Costa Rica ist mit seiner üppigen Natur und Vielfalt hoch im Kurs bei Reisenden. Weniger bekannt ist die indigene Bevölkerung des Landes. Eine Appenzellerin unterstützt sie, um ihr Erbe zu erhalten.
Als Nicole Tolle 1991 zum ersten Mal nach Costa Rica reiste, waren erst ein paar abenteuerlustige Backpacker im Land unterwegs. Wenn sie ihre zweite Heimat heute besucht, erscheint ihr diese Erinnerung sehr verstaubt. Costa Rica hat sich zu einem der international meistbesuchten Länder entwickelt, auf der touristischen Landkarte zählt der Staat in Zentralamerika seit Jahren zu den aufstrebenden Destinationen. Gerade auch Schweizer mögen die kleine grüne Nation, wie Gabriela Stauffer, Geschäftsführerin von Dorado Latin Tours, bestätigt: «Die Nachfrage ist sehr gross, vor allem auch seit den Direktflügen von Edelweiss.»
Costa Rica ist ein Naturparadies. Mehr als 26 Prozent der Landesfläche sind geschützt, mehr als die Hälfte des Landes liegt unter Baumkronen. Die Landschaft zwischen der Pazifik- und Atlantikküste wechselt von Regenwäldern zu Vulkanen, Bergen und tropischen Küstenstreifen. Rund fünf Prozent der weltweit vorhandenen Arten kommen auf dem vergleichsweise kleinen Flecken Erde vor. Zudem ist das Land einfach zu bereisen, ergänzt Stauffer: «Costa Rica ist eines der sichersten Länder in Zentral- und Südamerika. Es ist weniger arm und viele Einheimische sprechen Englisch. Zudem ist es eine Ganzjahres-Destination.»
Die Ticos, wie die Costa Ricaner genannt werden, sind stolz auf ihre mehr als hundertjährige Demokratie, die seit 1948 ohne Militär auskommt. Die Kosten, die dadurch gespart werden, fliessen auch in den Umweltschutz und soziale Projekte. Costa Rica gilt als Vorreiter im Ökotourismus und 2016 wurden 99 Prozent des Stromes aus erneuerbaren Energien gewonnen. «Es wurde sinnvoll und erfolgreich in den Tourismus investiert», sagt Tolle.
Der kulturelle Reichtum
Sie selbst hat das Land seit ihrem Sprachaufenthalt 1991 nicht mehr losgelassen. «Die Kultur hat mich in Bann gezogen. Die Gastfreundschaft der Menschen, die Hilfsbereitschaft und ihre Naturverbundenheit», erzählt Tolle, die mehrere Jahre als Reiseberaterin arbeitete. Wenig später lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen, der ein Sozialprojekt für benachteiligte Kinder auf die Beine stellte. «Angefangen hat das mit einer Patenschaft für ein Kind. Heute ermöglicht die Stiftung Edunámica rund 5000 Kindern aus benachteiligten Familien die Schulbildung und hilft ihnen so aus der Armut.» Zudem haben Nicole und Steffen Tolle eine Lodge in Nosara. Dorado Latin Tours hat die Lagarta Lodge seit diesem Jahr im Katalog. «Weil sie an einem Hügel am Pazifik wunderschön liegt und die Gäste die Schildkröten beim Eierlegen beobachten können», sagt Stauffer.
Das Herzstück von Nicole Tolle ist jedoch ein Kunstprojekt, das sie mit lokalen Künstlern und den Maleku-Indianern seit zwei Jahren führt. Costa Rica hat nämlich nicht nur eine vielfältige Natur, sondern auch eine vielseitige Bevölkerung mit verschiedenen kulturellen Einflüssen von Einwanderern aus Spanien, Asien und Afrika sowie von indigenen Stämmen wie den Chorotegas, den Burucas und den Maleku. Sie sprechen völlig unterschiedliche Sprachen, haben andere Bräuche und alle ihre eigene Handwerkskunst.
Von der Grossmutter zur Enkelin
Die Maleku sind die kleinste der indigenen Gruppen. Rund 600 Maleku leben im Guatuso Indigena Reservat nahe bei Guatuso. «Sie sind geschickte Schnitzer und stellen Pfeile und Bögen, Speere und Buschtrommeln her», erzählt Tolle. Ihre Souvenirkunst verkaufen sie an Reisende und sichern sich damit ein Einkommen. Nicole Tolle findet als Galeristin, Mal-, Farb- und Kunsttherapeutin aus Appenzell Ausserrhoden, man könne das Potential der Maleku weiter ausschöpfen und in Richtung Kunst vertiefen. Sie hat einen Weg gefunden, die künstlerische Begabung mit der reichen Kultur des Stammes zu verbinden: Indem sie den Maleku die Grundlagen der Malkunst vermittelt, hat sie ihnen ein Werkzeug gegeben, um ihre Mythen festzuhalten.
Geschichtsschreibung ist bei den Maleku meist Frauensache. Auch wenn nichts aufgeschrieben wird, um die Vergangenheit des Volkes, die Taten der Ältesten und die Weisheiten der Frauen weiterzugeben. Geschichte und Geschichten werden mündlich überliefert, indem die Grossmutter eine ihrer Enkelinnen auswählt und ihr – nur ihr –, wenn die Zeit gekommen ist, ihren ganzen Wissensschatz weitergibt. Das macht sie einmal im Leben, mitten in der Nacht. Doch auch die Maleku sind keine geschlossene Gruppe mehr, sie heiraten Menschen aus anderen Stämmen und auch nicht-indigene Ticos mit anderen Traditionen. Das moderne Leben bringt neue Herausforderungen, Grenzen verwischen, Wissen verwässert. «Es wäre unglaublich schade, wenn dieser Schatz von Geschichten für immer verloren geht», sagt Tolle. Die Maleku haben zusammen mit Nicole Tolle einen Weg gefunden, um überlieferte Herzensgeschichten für sich zu behalten und teilweise durch Kunst zu offenbaren. Durch eine behutsame Annäherung und viel Sensibilität hat Tolle das Vertrauen der Stammesältesten, der Stammesgemeinschaft und einiger Künstler gewinnen können. Die ersten Werke wurden geschaffen. «Sie beeindrucken mich sehr durch ihre Mystik und ihre Verbundenheit zur Natur. Manchmal schwingt ein Hauch ihrer Trauer mit, weil sich vieles verändert hat», sagt Tolle. 2016 wurden die Werke im Nationalmuseum in San José ausgestellt. In der Lagarta Lodge sind sie in einer Dauerausstellung zu sehen und Ende Jahr bringt Tolle sie auch nach Rehetobel. «Die Naturverbundenheit der Ticos wird von den indigenen Stämmen schon seit Jahrhunderten gelebt», sagt sie.
Von Stefanie Schnelli
www.lagartalodge.com
www.edunamica.org
www.dorado-latintours.ch
MALEKU-KUNSTWERKE KOMMEN IN DIE SCHWEIZ
Vom 28. Oktober 2017 bis am 14. Januar 2018 stellt Nicole Tolle in ihrer Galerie Tolle – Art und Weise in Rehetobel die Kunstwerke verschiedener Maleku-Künstler aus. Sie werden dem Brauchtum der Silvesterchläuse aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden gegenübergestellt. Dieses wird anhand von Fotografien von Mäddel Fuchs zu sehen sein. Das Ziel ist es, magisches Denken aufzuzeigen und Ursprünge von Kulturen zu erforschen und durch Kunst fassbarer zu machen. Die Besucher werden sensibilisiert, Familiengeschichten sowie ungewohntes Wissen über Bräuche an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben.