Bild: RhB/swiss-image.ch/Andrea Badrutt
Der legendäre Glacier Express macht die Gäste nicht nur mit der spektakulären Schweizer Alpenwelt bekannt, sondern neu auch mit währschaften Spezialitäten der befahrenen Regionen.
Auf die Minute genau verlässt das Aushängeschild der Rhätischen Bahn (RhB) und der Matterhorn Gotthard Bahn (MGB) Brig. Kaum haben wir das Gepäck verstaut und Platz genommen, kommt die Bedienung und will wissen, wonach uns gelüstet; ein Cappuccino mit einem Stück Bündner Nusstorte würde den knurrenden Magen besänftigen. Während wir am Sitzplatz des Panoramawagens bedient werden und die zurückkehrenden Lebensgeister begrüssen, zieht draussen – hoch lebe die Entschleunigung! – gemächlich das Oberwallis vorbei. Tatsächlich lässt sich der herbe Charme der Alpen und Berge ohne jede Hektik geniessen, handelt es sich doch beim Glacier Express um den langsamsten Schnellzug der Welt. So werden zahlreiche Smartphones für verwacklungsfreie Selfies in Stellung gebracht, während das betagte japanische Ehepaar den Kellner um ein Erinnerungsfoto samt Bergwelt bittet. Dann ruft er zwei angelsächsischen Turteltauben «happy honeymoon» zu, und alle im Abteil heben das Glas auf die etwas verlegenen Jungverheirateten.
Regionale Spezialitäten
Bald erreichen wir Andermatt (1435 m), erklimmen anschliessend mühelos und bequem den Oberalppass (2033 m), steigen nach Disentis (1130 m) hinunter und fahren nach gut vier Stunden in Chur (585 m) ein. Landschaften wie aus dem Bilderbuch ziehen vorbei; tiefe Schluchten, sanfte Täler, pittoreske Dörfer, gewaltige Bergmassive. Vor zehn Jahren wurden neue Panoramawagen 1. und 2. Klasse in Betrieb genommen; nun rollen im Sommer bis zu drei Kompositionen und im Winter eine Komposition pro Richtung. Erstmals finden die-ses Jahr (bis 30. Juni) Bündner Wochen mit typischen Spezialitäten statt, gefolgt im Herbst (1. September bis 25. Oktober) von Walliser Wochen. Besonders stolz ist man auf den Speiseservice, werden die Gerichte – unter anderem Gerstensuppe, Bündner Teller, Capuns Sursilvans – doch frisch an Bord zubereitet und direkt am Sitzplatz serviert. Zur Auswahl stehen neben einem Dreigang-Menü auch Tagesteller sowie eine Anzahl À-la-carte-Gerichte.
Wer zwei weltbekannte Kurorte stilvoll miteinander verbinden will, steigt in St. Moritz zu und erreicht nach knapp acht Stunden Zermatt (oder umgekehrt). Auf den 291 Kilometern Streckendistanz überquert man nicht weniger als 291 Brücken – einsame Spitze ist der Landwasserviadukt mit 285 m Länge und 65 m Höhe –, durchquert 91 Tunnels – darunter den 15,4 km langen Furkatunnel – und durchfährt das Albulatal – eine Teilstrecke der RhB, die 2008 zusammen mit der Berninalinie ins Unesco-Welterbe aufgenommen wurde. Auch wer nicht zum verschworenen Zirkel der Bahnaficionados gehört, erkennt anhand der vielen Viadukte und Kehrtunnels inmitten einer wilden Landschaft, dass es sich bei der über 100 Jahre alten Bahnstrecke bezüglich Bautechnik und Linienführung um eine Meisterleistung handelt.
Angenehm überrascht reagieren die Passagiere auf die traditionellen Darbietungen während der Bündner Wochen an den Bahnhöfen entlang der befahrenen Strecke. Serviert wird ein gelungenes Potpourri aus Musik, Tanz sowie Handwerk der weiträumigen und ursprünglichen Bergkantone. Packende Landschaften, währschafte Kost, urchige Kultur: Mit diesem Dreiklang wird das Bild der besuchten Region dreidimensional. Und das andernorts störende Geschwätz dauernder Ansagen in verschiedenen Sprachen bleibt einem erspart – dank modernem Informationssystem via Kopfhörer. Und diese darf man als Souvenir erst noch gratis mit nach Hause nehmen.
www.rhb.ch/glacierexpress
www.rhb.ch/buendnerwochen
Von Werner Knecht
Bild: RhB/swiss-image.ch/Andrea Badrutt