Hauptbild: Hauptbild Bartolomé, eine der Galapagos-Inseln. ©iStock
Kein Land hat pro Quadratkilometer eine grössere biologische Vielfalt: Auf Humboldts und Darwins Spuren entdecken die Forscher in Ecuador noch heute unbekannte Tierarten.
Die Schlange im Licht der Stirnlampe erstarrt. Eben noch wähnte sie sich unsichtbar in der Finsternis, aber Carlos Morochz hat sie längst entdeckt. Unerschrocken greift der junge Biologe ins Gebüsch. Das fingerdicke Tier windet sich um seine Hand: Sibon nebulata – eine Baumschlange. Die Nacht von Mashpi ist voller unbekannter Kreaturen und Stimmen. Aus dem Unterholz und den Baumkronen tönt das Quaken der Frösche, im Licht von Morochz’ Stirnlampe taumeln winzige Motten und fette Nachtfalter. Der Strahl der Lampe wandert von Blatt zu Blatt. Morochz ist auf der Suche nach einem Frosch, der erst vor wenigen Monaten wissenschaftlich beschrieben wurde: Hyloscirtus Mashpi, der Mashpi-Bachfrosch, ist sozusagen seine Entdeckung. Dem Biologen fiel vor Jahren auf, dass der Winzling sich deutlich von einer ähnlichen Froschart unterscheidet, die in höheren Lagen lebt. Nach umfangreicher Dokumentation wurde er schliesslich offiziell als eigene Art anerkannt.
«Es ist schon etwas Besonderes, eine eigene Art zu entdecken», sagt Carlos Morochz, «andererseits aber keine Überraschung.» Das Mashpi-Schutzgebiet gehört zu den von der Wissenschaft am wenigsten erforschten und vielfältigsten Regionen der Welt. Es ist Teil des Chocó-Bergnebelwaldes, der sich westlich der Anden von Panama bis in den Norden Ecuadors zieht. «Jede Art hat ihre eigene Nische im Nebelwald», erklärt Morochz, «und von einigen wissen wir bis heute kaum etwas.» Seit sechs Jahren forscht der 29-jährige Ecuadorianer im Wald von Mashpi und hat hier sein El Dorado gefunden. 106 verschiedene Amphibien und Reptilien leben hier auf wenigen Quadratkilometern, 400 der mehr als 1600 Vogelarten Ecuadors wurden im Schutzgebiet gezählt, darunter allein 35 Kolibriarten. Doch der einzigartige Biodiversitäts-Hotspot ist bedroht. «Nur etwa 8% des Bergnebelwaldes in Ecuador stehen noch», sagt Morochz. «Viele Arten sind wahrscheinlich für immer verschwunden, bevor sie überhaupt entdeckt wurden.»
Einzigartige Biodiversität
Der Strahl von Morochz’ Stirnlampe wandert weiter durch das Pflanzengewirr. Drei Arten von Baumfröschen hat Carlos innerhalb weniger Minuten im untersten Stockwerk des Bergnebelwaldes aufgespürt. Er entdeckt einen Zwergleguan, Vogelspinnen, riesige Tausendfüssler und faustgrosse Grillen. Aber Hyloscirtus Mashpi will sich nicht blicken lassen. «Ein bisschen Geduld. Wir werden ihn schon finden», sagt Morochz und ahmt mit einem spitzen dreiteiligen Pfiff dessen Lockruf nach. Und tatsächlich: Er erhält Antwort. Auf einer zusammengerollten Blattspitze wartet der ungeküsste Prinz der Baumfrösche und sieht den Biologen aus bernsteinfarbenen Glubschaugen an.
Wegen seiner Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen auf engstem Raum gilt Ecuador weltweit als das Land mit der grössten Biodiversität pro Quadratkilometer. Wer die einzigartige Natur des Andenstaats erkundet, wähnt sich an einigen Orten noch heute wie Alexander von Humboldt, der 1802 die Bergwälder und Vulkanlandschaften Ecuadors durchstreifte und unzählige Tier- und Pflanzenarten zum ersten Mal erfasste.
1835 sollte Charles Darwins Forschungsreise an Bord der Beagle die Expedition des Deutschen noch an Berühmtheit übertreffen. Drei Jahre nach dem Ecuador Besitz von den Galapagos ergriffen hatte, besuchte der britische Naturwissenschaftler die entlegene Inselgruppe und machte bahnbrechende Entdeckungen für sein Hauptwerk «Die Entstehung der Arten».
Entdeckergeist wie anno dazumal
Im Süden des Archipels hält das Expeditionsschiff Santa Cruz II Kurs auf die Insel Española. Wenn Touristen heute auf den Spuren von Darwin unterwegs sind, fühlen sie sich ein wenig wie Entdecker. Mit Zodiacs werden sie an den weissen Strand von Gardner Bay gebracht. Seelöwen räkeln sich im heissen Sand. Am Rand der Bucht dösen Meerechsen im schwarzen Lavagestein. Die Ankunft der Menschen scheint sie nicht zu stören. Der unbedarfte Tourist wähnt sich auf Entdeckungstour durch einen nie betretenen Garten Eden.
Im Depot der Charles-Darwin-Forschungsstation stapelt sich die Artenvielfalt der Galapagos in unzähligen Kisten und Schubladen: Vogeleier, Fellpräparate und riesige Krabben. Gustavo Jiménez-Uzcátegui zeigt seinen Gästen einige der wertvollsten Sammelstücke der Darwin Foundation. Wer den Alltag eines Galapagos-Forschers heute erleben will, folgt Jiménez-Uzcátegui nach Isabela, wo er die Vogelpopulationen kartiert. Über der gebirgigen Insel kreisen rotbäuchige Fregattvögel. Blaufusstölpel und die flugunfähigen Stummelkormorane brüten entlang der Küsten. Truppen von Pinguinen schiessen durch das Wasser auf der Suche nach Nahrung. Eine einsame Riesenschildkröte sieht zu, wie ein Landleguan von einem Kaktus nascht. Mehr als 180 Jahre nach dem Besuch Darwins gibt es hier für Forscher noch immer viel zu entdecken.
Von Win Schumacher
DER TIPP DER SPEZIALISTIN | |
Ecuador ist so vielseitig wie kein anderes Land in Südamerika und ein kontrastreicher Mix aus exotischem Dschungelabenteuer, andinem Hochland-Flair und charmanten Kolonialstädten. Quito, die «Stadt des ewigen Frühlings», bietet eine Fülle an Sehenswürdigkeiten, darunter die Altstadt – sie ist Unesco-Weltkulturerbe – und über 80 Kirchen und Kapellen. Die Königin der Blume kann bei einem Besuch auf einer Rosenfarm bestaunt werden. Ein Grossteil der Rosen auf dem Weltmarkt stammt nämlich aus Ecuador. Da das Land im Pazifischen Feuerring liegt, reihen sich in Ecuador dampfende Vulkane aneinander, weshalb die Andenkette zwischen Quito und Cuenca auch «Strasse der Vulkane» genannt wird. | Der Cotopaxi zählt dabei zu den Aktivsten. Man sagt, dass er mit einer Höhe von 5897 Metern und einem perfekt geformten Kegel auch der Schönste ist. Nur zu schlagen von der natürlichen Einmaligkeit der Galápagos-Inseln. Weitere Informationen: www.dorado-latintours.ch Tel. 058 702 60 45 Tipp von Gabriela Stauffer, Geschäftsführerin Dorado |
ÜBERNACHTUNGSTIPPS |
Die Mashpi Lodge liegt in einem der artenreichsten Gebiete Ecuadors inmitten des Chocó-Bergnebelwaldes. Von der Lodge aus werden Tag- und Nachtwanderungen angeboten, die von einheimischen Guides oder Biologen begleitet werden. www.mashpilodge.com In der historischen Hacienda La Cienega kann man in dem Zimmer übernachten, in dem schon Humboldt nächtigte. www.haciendalacienega.com Wer die biologische Vielfalt der Gala pagos erleben will, sollte auf jeden Fall mehrere Inseln auf einer Cruise besuchen. Ideal hierfür sind einheimische Kreuzfahrtschiffe wie die Santa Cruz II. www.santacruzgalapagoscruise.com Feinschmecker und Kulturliebhaber sollten unbedingt einen Zwischenstopp in Quito einplanen. Die Altstadt ist Unesco-Welterbe und gehört zu den schönsten Südamerikas. In der aufwendig restaurier ten Casa Gangotena speist man fürstlich. www.casagangotena.com Die Charles-Darwin-Forschungsstation in Puerto Ayora auf Santa Cruz steht auch Touristen offen. www.darwinfoundation.org |