Trine Lyrek fährt die härtesten Hundeschlittenrennen der Welt. In ihrem Zuhause im hohen Norden Norwegens führt sie auch Gäste in die Musher-Kunst ein.
Die Ziellinie zu überqueren sei, wie wenn jemand eine Blase platzen liesse, sagt Trine Lyrek. Auf einen Schlag ist sie mit ihrem Hundegespann zurück in der Zivilisation, zurück unter Menschen, zurück im normalen Leben. Wenn ihr Schlitten über die letzten Meter des Finnmarksløpet gleitet und sich wieder dem Ausgangspunkt Alta nähert, hat sie mit ihren Hunden 1000 Kilometer zurückgelegt und war mehr als fünf Tage lang unterwegs. Sie hat der Kälte getrotzt und mit Müdigkeit gerungen, war 24 Stunden am Tag mit ihren Hunden zusammen, meist ohne andere Menschen. «Die Verbindung zu den Tieren, die an einem solchen Rennen entsteht, ist einzigartig, und die Natur so intensiv zu erleben, unglaublich», versucht sie ihre Faszination in Worte zu fassen. Ein eigenes kleines Universum, aus dem das Gespann am Ende abrupt gerissen wird. «Natürlich schwingt am Ziel Freude mit, aber man spürt auch eine Leere in sich.»
Trine Lyrek hat Grund zur Freude. Sie hat es am Finnmarksløpet, dem längsten Hundeschlittenrennen Europas quer durch die Finnmark hoch oben in Norwegen, schon auf den vierten Platz geschafft und zählt zu den besten Mushern des Kontinents. Auch am weltweit härtesten und mit 1850 Kilometern längsten Hunderennen, dem Iditarod in Alaska, hat sie schon teilgenommen. Seit über zwanzig Jahren fährt sie mit ihren Huskys Rennen, legt rund 5000 Kilometer im Jahr in Trainings zurück. «Es ist ein Sport, der viel Ausdauer braucht, eine Kopfsache. Und vor Kälte sollte man nicht zurückschrecken», sagt sie und lacht.
Trine Lyrek hat den Kopf, das Durchhaltevermögen und den Drang, draussen in der Natur zu sein. Sie hat noch nie in einer Stadt gewohnt und kann es sich auch nicht vorstellen. «Ich bin auf dem Land im Süden Oslos aufgewachsen und war schon mit meinen Eltern oft draussen.» Hunde gab es allerdings keine. Für ein Zwischenjahr ist Trine Lyrek mit 19 Jahren vom Süden Norwegens nach Alta im hohen Norden gezogen. Sie besuchte die Klasse für Bergführer und sass so eines Tages zum ersten Mal in einem Hundeschlitten. «Ich wusste sofort, dass Musher das ist, was ich im Leben machen will.»
Um sich dem Sport zu widmen, zog sie ein Jahr nach Alaska, dem «Place to be» für Musher. Sie kam nach Norwegen zurück, nahm zum ersten Mal am Finnmarksløpet teil und ging wieder nach Alaska. Dieses Mal blieb sie sieben Jahre. Erst nach der Geburt ihrer zweiten Tochter kehrte sie in die Heimat zurück. «Alaska ist wunderschön, aber ich bin genug Norwegerin, um zu wissen, wo ich hingehöre», sagt die 44Jährige. Mit ihrer Familie zog sie in die Nähe von Alta, der grössten Stadt in Finnmark, rund 450 Kilometer von Tromsø entfernt. Alta liegt am Ende des grossen Altafjordes, umgeben von Wäldern, Küstenstreifen und Berglandschaften mit Hochplateaus. «Letztere machen die Region perfekt für Hundeschlittenfahrten», erklärt Lyrek. Zusammen mit ihrem Mann führt Lyrek die Lodge Trasti&Trine. Die meisten Gäste kommen wegen der Hunde. Von Schnuppernachmittagen bis zu Zehntagestouren, von Kindern bis zu 90Jährigen – Trine führt sie gerne in die Musherkunst ein und verhilft ihnen zu dem, was sie selber so liebt: einem engen Kontakt zu den Tieren, dem guten Gefühl, einen Schlitten zu lenken, Tage in der Natur mit einem Mittagessen am offenen Feuer. «Für das Essen ist mein Mann zuständig. Er ist Spitzenkoch und ich kann ohne schlechtes Gewissen behaupten, dass wir hier oben die beste Küche bieten.»
Zur Familie gehört auch Lyreks Rudel von 54 Alaskan Huskys. «Sehr freundliche, ausdauernde Tiere, die nichts lieber machen, als zu rennen», beschreibt sie die Rasse. Alaskan Huskys sind stärker, zäher und breiter gebaut als Sibirische Huskys. Lyrek kennt jeden ihrer Hunde genau, die meisten sind bei ihr geboren. «Sie haben alle ihren Charakter. Ich spreche mit jedem Hund anders. Der eine braucht eine strenge Hand, ein anderer mehr Lob, um gut zu performen.»
Lyreks ältere Tochter hat die Hundeliebe und das Mushertalent ihrer Mutter geerbt. Die 17Jährige ist in ihrer Altersklasse bereits europäischer Champion.
Von Stefanie Schnelli