Der Tren Crucero fährt von Ecuadors Hauptstadt Quito bis hinunter an die Pazifikküste – auf einer der aussichtsreichsten und schwierigsten Bahnstrecken der Welt.
Bei der Landung in Quito haben die Passagiere aus Ecuador geklatscht, und jetzt auf dem Land winken die Leute sogar den Menschen im Zug zu. Wirklich alle winken: die Mutter vor der Wäscheleine, die Kinder auf dem Fussballplatz, und – nur etwas verhaltener – auch der Motorradfahrer an der Ampel. Als ob eine Landung oder ein Zug in Ecuador noch eine technische Sensation wären.
Der Zug ist es tatsächlich. Die Strecke von Quito, der Hauptstadt Ecuadors hoch oben in den Anden, bis hinunter nach Guayaquil am Pazifik gilt als schwierigste der Welt. Vier Tage dauert die Reise. Erst seit 2013 wird die Strecke wieder regelmässig befahren. Aber wie peinlich: Die Lokomotive gibt am Berg ihren Geist auf. Die feuerrote Dampflok wurde im letzten Bahnhof vor den Tren Crucero, den Kreuzfahrtzug, gekoppelt, man will den Gästen damit auf einem Teil der Strecke etwas Nostalgie bieten. Doch auf dem Weg zum höchsten Punkt auf 3600 Metern Höhe ist die beinahe hundert Jahre alte amerikanische Mogul 260 zu heiss geworden. Die Leute auf der Strasse neben den Gleisen winken, bis sie merken, dass die Lok nicht absichtlich hält. «Mitten im Nirgendwo», sagt eine Amerikanerin leicht beunruhigt. Immerhin ein Nirgendwo mit frisch gepressten Fruchtsäften aus der Bar in Waggon drei.
Der Zug mit den vier Waggons muss zurückrollen, 200 Höhenmeter die Anden hinab. In Ambato wird wieder die Diesellok vorgespannt, die den Zug den grössten Teil der Strecke zieht. Die ist nicht ganz so fotogen, aber sie schafft es den Berg hinauf. Die Zugpassagiere steigen in den Bus, der dem Zug seit Quito folgt. Der Tren Crucero ist langsam, 20 Kilometer pro Stunde macht er im Schnitt. Er und einige Brücken sind zu schwach, um sämtliches Gepäck von 54 Passagieren zu tragen.
400 Höhenmeter auf drei Kilometern
Von Beginn an lag ein Fluch auf der Verbindung. Die Strecke von Quito nach Guayaquil ist knapp 450 Kilometer lang. Quito liegt 2800 Meter hoch, unmittelbar unter dem Äquator. Eine Stadt mit vier Jahreszeiten an jedem Tag, was kühle Nächte und heisse Mittagssonne bedeutet. Guayaquil am Pazifik ist mit 2,5 Millionen Einwohnern etwas grösser als Quito. Der Zug sollte das kühle Hochland mit der heissen Küste verbinden, damit Obst und Getreide aus den Bergen leichter verschifft werden konnten. Es dauerte 35 Jahre, bis die Strecke Anfang des 20. Jahrhunderts fertiggestellt wurde.
Nachdem die Diesellok angekoppelt worden ist, fährt der Tren Crucero nun seinem schwierigsten Teilstück entgegen, der Teufelsnase. Man kann sie aus grosser Entfernung in der riesigen Felswand erkennen. Sie schien unüberwindbar, bis ein amerikanischer Ingenieur die ungewöhnliche Idee hatte, den Zug im Zickzack die Felswand herunterfahren zu lassen, mit zwei Spitzkehren: Aus der ersten fährt er rückwärts heraus, erst nach der zweiten fährt er wieder mit der Lok am Anfang des Zugs weiter. 400 Meter Höhenunterschied überwindet der Tren Crucero so auf nur etwa drei Kilometern Strecke, es sind die letzten Meter der auslaufenden Anden vor einer langen Ebene mit Reisfeldern, Bananen und Kakaoplantagen. Von oben lassen die sich im Nebel nur erahnen.
Die Strasse der Vulkane
4000 Arbeiter aus Jamaika und Puerto Rico haben die Teufelsnase 1908 in den Felsen gehauen, allesamt schlecht bezahlt für den gefährlichen Job. Mindestens 2500 von ihnen sind beim Bau ums Leben gekommen. Danach machten Erdrutsche, die neue Strassenverbindung und Unfälle den Zug jahrzehntelang zu einem Desaster.
Dennoch begann die Regierung unter Rafael Correa im Jahr 2008, die Prestigestrecke abermals zu renovieren. 235 Millionen Euro hat man in 500 Kilometer neue Gleise, vier neue Waggons und 30 Bahnhöfe investiert. Seit 2013 fährt der Tren Crucero wieder. Für das Fremdenverkehrsamt hat sich das schon gelohnt: Bei den World Travel Awards 2013 wurde der Zug als bestes Tourismusprodukt ausserhalb Europas ausgezeichnet.
Der Bus braucht zehn Stunden für die Strecke von Quito nach Guayaquil, der Zug schafft es in gemütlichen vier Tagen und drei Nächten. Es gibt keine Schlafwagen, man übernachtet in Haciendas. Abends bringt der Bus die Passagiere vom Bahnhof in diese alten Landhäuser. Die Bahnfahrt ist eine luxuriöse Sightseeingtour durch das halbe Land, der Weg ist das Ziel. So langsam es auch geht, die Landschaft bleibt kurzweilig. Südlich von Quito folgt der Zug der sogenannten Strasse der Vulkane auf einer Hochebene durch die Anden. Neun schneebedeckte Kuppen sieht man mit etwas Glück. Die erste gehört dem Cotopaxi, er ist noch aktiv und liegt in einem Nationalpark über der Baumgrenze. Wilde Pferde grasen an seinen Hängen, Kondore fliegen über sie hinweg. Der Chimborazo ist mit mehr als 6000 Metern der höchste Vulkan, er ist nicht mehr aktiv.
Zugreisen sind altmodisch, und der Tren Crucero ist es besonders. Beim Essen kommt man mit den Tischnachbarn zwangsläufig ins Gespräch: Das Paar aus Australien läutet die Rente ein mit einer Reise durch halb Südamerika: «Der Zug war ein grossartiger Auftakt.» Das Paar aus Miami fährt nur einen Tag bis zum Chimborazo mit, auf den wollen sie rauf; das Paar aus Quito hat die Zugreise bei einem Preisausschreiben gewonnen.
Ohne den Bus funktioniert der Zug nicht. Dreimal täglich steigen die Passagiere um. Zum Ausflug auf eine Rosenfarm etwa. Ecuador ist der weltweit grösste Rosenexporteur. Man lernt, dass wahlweise Viagra, Aspirin oder eine kalte Dusche das Leben der Schnittblumen verlängern. Mittags bringt der Bus die Gäste in Retaurants, wo man Quinoa-Salat und Ceviche zu essen bekommt. Quinoa, das Korn der Inka, wächst in den Anden bis auf 4000 Meter Höhe. Im Juli trägt es violette Blüten. Man sieht die Felder vom Zug aus. Ceviche, den rohen, in Zitronensaft eingelegten Fisch, isst man im Hochland mit Popcorn. Letzteres sollen schon die Inka gekannt haben.
Im Tren Crucero sitzt man auf Polstersesseln mit Armlehnen – alles Fensterplätze – in zwei Waggons. Dahinter folgt der Waggon mit der Bar und ganz hinten ein Panoramawagen mit offener Veranda. Karten und Brettspiele liegen herum. Als ob einem die Landschaft langweilig werden könnte! Zwei Kellner bringen Cappuccino und all die Früchte, die man gerade noch neben den Gleisen hat wachsen sehen. Granadilla etwa, oder Cherimoya.
Der Eismann von Urbina
Hinter dem Chimborazo fährt der Zug weiter nach Guamote, ein kleines Bergdorf, in dem jeden Donnerstag ein Tauschmarkt stattfindet. Meerschweinchen – eine Spezialität – gegen Plastikschuhe, Panamahut gegen Alpakadecken. Die Zuggäste sind die einzigen Touristen. Urbina auf 3609 Metern ist der höchste Bahnhof an der Strecke. Der Eismann wartet schon, als der Zug einfährt. Balthazar Ushca hat sein Leben lang Gletschereis vom Chimborazo geholt. Jetzt ist er 70 Jahre alt, und selbst in den letzten Winkeln der Anden gibt es Kühlschränke. Früher stieg er jeden Tag hinauf bis auf 4800 Meter, wo der Gletscher beginnt, hackte grosse Blöcke aus dem Eis und brachte sie mit seinen Mulis hinunter nach Riobamba. Heute klettert Balthazar Ushca nur noch zweimal die Woche auf den Berg. Ein grosser Block Eis bringt gerade mal fünf Dollar. Ushca lebt jetzt davon, die Touristen des Tren Crucero zu begrüssen.
Der Eismann wird heute genauso wenig gebraucht wie der Zug. Wie grossartig, dass es sie beide noch gibt.
Der Artikel «Teufelszug» ist am 26. März 2015 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.
Von Lars Reichardt, Bilder: TrenEcuador
DER TIPP DER SPEZIALISTIN | |
Die Reise mit den Tren Crucero lässt sich ideal mit einem Aufenthalt in Ecuadors Dschungel abrunden oder beginnen. Von Quito aus fliegt man zunächst nach Coca respektive in die Stadt Puerto Francisco de Orellana. Propellerflugzeuge oder motorisierte Kanus bringen die Gäste von dort in ihre Lodges mitten im Urwald. Ich empfehle das Casa del Suizo, das leicht erhöht am Ufer des Rio Napo liegt. Neben Kanufahrten können Gäste Spaziergänge mit Guides unternehmen oder ein Indianer-Dorf besuchen. Am nächsten Tag bringt ein motorisiertes Kanu die Reisenden noch | tiefer in den Urwald. Sechs Stunden dauert die Fahrt durch das eindrückliche Amazonasgebiet bis zum Naturreservat der Sacha Lodge. Dort machen die Guides auf Pflanzen und Tiere aufmerksam. Zum Beispiel auf einen grossen Schmetterling, von denen die Achuar-Indianer glauben, dass sie die Seelen der Toten transportieren. Weitere Informationen: www.dorado-latintours.ch Tel. 058 702 60 45 Tipp von Gabriela Stauffer, Geschäftsführerin Dorado Latin Tours |