Wünsche fliegen lassen
Die Rettung kam aus Shifen, wo sich eine der alten Frauen an die Heissluftlaternen ihrer Jugend erinnerte, die ihre Vorfahren einst aus China mitgebracht hatten. Dort hatten sie strategische Bedeutung gehabt und dienten dem Militär zur Kommunikation. Hier sollten sie Wünsche in Erfüllung gehen lassen und Frieden bringen. Ihre selbstgemachten Lampions aus Reispapier, auf die man seine Wünsche schreibt und sie dann in den Himmel steigen lässt, fanden Anklang. Heute ist das Dorf ein regelrechter Pilgerort für Einheimische und Touristen. Und an Neujahr erst recht. Links und rechts des Gleises, das den Ort entzweischneidet, finden sich neben unzähligen Essständen vor allem Laternenverkäufer. Die Farbe der rund einen Meter hohen Laternen, die unten einen Bambusring mit einer Drahthalterung für das in Kerosin getränkte Brennpapier haben, bestimmt den Hauptwunsch: Rot steht für Gesundheit, Gelb für Reichtum, Blau für Karriere, Orange für Heirat, Violett für Lernerfolg, Rosa für Glück. Mehrfarbige Laternen kosten etwas mehr.
Nach dem Kauf werden mit schwarzer Farbe und Pinsel Wünsche und Segnungen auf die Lampions geschrieben. Müssig zu betonen, dass sich dabei die dekorativen chinesischen Schriftzeichen besser machen als unsere Schnürchenschrift. Zu zweit trägt man den Lampion dann, wenn gerade kein Zug kommt, vorsichtig mitten aufs Gleis – den einzigen freien Raum im Dorf – lässt sich fotografieren und zündet das Brennpapier an. In wenigen Sekunden bläht sich das Gebilde und beginnt hell zu strahlen. Losgelassen, strebt die warme Lichtkugel kraftvoll gen Himmel – trotz dem Regen. Ein stiller, berührender Moment. Viele Minuten lang kann man seinen Wünschen hinterherschauen, bis sie am Horizont verschwinden.
Neben den vergänglichen Himmelslaternen begegnet man in Taiwan aber vornehmlich den Tempel- und Dekorationslaternen, die Bäume, Häuser und ganze Strassenzüge zieren. Sie sind unglaublich strapazierfähig und trotzen ungeschützt monatelang Wind und Wetter. Ein Meister seiner Kunst nicht nur im Herstellen, sondern insbesondere im Bemalen von Papierund Stofflaternen ist Wu Dun-hou im ehemaligen Fischerdorf Lugang an der Westküste. Zwar wirkt sein Laden an einer staubigen Strasse im sonst malerischen Dorf etwas lieblos und vollgestopft. Aber er scheint sein Handwerk zu verstehen, zu seinen Kunden zählen die meisten grossen heiligen Stätte wie auch die Regierung.
Bei unserem Besuch ist einer seiner Söhne am Werk. Die Tempellaterne, die er in Arbeit hat, besteht aus einem engmaschigen Bambusgeflecht, das mit Stoffbahnen umklebt und mit weisser Ölfarbe übermalt ist. Mit ruhigen Strichen zeichnet er einen Drachen mit goldenen Schuppen, ein Symbol für Glück. An der Decke baumeln rote Kugeln mit goldener Schrift, die für eine Hochzeit bestellt worden sind, und ein Stück mit einer filigranen Tuschlandschaft. Wie die stilisierten Motive haben sich auch die Formen der Laternen über die Jahrhunderte nur wenig verändert.
Luftschlösser und Prinzessinnen
Ganz anders halten es da die modernen Künstler, deren Objekte aus Draht, transparenten Stoffen, Kunststofffolien und LED-Lämpchen wir bei der pompösen Eröffnung des alljährlichen nationalen Laternenfestivals auf einem riesigen Messegelände in einer der Grossstädte zu sehen bekommen. Hier scheinen der Fantasie keine Grenzen gesetzt: hunderte von bunten Fabelwesen, Tiere, Comic-Figuren, Schlösser samt Prinzessinnen, Piraten samt Schiffen und – es ist das Jahr des Schafes – ein über 20 Meter grosser in allen Farben blinkender Bock aus perforiertem Blech strahlen um die Wette auf ihren Podesten. Je ausgefallener das Motiv und je origineller die Ausführung, desto grösser die Chance, einen der begehrten Preise zu ergattern.
Der Andrang ist riesig, die Stimmung euphorisch und die Ansprachen von Präsident Ma Ying-jeou und Premierminister Mao Chi-kuo pathetisch. Nach dem Eröffnungsfeuerwerk folgen sich vor der VIP-Tribüne Trommler, Tänzer, Akrobaten – ein Querschnitt durch das reiche kulturelle Erbe der Insel, die sich territorial zwar zu China bekennen muss, aber sonst praktisch Eigenstaatlichkeit geniesst – eine Zwitterlösung, die den Taiwanern viel politisches Fingerspitzengefühl abverlangt. Doch so, wie sie kulturell die lauten und die leisen Töne beherrschen, sind sie es gewohnt, auch im Politischen scheinbar Unvereinbares zu vermählen.
Von Lucie Paska, Bilder Taiwan Tourism Bureau