Erschauen, ertasten, erfühlen muss man das noch junge Aman in Tokio. Genau wie seine Geschwister rund um die Welt bannt es Besucher durch die unvergleichlichen Ausblicke: Tokio liegt einem hier zu Füssen. Das Amanemu hingegen liegt mitten in der Natur.
Der Blick aus den hohen Fenstern im 33. Stock des modernen Wolkenkratzers ist so stark, dass sich der Architekt auch im Innern nicht vor der grossen Geste fürchten musste. Die Dimensionen der atrium-ähnlichen Lobby des Aman Tokio mit ihrem immensen Oberlicht aus holzgerahmten Japanpapier-Elementen gemahnen an eine Kathedrale, wo der Blick und mit ihm die Seele in die Höhe entschweben und sich im weichen Licht verlieren. Das heisst wohl Ankommen auf Amanisch.
Hat man sich wieder gefasst, sind die Füsse geerdet auf dem schwarzen Steinboden, der Körper bequem gebettet im gemütlichen Sofa, gleitet die Hand versonnen über den knorrigen Wurzelstock auf dem Nebentischchen. Die zwei Zen-Garten-Inseln und der Pool in der Mitte des Raums, in dessen schwarzem Wasser sich je nach Jahreszeit ausladende Äste mit Blüten, grünen Blättern oder fallendem Laub spiegeln, sind die für Japan so typische Reverenz an die Schönheit und Vergänglichkeit der Natur. Diese mit Achtsamkeit gewählte Reduktion auf das Natürliche und Wesentliche findet man immer wieder im Hotel, sei es in den Gängen, im Spa, im grossen Swimmingpool im 34. Stock oder in den aussergewöhnlich grossen Zimmern. Hier weiss man, dass man in Japan ist und nirgendwo sonst.
Wer gerne auch etwas von der tatsächlichen Natur Japans sehen möchte, lässt sich vom Hotelconcierge ein Ticket für den Shinkansen buchen. Zur Tokyo Station ist es vom Aman aus ein Katzensprung, der Hochgeschwindigkeitszug braucht für die Fahrt südwärts, am Fusse des Fuji entlang, rund 3,5 Stunden nach Nagoya und Kashikojima. Hier an der für seine Perlenzuchten bekannten, weit verzweigten Ago-Bucht ist im März das zweite Aman-Resort in Japan eröffnet worden: das Amanemu.
War man in Tokio mittendrin, ist man hier weit weg von allem – verborgen im äussersten Zipfel des waldreichen Ise-Shima-Nationalparks. Von den luxuriösen Bungalows ragt nur hin und wieder ein dunkler Giebel aus der üppigen Vegetation. Leicht erhöht geben die ebenfalls in Schwarz gehaltenen Haupthäuser mit Bar, Restaurant und Pool den Blick frei auf die flachen, ruhigen Buchten. Hier scheint die Welt noch den Vögeln zu gehören, die sich zeternd durch das Geäst jagen, den Wildschweinen, die nächtens den Waldboden und die Golfplätze umgraben, den Krebsen und riesigen Schmetterlingen, die einem unvermittelt den Weg kreuzen.
Kein Wunder haben sich auch die japanischen Götter dieses Fleckchen Paradies ausgesucht, um auf die Erde herabzusteigen. Der Ise-Schrein, das wichtigste Heiligtum des Landes, liegt ganz in der Nähe; ebenso die fünf Pilgerwege Kumano Kodo. Die Abende verbringt man im Amanemu übrigens so, wie es sich in Japan gehört – den Blick durch die Nebelschwaden in die Sterne gerichtet, im heissen Wasser der resorteigenen Thermalquelle.
Von Lucie Paska