Von den eisblauen, wasserspendenden Gletschern Patagoniens bis zur trockensten Wüste der Welt – Chiles Naturschönheiten sind nicht nur zahlreich, sondern auch spektakulär.
Schon wieder landen unsere Worte im Nirgendwo. Klaubt sie der Wind aus unserem Mund und trägt sie davon. In das grosse, weite Nichts, das sich kilometerweit vor uns ausbreitet. Pampa, so flach und trocken wie ein Fladenbrot, gesprenkelt einzig mit trockenen Grasbüscheln. Der Wind, der das ganze Jahr über in Patagonien bläst, ist der Vertraute dieser Landschaft im Süden Chiles. Er hat sie geformt, zusammen mit den Gletschern, die das Land jahrtausendelang überzogen haben.
«Der Wind und die Gletscher waren auch die Gründe, warum die Chilenen nicht in den Süden ziehen wollten», erzählt Rodrigo, der uns vom Flughafen in Punta Arenas abgeholt hat. «Ihnen war es hier zu kalt und zugig.» Stattdessen kamen Schweizer, Spanier, Italiener, Kroaten, Deutsche – die dem Wetter trotzten und sich als Pioniere niederliessen. Die sich mit Seehundfett einrieben, um im eiskalten Wasser der Magellanstrasse nach Königskrabben zu tauchen, und sich mit Schaffellen die Kälte vom Leib hielten. «Ich habe mich an den Wind gewöhnt», erzählt Rodrigo, während er dem Lenkrad, das immer wieder auszubrechen droht, Paroli bietet. Seit zwei Stunden fahren wir auf der Ruta del Fin del Mundo gen Norden Richtung Torres del Paine. Der Nationalpark, der seinen Namen den 2800 Meter hohen Felsspitzen verdankt, gehört zum Welterbe der Unesco. Gletscher, Seen, Fjorde, Wasserfälle und schneebedeckte Berge geben eine Ahnung davon, wie einmal alles gewesen sein muss, bevor die Menschen begannen, sich die Erde zunutze zu machen. Wir passieren Anhöhen und Täler, vom Wind gebeugte Zypressen, Gauchos mit Schafherden, Strausse und Guanakos. Nur der Wind, der mit bis zu 150 Stundenkilometern übers Land fegt, der faucht uns immer noch an. Den Kondoren, die über uns kreisen, dient er als Mitsegel-Gelegenheit. Ab und an strampeln uns ein paar Mountainbiker entgegen. «Aber ich habe noch nie einen von ihnen lächeln gesehen», sagt Rodrigo und grinst. Als er vor 15 Jahren nach Patagonien kam, hat ihm die Landschaft sein Herz genommen. «Ich habe meine Frau an der Uni in Santiago kennengelernt», erzählt Rodrigo. «Wir haben dort beide Forstwirtschaft studiert. Sie kommt aus Patagonien. Seitdem ich ihre Familie hier zum ersten Mal besucht habe, wollte ich nie mehr weg.» Zwar fährt Rodrigo heute hauptsächlich Touristen durch das weite Land, von den Bäumen kann er aber immer noch erzählen. Warum der Himmel über Patagonien viel niedriger zu hängen scheint als anderswo, kann sich Rodrigo aber auch nicht erklären. Fast meint man, dass die Wolken einem den Kopf streicheln wollen. «Aber wenn man ein richtiges Himmelsschauspiel sehen möchte, dann muss man in die Atacama-Wüste reisen», rät Rodrigo. «Der Sternenhimmel dort ist unglaublich.»
Kontrast zwischen Nord und Süd
Die Atacama-Wüste liegt im Norden Chiles, an der Grenze zu Bolivien und Argentinien, auf rund 3000 Meter. Und wenn Patagonien die grüne Lunge Chiles ist, dann ist die Atacama-Wüste ihr trockener Husten. Ausser den Kupfer-, Gold- und Silberminen gibt es kaum Industrie hier – das und eine Luftfeuchtigkeit von unter zehn Prozent machen die Atacama zu einem Highlight für Astronomen. Wenn die Sonne abends als Feuerball am Horizont verschwindet und die Temperaturen innerhalb weniger Minuten Gänsehaut verursachen, übernimmt der Nachthimmel die Regie in der Atacama-Wüste. Tausende von Sternen überziehen das Firmament, ein Teppich aus funkelnden Stecknadelköpfen. Die Milchstrasse, das Kreuz des Südens, an dem sich die Seefahrer im 16. Jahrhundert orientiert haben, die Südliche Krone – alles scheint zum Greifen nahe.
Auf dem Berg Cerro Paranal wird derzeit das grösste Teleskop der Welt installiert. Das Hotelgebäude der Europäischen Organisation für astronomische Forschung diente im James-Bond-Film «Ein Quantum Trost» gar als Kulisse für den explosionsreichen Showdown. «In meinem Heimatort haben sie auch gedreht, mein Onkel und meine Tante sind im Film zu sehen», erzählt uns Joele, der aus dem Indio-Dorf Machuca stammt, stolz. Das kleine Dorf liegt auf dem Weg zu «El Tatio», dem grössten Geysir-Feld der südlichen Hemisphäre. Aus rund 80 heissen Quellen zischt und sprudelt es hier, steigen meterhohe Dampffontänen auf. Für Langschläfer ist der Ausflug allerdings nichts: Sobald die Sonne über den Berg steigt, versiegen die Fontänen wie von Geisterhand. Auf dem Weg zurück zum Hotel sehen wir, was vom Dunkel verschluckt wurde, als wir durch das Nachtschwarz der Hochebene gefahren sind: tiefe Schluchten, ausgetrocknete Flussläufe, der Vulkan Lincancabur, der den Inkas heilig war, sandfarbene Schilfbüschel, die «Fuchsschwänze» genannt werden. Und Kakteen. So gross wie Häuser, etwa 700 Jahre alt.
Ausgangspunkt für Ausflüge in die Atacama-Wüste ist San Pedro. Trotz zahlreichen Reiseveranstaltern, Hostels und Backpackers hat sich das Dorf seinen Charme bewahrt. Die flachen Lehmbauten und die baumbestandene Piazza spenden Schatten in der sengenden Mittagshitze. «Die Atacamenos haben angeblich einen halben Liter mehr Blut im Körper, weil er sonst nicht mit ausreichend Sauerstoff gesättigt würde. Es soll sieben Generationen dauern, bis diese Mutation wieder verschwunden ist», erzählt Joele. So arm die Wüste an Wasser ist, so reich ist sie an Naturschönheiten. Bilder, wie aus der Welt gefallen, so unwirklich sind sie. Die Chaxa-Lagune ist Teil der Salar de Atacama: eine schneeweisse Ebene, bedeckt von messerscharfen Salzkristallen. In der Ferne leuchten die Gipfel der Anden lachsrosa, vor uns die Chaxa-Lagune knallblau. Und mittendrin Hunderte von rosafarbenen Flamingos, die durch das seichte Wasser waten. Hier weht kein Wind, der unsere Worte davontragen würde. Das spielt aber auch keine Rolle. Wir haben ohnehin keine. Sie fehlen uns.
Text und Bilder von Tina Bremer
SEHENSWERT | ||
Torres del Paine Der berühmteste Nationalpark Patagoniens wurde von der Unesco zum Welterbe gekürt. Seine «blauen Türme» aus Granit, die vielen Seen und der Gletscher machen ihn zu einem Highlight für alle Naturliebhaber. Parque Patagonia Douglas Thompson, der Gründer der Labels Northface und Esprit, hat sich ganz dem Umweltschutz in Patagonien verschrieben. Der Parque Patagonia ist sein jüngstes Projekt. Punta Arenas Hier landen die Flieger aus Santiago. Die Stadt liegt direkt an der Magellanstrasse, es gibt mehrere Museen und Restaurants. | San Pedro Das charmante Dorf in der Atacama-Wüste ist Ausgangspunkt für zahlreiche Ausflüge. Rund um den lauschigen Hauptplatz gibt es viele hübsche Cafés und Restaurants. Sehenswert ist auch die 400 Jahre alte Kirche. Wer auf der Suche nach Souvenirs ist, wird im überdachten Markt fündig. Salar de Atacama Dieser riesige Salzsee ist berühmt für seine Flamingos. Ein Grossteil des Sees ist mit einer Salzkruste bedeckt, deren Zacken und Spitzen eine bizarre Landschaft geformt haben. Der obere Teil des Salar de Atacama besteht aber aus einer tiefblauen Lagune, die stellenweise auch zum Baden genutzt wird. | Tatio-Geysire Um es gleich vorwegzunehmen: Dieser Ausflug ist nichts für Langschläfer. Der Wecker klingelt in der Nacht, sodass man den Sonnenaufgang bei den Tatio-Geysiren miterleben kann. Denn nur wenn die Temperaturen um den Gefrierpunkt oder darunter liegen, spucken die Geysire Fontänen. Valle de la Luna Seinen Namen verdankt dieser Teil der Wüste der NASA, die hier Roboter-Experimente durchgeführt hat – die Landschaft ähnelt nämlich sehr der des Mondes. Lohnenswert ist ein Ausflug am späten Nachmittag, um mitzuerleben, wie der Sonnenuntergang die Umgebung in ein Meer aus Rottönen taucht. |