Der Gotthard ist ein legendärer Mythos der Schweiz. Das Gebirgsmassiv belebt aber auch verklärte Jugenderinnerungen älter gewordener Töfflibuben.
Ein Glückspilz, wer einen Sohn hat, der einen alten «Sachs» restaurieren oder auf der Internetseite Ricardo souverän ersteigern kann. Ein Liebling der Götter (oder der eigenen Kinder), der ein solch antikes Schmuckstück von seinem Sohn gar ausleihen darf. Der Sachs-502-Oldtimer galt in den Sechziger- und Siebzigerjahren schliesslich als Harley Davidson unter den Töfflis.
Wenn zwei nicht mehr ganz junge Väter zur Feier ihrer 40-jährigen (legalen) Töfflivergangenheit auf den Sattel steigen, kann es nur ein Ziel geben: den Gotthard. Für jeden echten Töfflibub ist das legendäre Gebirgsmassiv das Pièce de Résistance, das es einmal im Leben mit dem «Hödi» zu überwinden gilt, um ins gelobte Land des Tessins zu fahren, wo zwar nicht Milch und Honig, aber immerhin Merlot, Bier und Grappa fliessen. Und dies in reichlichen Mengen. Wer sich auf eine nostalgische Zeitreise durch das Herz der Schweiz begibt, zumal mit zwei Töfflis, die kaum mehr als 30 Kilometer pro Stunde hergeben, braucht sich um den Spott nicht zu sorgen. Da sind einerseits die Töfflibuben der Gegenwart, die bereits im ersten Gang bedeutend mehr aus ihren Motoren herausholen als die verdutzten Herren im zweiten. Hier hilft weder leidenschaftliches Treten in die Pedalen noch der Versuch, im Windschatten den Anschluss nicht zu verlieren. Anderseits sind da die schweren Jungs, die an den Ampeln von ihren Bikes herab mit einem verschmitzten Lächeln – unklar ob aus Sympathie oder Mitleid – nett grüssen, während wir – etwas weniger entspannt – uns darauf konzentrieren, dass unsere Motoren vor dem Rotlicht nicht «absaufen». Ebenfalls nicht gerade erbaulich ist die ironisch gemeinte Verabschiedung der Biker, sie würden vor dem Gotthard campieren und am nächsten Tag auf der Passhöhe auf uns Nachzügler warten. Wahrlich, auf den wahren Töfflibuben warten grosse Herausforderungen. Sorgenfalten bereitet etwa der steile Aufstieg durch die Schöllenenschlucht, die vor dem Bau der Teufelsbrücke im 12. Jahrhundert gar ein unüberwindliches Hindernis darstellte. Schlimmer noch entpuppt sich freilich die Axenstrasse: Hier liefern sich schwere Brummer und holländische Wohnwagen-Fahrer harte Verfolgungswettkämpfe, deren Sinn offenbar auch darin besteht, möglichst nahe an den zwei alternden Cowboys, die gen Sonnenuntergang reiten, vorbeizupreschen.
Benzin von Walkers in Gurtnellen
Und wo tankt man ein Zweitakttöffli auf der Fahrt zum Gotthard? Tankstellen gibt es bekanntlich wie Sand am Meer. Aber Tanksäulen, an denen ein Benzin-Ölgemisch aufbereitet wird, sucht man zunehmend vergebens. Per Zufall treffen wir auf Hans Stern-Walker (85) und seine Frau Frieda (83), die seit den 70er-Jahren in Gurtnellen eine Tankstelle betreiben. Und tatsächlich erblicken wir hier eine Tanksäule für Zweitaktmotoren. «Nicht rumfummeln», ruft Frieda Walker aufgeregt, als wir den Ölgehalt im Benzin auf vier Prozent einstellen möchten. Die Saubengel aus der Region hätten ihr die Tanksäule kaputt gemacht. Man könne hier nur Benzin mit zwei Prozent Öl tanken. «Muesch halt no chli Öl nahfülle.» Wir freuen uns, dass uns das ebenso autoritäre wie sympathische Urgestein aus Gurtnellen einfach duzt. Schliesslich sind wir fast dreissig Jahre jünger als sie. Und nur zu gerne glauben wir an die Illusion, dass die Falten eines halben Jahrhunderts – zumal etwas versteckt unter dem ebenfalls geliehenen Skihelm der jüngsten Tochter – unsichtbar sind. Es ist, als würden wir aus der Ferne ein verschmitztes Dauergrinsen und ungläubiges Kopfschütteln unserer Söhne wahrnehmen. Sind wir oberpeinlich? Wir fahren weiter.
Valet-Service für Töfflis
Wir geben’s zu. So ganz wahre Töfflibuben sind wir nicht (mehr). Die Zelte haben wir zu Hause gelassen, übernachten werden wir im Hotel. Und: Wir wollen’s wissen. Wie reagiert das Fünf-Sterne-Hotel The Chedi, immerhin Hotel des Jahres 2017, wenn wir mit unseren nicht ganz so standesgemässen Gefährten vorfahren? Funktioniert der Valet-Service? Wie empfangen uns der Concièrge und die guten Seelen an der Réception, wenn wir in unserem etwas spontan gestylten Töffli-Outfit mit Jeans und Skihelm aufkreuzen?
Da und dort begegnen wir einem leicht verlegenen Lächeln, doch die Mannschaft reagiert durchwegs cool und professionell. Der Valet-Service funktioniert perfekt: Innert Kürze sind unsere kostbaren Schmuckstücke in der Garage parkiert und wir eingecheckt. Der Empfang ist herzlich, und wir fühlen uns sofort sehr wohl. Und das Hotel? Wir sind begeistert! «Der Erfolg des Hauses liegt im ‹Chedi Spirit›», sagt General Manager Jean-Yves Blatt. «In der perfekten Verbindung des ungewohnten Miteinanders von alpinem Chic und asiatischem Ausdruck. In der Kraft und Ruhe der umliegenden Bergwelt. Und im unendlichen kulinarischen Genuss.» Beim Abendessen im «The Restaurant» lassen wir uns zu einer lukullischen Reise durch Asien verführen. Die Geschmackserlebnisse, welche die Köche des Chedis in unsere Gaumen zaubern, sind fantastisch. Genuss pur.
Der Pass und die Tremola
Am nächsten Morgen erreichen wir den Gotthardpass. Wo früher Postkutschen über die alte Tremolastrasse ratterten, überkommt uns der Übermut unserer Jugend. Über das Kopfsteinpflaster hinweg jagen wir die steilen und engen Serpentinen hinunter in Richtung Airolo. Die Schläge im Handgelenk bringen uns wieder zur Räson. Die Landschaft und die unter Denkmalschutz stehende historische Strasse sind ohnehin viel zu spektakulär, um den «Gring nur ache» zu halten: Die elegante Linienführung der Tremola liegt wie ein Gemälde in der Landschaft, ja mehr noch, es ist, als würde sie sich mit dem Gebirgsmassiv zu einem harmonischen Gesamtkunstwerk vereinen. Der Tremola, diesem ebenso kühnen wie ästhetischen Bauwerk, verleihen wir deshalb mit Überzeugung den Titel «der schönsten Strasse der Welt». Die angestrebte Aufnahme in die Liste des Unesco-Welterbes verkommt da wohl zur Nebensache.
Von Markus Weber