Eine Reise zu Fuss und auf dem Velo durch Israel, Palästina und Jordanien zeigt Gräben auf, aber auch eine verbindende Faszination für die Geschichte und Schönheit der Region.
Kurz vor einem der wenigen jordanisch-israelischen Grenzübergänge gibt unser Bus den Geist auf. Wir stehen an einer staubigen Strasse im Jordantal, die sich durch ein Meer von leeren Treibhaus-Skeletten zieht. Nervös beobachten wir die untergehende Sonne und rechnen im Geist aus, ob wir es vor dem Schalterschluss um sieben Uhr wohl noch über die Grenze nach Israel schaffen und das Flugzeug nach Hause erwischen.
Aus zwanzig Minuten wird eine halbe Stunde und dann eineinhalb, bis der Ersatzbus erscheint; und eigentlich ist es schon viel zu spät, als wir nach halsbrecherischer Fahrt im Dunkeln beim ersten Polizeiposten halten. Doch unser jordanischer Reiseleiter hatte sich während der Fahrt ins Zeug gelegt, mit drei Handys gleichzeitig jongliert, und zu unser aller Erstaunen wird nach kurzer Verhandlung die erste Strassensperre beiseitegezogen. Weder auf der jordanischen noch auf der israelischen Seite scheinen die Beamten verärgert, dass sie wegen ein paar Touristen am Freitagabend Überzeit schieben müssen, und fertigen uns speditiv und freundlich ab – unglaublich und unerklärbar, wie so vieles auf dieser Reise.
Harmonisch und zerrissen
Begonnen hat sie in Ostjerusalem mit einem kühlenden Bad auf der Dachterrasse des St.-George-Hotels, von wo aus der Blick beim Schwimmen zuerst über das weisse jüdische Gräberfeld auf dem lang gezogenen Ölberg und beim Zurückschwimmen auf die Altstadt mit der imposanten dunklen Kuppel der Grabeskirche schweift. Einzig der golden schimmernde Felsendom versteckt sich hinter einem Neubau. Und er bleibt auch in den folgenden Tagen das Pièce de Résistance und ein Mysterium: muslimisches Terrain, von einer jordanischen Stiftung verwaltet und von israelischen Soldaten – die mit sicherem Blick an Gesicht, Haltung und Kleidung erkennen, wer Zutritt hat und wer nicht –, streng bewacht, gibt sich der heilige Ort unnahbar. Die knappen und ständig ändernden Öffnungszeiten für Nichtmuslime und die Menschenschlangen vor dem einzigen für diese reservierten Zugang geben klar zu verstehen: Man ist nicht erwünscht.
Auf den ersten Blick scheint die kompakte, sandsteingelbe Altstadt mit ihren gepflasterten, engen Gassen und der imposanten umlaufenden Mauer aus einem Guss. Doch wird man bald gewahr, dass sich kaum ein Bewohner des jüdischen Viertels in den muslimischen Bezirk hineinwagt und man auch im armenischen und im christlichen Teil so gut wie möglich unter sich bleibt. Verirrt sich dann mal eine naive, neugierige Touristin in das verwinkelte Araberviertel, kann es schon vorkommen, dass aus der dunkeläugigen Kindermeute Steine auf die vermeintliche «Yehude» (Jüdin auf Arabisch) zu fliegen kommen. Die latente Aggression, welche die Erwachsenen im Zaum zu halten versuchen, die Kinder aber genüsslich zur Schau tragen, äussert sich auch auf der anderen Seiten, wenn am Sabbat, an dem Juden zum Nichtstun verpflichtet sind, die orthodoxe schwarz gekleidete Kinderschar vorbeifahrende Autos bespuckt.
Heikler Brückenschlag
Sollten die äusseren Merkmale einmal Zweifel an der Religionszugehörigkeit lassen, dann sind es der Name oder der Akzent, die schnell verraten, ob jemand Freund oder Feind ist. Ein auffallendes Detail ist, dass die meisten Juden das sie umgebende Arabisch nicht verstehen, praktisch alle Palästinenser neben ihrer Muttersprache aber auch Hebräisch beherrschen.
So wie die Stadt Jerusalem ist die ganze Region und deren Bevölkerung von mehr oder weniger sichtbaren Gräben durchzogen. Die Fronten scheinen klar. Umso mehr empfindet man es als kleines Wunder, wenn für einmal Palästinenser, Juden und Christen nicht nur aus Notwendigkeit zusammenfinden. Interkulturelle Projekte gibt es viele, einen neuen Ansatz eher ökologisch-wirtschaftlicher Ausrichtung verfolgt das Ecopeace-Programm der staatlichen amerikanischen Friedensinitiative USAid, das nachhaltigen, grenzüberschreitenden Tourismus fördert. Unsere Drei-Länder-Wander- und Veloreise wurde von zwei israelischen und einem jordanischen Anbieter organisiert, wobei auch palästinensische Reiseleiter zum Einsatz kamen.
Aus Selbstschutz hängen sie die Zusammenarbeit mit dem «Feind» unter ihresgleichen allerdings nicht an die grosse Glocke. Gelegentlich wissen nicht einmal ihre Familien von ihrer Tätigkeit. Deshalb fehlen hier auch ihre Namen. Trotz dem Bemühen unserer Begleiter um neutrale Antworten auf unsere bohrenden Fragen waren ihre Standpunkte zuweilen – wie ein Abbild der Realität – diametral verschieden. Darob kam es unter ihnen zwar nie zum Streit, aber jeder bemühte sich um Richtigstellungen, zu unserer Bereicherung und Verwirrung.
Für Trittsichere und Hitzebeständige
Was dagegen alle verband, war die Begeisterung für das wunderschöne, geschichtsträchtige Land: Ob bei der flotten Velofahrt durch die hügelige Neustadt von Westjerusalem, die über die elegant-kühne Calatrava-Brücke führte – oder bei einer Wanderung durch das liebliche palästinensische Quelt-Tal Richtung Jericho in der West Bank. Immer wieder wurde die Bibel zitiert, wurden Bezüge zur politischen Situation aufgezeigt und Anekdoten erzählt. Die Gespräche verstummten nur, wenn das Terrain zu anspruchsvoll oder die Hitze zu drückend wurde.
Sind Ausflüge ins Westjordanland wegen der Checkpoints nicht jedermanns Sache, erfreuen sich die judäischen Hügel südwestlich Jerusalems auch bei den gestressten Hauptstädtern grosser Beliebtheit. Mit ihren Olivenhainen, der Macchia und den Weinbergen, wo man eiskalten Rosé, würzige Weiss- und kräftige Rotweine zu kosten bekommt, erinnern sie stark an die Toskana und eignen sich ausgezeichnet, um mit Fahrrädern erkundet zu werden. Auf Kultur- und Geschichtsinteressierte warten ausserdem riesige Kreidesteinhöhlen und 2000-jährige, bunt bemalte Nekropolen mit einem Unesco-Weltkulturerbe-Label.
Weltwunder zu entdecken
Zur Kategorie der naturgemachten Weltwunder zählt der noch etwas südlicher inmitten der Negev-Wüste gelegene weltgrösste Erosionskrater. Bei unserem Besuch wütete allerdings gerade ein Sandsturm, der das Retorten-Städtchen Mitzpe Ramon in einen surrealen gelben Nebel tauchte, die menschenleeren Strassen wie ein Set aus einem Katastrophenfilm erscheinen liess und den viele hundert Meter tiefen Grabenbruch direkt neben der Stadtpromenade in ein gespenstisches graugelbes Loch verwandelte. Am nächsten Morgen ging die Sonne kalt hinter einem Staubschleier auf – wenigstens würde es keine 40 Grad warm werden: ideales Kraterrand-Wander-Wetter also. Für das Fehlen der Weitsicht entschädigten uns zwei majestätische Steinböcke in wenigen hundert Metern Entfernung und Luchsspuren im Wadi-Sand.
Da wir früh aufgestanden waren, reichte die Zeit nach einem kurzen Autobahntransfer Richtung Süden sogar noch für einen Tauchgang in den warmen, fischreichen Wassern des Roten Meeres, bevor wir die Grenze nach Jordanien passierten; leider auch die Endstation für unseren Chauffeur und unsere israelischen und palästinensischen Begleiter. Mit den Koffern im Schlepptau überquerten wir zu Fuss die Grenze und wurden bereits von unserem jordanischen Reisebegleiter erwartet.
Genauso willkommen fühlten wir uns im gemütlichen Beduinencamp in der Nähe von Petra, wohin uns in der Dunkelheit schon von Weitem Hunderte kleine Lichter in Felsennischen den Weg wiesen. Die nabatäische Nekropole Petra ist in ihrer Grösse und Einzigartigkeit ebenso beeindruckend wie die miniaturisierte biblische Welt auf der erstaunlich akkuraten Bodenmosaikkarte aus dem 6. Jh in einer Kirche in Madaba. Und die 60-Kilometer-Schussabfahrt mit dem Rad vom 800 Meter hohen Mosesberg Nebo bis 400 Meter unter den Meeresspiegel ist ebenso atem(be)raubend wie die drückende Hitze am Ufer des ölig-warmen Toten Meeres. Hier stockt der Lebensrhythmus, die Zeit scheint stillzustehen.
Diese Reise war ein Gemeinschaftsprojekt des israelischen Wanderspezialisten www.sktours.net, des Veloreiseanbieters www.gordonactive.com und des jordanischen Aktivreisebüros www.experiencejordan.com. Als Paket buchbar bei Letzterem.
Text Lucie Paska, Fotos Matanya Tausig
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Matanya Tausig
Matanya Tausig ist 1981 in Jerusalem geboren und lebt heute mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn in Tel Aviv. Er hat Journalismus und Fotografie studiert und danach zehn Jahre lang für Nachrichtenagenturen wie AP, EPA und die grösste israelische Bildagentur, Flash90, gearbeitet. Seine Bilder sind unter anderem im britischen «Independent Magazine», im «Stern View» und der Tageszeitung «The Australian» erschienen und mehrfach in der Local-Testimony-Selektion der jährlichen World-Press-Photo-Ausstellung prämiert worden. Seit fünf Jahren arbeitet er auch für die Video- und Filmindustrie.
Sein nächstes grosses Projekt sind Realtime-Workshops für Amateure und professionelle Fotografen zum spannungsreichen Alltag im Nahen Osten, zu opulenten religiösen Zeremonien oder mystischen Momenten wie einer Taufe im Jordan.
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Der Tipp des Spezialisten
Auf alten Hirtenpfaden von Nazareth nach Bethlehem zu wandern, verspricht eine aussergewöhnliche Reise durch das Heilige Land. Die Strecke führt durch interessante Dörfer und unter alten Olivenbäumen hindurch. Treuer Begleiter ist ein Esel, der den Hirtenlunch trägt und wie selbstverständlich zur kleinen Wandergruppe gehört. Übernachtet wird in einfachen Hotels, bei christlichen Familien und bei Beduinen. Das Gepäck wird von einem Sammeltaxi von Ort zu Ort transportiert. Trotzdem erfordert das Programm eine gewisse Fitness, sind doch rund 140 Kilometer in Tagesetappen von 12 bis 18 Kilometern zu meistern. Startpunkt ist Nazareth, das Ziel die Geburtskirche in Bethlehem – dazwischen stossen die Wanderer auf den Jakobsbrunnen bei Nablus, die Taufstelle Jesu am Jordan und das Johannes-Kloster bei Jericho. Die nächste Reise startet am 18. November 2016 mit dem Swiss-Flug nach Tel Aviv.
Weitere Informationen: Imbach Reisen Tel. 041 418 00 00 www.imbach.ch