Fünf Jahre lang blieb der Helikopter in der ehemaligen Goldgräbersiedlung Atlin im Norden British Columbias am Boden. Bis im letzten Winter ein Schweizer das Heliski-Gebiet wiederbelebte.
Endlich ist er wieder in der Luft, Josef «Josi» Jennewein aus Tirol. Mit entschlossenen Gesten dirigiert er den Heli-Piloten über Gipfel und Gletscher. Als schon fast das makellos weisse Juneau-Eisfeld an der Grenze zu Alaska erreicht ist, deutet er auf einen Landeplatz. Wenig später schwingt seine Gruppe einen perfekt geneigten Hang hinab, der seinem Namen alle Ehre macht: Powder-Bowl.
Fünf Winter lang blieb die «Pulver-Schüssel» unberührt. Solange ist es her, dass sich am nahen Swanson-Gletscher eine Tragödie ereignete. Leo Steiner jr. (47), der Chef der Firma Klondike Heliskiing, war im Frühling 2011 mit einer Gruppe von Skifahrern unterwegs. Während er Fotos von den Kunden schoss und dabei einige Schritte rückwärts machte, brach die Schneedecke. Steiner stürzte 35 Meter tief in eine Gletscherspalte. Damit endete eine Ära. Sein Vater, Leo Steiner sen., gehörte zu den ersten, die Heliskiing in Kanada betrieben. Der aus dem Salzburger Land ausgewanderte Steiner war zwanzig Jahre für den ebenfalls in Österreich geborenen Mike Wiegele tätig, ehe er 1994 selbst eine Firma gründete. Er siedelte diese im Norden von Britisch Columbia an, in der ehemaligen Goldgräber-Stadt Altin. Ein in Atlin geborener Pilot von Wiegele hatte ihn auf die Idee gebracht.
Steiner sen., inzwischen fast 80 Jahre alt, war noch ein Bergführer vom alten Schlag. Sein Sohn verstand sich auch als Entertainer und Partylöwe. Seine Gäste liebten ihn dafür, denn man konnte mit ihm selbst an einem «Downday» viel Spass haben. Britische Adelige und Zürcher Privatbankiers zählten zu seinen Stammgästen. Sie kamen jeden Winter wieder, obwohl das Atlin Inn, ein historisches Hotel, stark in die Jahre gekommen war und keineswegs den Standard anderer Heliski-Lodges bot. Aber es war authentisch. Im «Inn» mit Saloon-Atmosphäre traten Country-Sänger auf und man trank seinen Whiskey mit Trappern und Goldsuchern. Wer vor die Tür zum Rauchen ging, blickte auf den zugefrorenen Atlin Lake und die aufs Trockene gelegte M.V. Tarahne, ein Passagierschiff aus der Boom-Zeit Ende des 19. Jahrhunderts. Damals lebten in Atlin 10 000 Abenteurer, die beim letzten Goldrausch des Hohen Nordens reich werden wollten.
Ein Refugium für schräge Vögel
Natürlich verkaufte Steiner jun. Nostalgie und Historie ein bisschen aus der Not heraus, denn für Investitionen fehlte ihm das Geld. Als er verunglückte, schrieb Klondike Heliskiing rote Zahlen. Mit der Schliessung des Unternehmens wurde es in Atlin noch stiller, was den verbliebenen 450 Einwohnern aber wenig ausmachte. Sie waren hierher gezogen, an den Rand der Wildnis mit ihren strengen Wintern, um Ruhe zu haben. Atlin ist heute eine Art Künstlerkolonie, ein Refugium für schräge Vögel, Zivilisationsmüde und Aussteiger. Es verwaltet sich selbst, es gibt keinen Bürgermeister. Etwas lauter wird es nur, wenn im Sommer das Musikfestival steigt.
Len Graf und seiner Frau Edie, den Eigentümern des Atlin Inn, wurde es irgendwann aber doch zu ruhig. Die Geschäfte liefen schlecht, seit die Heliski-Gäste im Winter ausblieben. Die beiden kamen mit André Gutenberg (45) ins Gespräch, der in Teslin im Yukon, etwa hundert Kilometer entfernt, ein Haus besitzt und dort mit seiner Familie die Sommermonate verbringt. Der gebürtige Zürcher mit Wohnsitz in Realp im Kanton Uri hat sein Geld als Immobilienentwickler und Start-up-Unternehmer gemacht. Er ist ein Pulverschnee-Junkie. Er liebt Herausforderungen. Und er kennt diese Ecke der Welt und ihre knorrigen Bewohner gut genug, um sich zuzutrauen, mit ihnen Geschäfte zu machen.
Gutenberg ist ein Goldsucher des 21. Jahrhunderts. Seine Werkzeuge sind Spielsachen für grosse Jungs: eine Drohne, ein Tesla, sein kleiner, gelber Hubschrauber. Mit diesem flog er das rund 5000 Quadratkilometer grosse Areal ab, für das die Steiners eine Heliski-Lizenz besassen. Was er sah, gefiel ihm: Die Landschaft an der Grenze zum Yukon und zu Alaska ist spektakulärer als im Süden der Provinz. Schon der Flug über den zugefrorenen Atlin Lake mit seinen fjordähnlichen Seitenarmen ist ein Erlebnis. Gutenberg merkte aber auch: Die mächtigen Gletscher mit ihren klaffenden Spalten und die schroffen Bergflanken sind kein Terrain, das Fehler verzeiht. Wenn hier am Ende der Welt etwas passiert, dauert es lange, bis Hilfe kommt.
Trotzdem: Sein Entschluss stand fest. Die Berge rund um Atlin sollten sein Schürf-Gebiet für das weisse Gold werden. Steiners Lizenz liess er jedoch verfallen und beantragte sie neu. Im Rückblick vielleicht ein Fehler, räumt er ein. Denn so musste er sämtliche Genehmigungen auf eigene Kosten einholen: Studien von Wildbiologen, welche die Bergziegen-Population in Augenschein nahmen; das Okay der Jäger und ihrer Lobby. Auch die rund 300 First Nations vom Stamm der Taku River Tlingit witterten ein Geschäft. Am Ende verlor der Schweizer ein Stück des ursprünglichen Areals im Süden – das einzige bewaldete Gebiet, das auch für Tree-Skiing an Schlechtwetter-Tagen geeignet gewesen wäre. Gutenberg wusste, dass er sich nun für die gefürchteten «Downdays», an denen der Chopper am Boden bleibt, etwas einfallen lassen muss.
Zuerst hatte er jedoch ganz andere Sorgen: Es galt, die Grafs davon zu überzeugen, dass das Atlin Inn ein Upgrade braucht: keine Luxus-Lodge sollte das Hotel werden, aber ein Ort zum Wohlfühlen nach einem anstrengenden Skitag, mit Sauna und Outdoor-Whirlpool, von dem man auf den See blicken kann. Dann wollte er das Skifahren hier so sicher wie möglich machen. «Ich liess eigens ein Team von der Rega kommen, das uns half, die Notfallpläne zu perfektionieren.»
Neue Firma, erfahrene Guides
Allein: Dort draussen warteten Hunderte von Runs in einem Gebiet so gross wie der halbe Kanton Graubünden. Gutenberg war schnell klar, dass er die Ex-Guides von Leo Steiner für seine Sache begeistern musste. Also fuhr er nach Whitehorse, wo Josi Jennewein im Sommer an einem Stand Burritos verkaufte. Er überzeugte den Tiroler, dass er im Winter sein «GPS-Gedächtnis mit den abgespeicherten Abfahrten» für die neue Firma namens Atlin Heli Sports einsetzt. Auch der Schweizer Peter Siedler, der seit mehr als dreissig Jahren mit seiner Familie nahe Atlin in einem Blockhaus im Wald lebt, war wieder mit von der Partie.
Die mit einer guten Portion Galgenhumor ausgestatteten Bürger Altans pflegen zu sagen: «Unsere Gemeinde hatte nu rwei gute Jahre – 1898 und nächstes Jahr.» Gutenberg wollte zeigen, dass «nächstes Jahr» kein leeres Versprechen in ferner Zukunft ist. Pünktlich zum Saisonstart im März 2016 war alles organisiert. Chris, der aus der Schweiz stammende «Beaver»-Pilot, stand bereit, um die Heli-Gäste mit seinem Kufen-Flugzeug in die Berge zu fliegen, wo er auf einem zugefrorenen See landen würde, um die langen Transferzeiten zum Skigebiet zu verkürzen. Schon der Flug in dieser Maschine ist ein Erlebnis.
Und Gutenberg hat am Downday-Programm gearbeitet. Von früheren Heli-Trips wusste er: «Es gibt nichts Schlimmeres, als diese nicht enden wollenden Tage, an denen man aufgeweicht im Whirlpool sitzt und aus Frust ein Bier nach dem anderen weghaut.» Seine Gäste haben nun die Qualder Wahl: Mit dem Schneemobil die Wälder um Atlin unsicher machen und am Lagerfeuer Würstchen und Marshmallows brutzeln? Oder lieber mit dem Hundeschlitten losziehen? Zum Eisfischen auf den See gehen? Mit Tourenskiern die Bergeerobern? Oder mal so richtig die Sau rauslassen und mit Spikes-bewehrten Sportwagen auf einem Rundkurs über das Eis des Sees fegen? Natürlich reist man deshalb nicht bis nach Atlin. Aber es lenkt ab, wenn es nichts Besseres zu tun gibt. Und es kostet keinen Cent extra: «Downdays sind bei uns Fun-Days», lacht Gutenberg und hofft auf viel weisses Gold für die kommende Saison.
Von Günter Kast
DER TIPP DES SPEZIALISTEN | |
In Kanada öffnen immer wieder neue Heliski-Lodges. Das ist toll und zeigt, wie lebendig die Szene ist – es braucht aber von Seiten der Gäste oft auch etwas Geduld und Flexibilität. Wer das nicht mitbringt, dem empfehle ich, einen bereits etablierten Anbieter zu wählen. Der Klassiker ist Canadian Mountain Holidays (CMH). Die Gründerväter des Heliskiings in Kanada haben inzwischen zwölf eigene Lodges im Herzen von British Columbia (im Bild links die Adamants Lodge). Viele davon sind sogenannte Fly-In-Lodges. Sprich: | Die Gäste kommen nur mit dem Heli hin und sind so garantiert unter sich. Ebenfalls schon mehr als 30 Jahre im Geschäft ist Selkirk Tangiers Heliskiing in Revelstoke. Eine tolle Lodge in einem der besten Gebiete. Auch Last Frontier Heliskiing empfehlen wir unseren Kunden gerne. All diese Lodges bieten Hänge für jedes Niveau und die erfahrenen Guides dort kennen ihre Gebiete bestens. Weitere Informationen: Powderdreams by knecht reisen Tel. 044 360 46 00 www.powderdreams.ch Tipp von Kenny Prevost, Heilski-Enthusiast bei knecht reisen |