Die Thüringer Städtekette, ein Radweg durch das grüne Herz Deutschlands, verbindet sieben Städte, die nicht nur im Jubiläumsjahr der Reformation vor Kultur und Geschichte nur so strotzen.
«No», sagt die Kellnerin auf die Bitte, einen Blick in die Speisekarte werfen zu dürfen. «No», sagt auch die aufgestellte Ladenbesitzerin auf der Erfurter Krämerbrücke zur Frage, ob man den selbstgemachten Eierlikör im affelbücher probieren darf.
No? Die Antwort hat das Potenzial, Reisende stutzig werden zu lassen. Doch «no» heisst in Thüringen nicht nein und es wird auch nicht wie das englische «no» ausgesprochen. Das «o» im thüringischen «no» ist kurz und geschlossen, in etwa als würde man «noch» sagen, aber ohne «ch». Und es heisst so viel wie: «Na klar!»
Wer sich fragt, ob es sich lohnt, einmal in die grüne Mitte Deutschlands zu reisen, hat hier auch gleich die Antwort: No! Und ohne drängen zu wollen: Am besten noch in diesem Jahr. Denn zum 500. Jahrestag der Reformation quillt der Freistaat sozusagen über vor Kultur. Luther, Goethe, Schiller, Bach. Durch Thüringen sind sie alle irgendwann einmal gekommen und manchmal auch lange geblieben.
Besucher können die wichtigsten Städte Thüringens mit dem Fahrrad verbinden (siehe unten). Wer die sogenannte Städtekette von Westen her in Angriff nimmt, erlebt gleich zum Auftakt in Eisenach ein absolutes Highlight: Die Wartburg. Hier übersetzte Martin Luther das Neue Testament und legte damit den Grundstein für eine einheitliche deutsche Sprache. Er befand, man müsse «dem Volk aufs Maul schauen», um eine Bibel zu schaffen, die dieses auch tatsächlich versteht. Keine leichte Aufgabe, denn im damaligen Deutschland wurden Unmengen verschiedener Dialekte gesprochen.
Die Wartburg ist heute die meistbesuchte Lutherstätte weltweit. Besonders das Stübchen, in dem Luther vom 4. Mai 1521 bis zum 1. März 1522 lebte und arbeitete, ist seit Jahrhunderten das Ziel von Pilgern aus aller Welt. Am Fusse der Burg, in Eisenach, das Luther «meine liebe Stadt» nannte, gibt das kleine, aber feine Lutherhaus einen Einblick in das Leben des grossen Reformators – vor allem auch im Hinblick darauf, wie seine Bibelübersetzung die deutsche Sprache beeinflusste. Luther verdanken wir Redewendungen wie «im Schweisse des Angesichts» oder «mit Feuereifer dabei sein».
Arbeit für 15 starke Männer
Das eine oder andere dieser Sprichworte wird möglicherweise Realität, wenn es nach der ersten Station an der Zeit ist, in die Pedalen zu treten und gen Osten zu radeln. Wer sich jetzt auf einer Landkarte orientiert, sollte wissen, dass die Farben von Karten – also das Blau der Flüsse, das Braun der Berge und das Grün der Täler – in Gotha vom Verleger Justus Perthes festgelegt wurden. Ein Stop in Gotha lohnt sich aber aus ganz anderen Gründen, die ausnahmsweise nichts mit Luther zu tun haben. Dieser war zwar dort und hat auch hier geschrieben. Viel grössere Bedeutung hat aber das märchenhafte Ekhof-Theater im barocken Schloss Friedenstein. Das Theater nimmt die Besucher (Führungen auf Anfrage) mit auf eine Zeitreise ins 17. Jahrhundert. Weil Theater zu jener Zeit mit Kerzen beleuchtet wurden, fielen die meisten irgendwann den Flammen zum Opfer. Das Ekhof-Theater überlebte jedoch als eines der ganz wenigen über die Jahrhunderte und ist darum das älteste barocke Theater der Welt mit einer Bühnenmaschine, die noch immer funktioniert. Diese «Maschine» ist eine riesige hölzerne Apparatur unter der eigentlichen Bühne. Erklingt während des Stücks das Glöckchen des Bühnenmeisters, wird die Kulisse verwandelt. Allerdings braucht es dazu 15 starke Männer – ein Grund, warum das Ekhof-Theater nur während zweier Monate im Sommer überhaupt bespielt wird.
Vom Blitz getroffen
Von Gotha aus führt der Radweg Städtekette über die kleine Ortschaft Wechmar, in welcher der Ururgrossvater von Johann Sebastian Bach als musizierender Müller den Grundstein für die Musiker-Dynastie legte. Sein berühmter Ururenkel stellte sich später wohl vor, wie sein Ahn im Takt des Klapperns seiner Mühle musizierte und schrieb dazu in der Familienchronik: «Es muss doch hübsch zusammen geklungen haben!» Heute wird im Ort ein kleines Bachmuseum liebevoll von der Dorfbevölkerung betrieben. Einige kräftige Tritte in die Pedale später rollen die Räder durch die Burgenlandschaft «Drei Gleichen», die links und rechts des Weges auf Hügeln über die Landschaft wachen. Der Sage nach sollen hier 1231 bei einem Unwetter Blitze in die Burgen eingeschlagen und diese simultan in Brand gesetzt haben. Alle drei Jahre wird dieses Ereignis mit dem «Dreinschlag» nachgestellt.
Wie der Blitz ist man von den Burgen dann auch schon in der Landeshauptstadt und bemerkt es zuerst gar nicht – so grün ist es entlang der Gera, an deren Ufer der Radweg in die Stadt führt. Und wie sollte es anders sein: Nicht nur der Radweg führt hierher, auch Luthers Weg ist mit Erfurt eng verbunden. Im Augustinerkloster lebte der Reformator zwischen 1505 und 1511 als Mönch, nachdem er zuvor schon in der Stadt studiert hatte. Hier war es, dass sich Luther erstmals intensiv mit der Bibel beschäftigte und sie von vorn bis hinten durcharbeitete, um festzustellen, dass der Inhalt der heiligen Schrift mit dem was gelehrt wurde, nicht mehr allzu viel zu tun hatte. Für die Stadtführerin ist darum klar: «Die Reformation hat hier begonnen.»
Ein Bummel durch die bezaubernde Altstadt, die heute noch viel mittelalterlichen Charme versprüht, führt irgendwann über die Krämerbrücke. Sie ist die längste durchgehend mit Häusern bebaute Brücke Europas. Im Mittelalter lief die Handelsstrasse Via Regia von Russland bis Spanien auch durch Erfurt. Und während der Knecht Pferde und Wagen durch die Furt – eine flache Stelle im Fluss gleich neben der Brücke – führte, konnte der Herr oben auf der Brücke «Kram» kaufen. Die nur zwei bis drei Meter schmalen Häuschen sind um die 500 Jahre alt, heute leben dort Künstler und Kunsthandwerker, die von der Stadt ausgewählt werden. Auf der Brücke, im Thüringer Spezialitätenladen von Bettina Vick, wartet denn auch ein besonderes Souvenir zum diesjährigen Luther-Hype: Die buchförmige Luther-Salami mit eingeprägtem Kreuz, die nach den Luther-Socken und dem Luther-Quietscheentchen im Eisenacher Lutherhaus staunen lässt, was im Namen der Reformation alles unter die Leute gebracht wird. Mehr Freude bereitet der hausgemachte Eierlikör in einem Becher aus Waffel mit Schokoladenüberzug, den Vick ihre Gäste kosten lässt.
Gleich um die Ecke, in der alten Synagoge an der Waagegasse 8, lässt sich der «Schatz Erfurts» bestaunen: 28 Kilogramm Silber und Gold in Form von Münzen, Barren, Schmuck und Geschirr aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Erst 1998 entdeckte ein Arbeiter bei Bauarbeiten im ehemaligen jüdischen Viertel diese Gegenstände, die wohl vor dem Hintergrund des Pogroms von 1349 vergraben wurden. Absolutes Highlight: ein jüdischer Hochzeitsring aus purem Gold. Er ist der grösste von drei solchen Ringen, die es in Europa noch gibt und wurde Bräuten bei der Hochzeit als eine Art Versicherung überreicht. Das Gebäude selbst war sozusagen vergraben. Es diente lange als Restaurant und Tanzsaal, die Wände waren verkleidet und so blieb während des Nationalsozialimus zum Glück unerkannt, dass es sich bei dem Haus um eine Synagoge handelte.
Goethes Gartenhaus
Von Erfurt aus ist Weimar nur noch einen Steinwurf entfernt. Hier tritt Luther wieder einmal in den Hintergrund. Zwar besuchte er die Stadt – zwölfmal sind verbürgt – aber Goethe zum Beispiel lebte 50 Jahre seines Lebens in Weimar, und Bach war hier neun Jahre lang Hoforganist und sass dann vier Wochen lang im Gefängnis, als er wegen der ausbleibenden Beförderung gedachte, Weimar zu verlassen. Man kann sich denken, dass er es dann erst recht vorzog, sich zu verabschieden.
Die ganze Stadt ist seit 1998 wegen ihrer «grossen kunsthistorischen Bedeutung » Unesco-Welterbestätte: Stätten wie Goethes Gartenhaus, Goethes Wohnhaus, Schillers Wohnhaus, das Stadtschloss und die Herzogin Anna-Amalia-Bibliothek zeugen heute von der Weimarer Klassik, während derer literarische Werke von weltweiter Bedeutung entstanden. Dass hier 1919 das Bauhaus gegründet wurde, geht bei all der Klassik manchmal fast unter. Die Neueröffung des Bauhaus-Museums zum Hundert-Jahr-Jubiläum wird diesen Teil der Weimarer Geschichte wieder mehr in den Vordergrund rücken. Und wen das Jetzt mehr reizt als die Geschichte, sollte wissen: In Weimar steht die einzige Fünf-Sterne-Bäckerei Thüringens. Am schönen Herderplatz wartet die Bäckerei Rose mit nicht weniger als 135 Sorten Thüringer Blechkuchen: Von Bienenstich mit Himbeerfüllung über Pflaumenkuchen bis hin zur ortstypischen Eierschecke. Am besten natürlich von einem hübschen Teller aus Thüringer Porzellan. Gleich ausserhalb von Weimar, auf der Leuchtenburg, gibt es darüber eine fantastisch gestaltete, moderne Ausstellung, an deren Ende man einen Teller in die Thüringer Landschaft hinauswerfen und sich dabei etwas wünschen kann. Danach kann man die Frage, ob man wiederkommt, nur noch mit einem kräftigen «No» beantworten.
Von Stefanie Zeng
Bilder: von Thüringer Tourismus GmbH / Anna-Lena Thamm (Die Wartburg) und Andreas Weise (Radweg Thüringer Städtekette)
HINGEHEN UND STAUNEN
Eisenach: Noch bis zum 5. November 2017 zeigt das Lutherhaus Eisenach die Sonderausstellung «Ketzer, Spalter, Glaubenslehrer – Luther aus katholischer Sicht». Durch eine rot-blaue Brille kann jeder Besucher entweder die katholische oder die evangelische Sicht auf Luthers Leben und Wirken einnehmen. Auch die neue und preisgekrönte Dauerausstellung «Luther und die Bibel» ist sehenswert und zeigt, wie sich Luthers Werk auf die gesamte deutsche Sprache auswirkte. Alle Veranstaltungen rund um Luther sind zu finden unter: www.lutherland-thueringen.de
Ekhof Festival Gotha: Wer das barocke Ekhof-Theater in Action sehen will, hat dazu immer im Sommer die Chance, dieses Jahr zwischen dem 30. Juni und 26. August. Heuer wird der Sommernachtstraum von William Shakespeare gegeben, leider ist das Stück aber bereits komplett ausverkauft. Ab November werden die Daten für 2019 aufgeschaltet. www.ekhof-festival.de
Burgenlandschaft Drei Gleichen: Alle drei Jahre steigt hier mit dem «Drei(n)schlag» ein grosses Spektakel, bei dem sogar die Autobahn gesperrt wird. Mit Feuerwerk wird der gleichzeitige Blitzeinschlag simuliert, der im 13. Jahrhundert alle drei Burgen auf einmal in Brand setzte. www.dreinschlag-drei-gleichen.de
Domstufen-Festspiele: Vom 10. bis 27. August verwandeln sich die 70 Stufen vor der Kulisse des 700 Jahre alten Erfurter Mariendoms in eine Openair-Bühne. In diesem Jahr wird Verdis Oper «Der Troubadour» aufgeführt. www.domstufen.de
Weimarer Sommer: Von Juni bis September gibt es in Weimar noch mehr Kultur als sonst schon. Vom radio TOP 40 Open Air mit aktueller Musik über Yiddish Summer, eines der umfangreichsten Festivals jiddischer Kultur weltweit, bis hin zu einem breiten Programm klassischer Musik, ist für jeden was dabei. www.weimarer-sommer.de
ESSEN, SCHLAFEN UND GENIESSEN IN THÜRINGEN
WEIMAR
Der Russische Hof zu Weimar atmet den Zauber vergangener Zeiten und ist dank seiner idealen Lage gleich beim Goetheplatz perfekter Ausgangspunkt für Erkundungstouren durch die Stadt.
www.russischerhof-weimar.de
Das Café du jardin gleich um die Ecke des malerischen Herder-Platzes bietet französische Backwaren in einem zauberhaften kleinen Garten.
www.ausflugsziele-weimar.de/cafe-du-jardin
ERFURT
Wunderbar im Freien speisen kann man in den Restaurants am Wenigemarkt, gleich bei der Krämerbrücke. Das Wenigemarkt 13 hat eine interessante Karte, bei der auch alle zum Zug kommen, die gerne einmal eine Pause von der fleischhaltigen Thüringer Küche einlegen möchten.
www.wenigemarkt-13.de
JENA
Das Hotel Steigenberger Esplanade mitten in Jena bietet alle Annehmlichkeiten unter einem modernen Dach. Das Frühstück ist sehr zu empfehlen.
www.steigenberger.com
An der Strandbar Strand 22 lässt es sich herrlich bei einem Bier im Liegestuhl entspannen, während die Saale direkt vor einem vorbeifliesst. Und Sightseeing gibt es auch: Schillers Gartenhäuschen ist um die Ecke.
www.derstrand22.de
EISENACH
Direkt neben der Wartburg und mit einem Rundumblick über die Stadt und das Umland bietet das Romantikhotel auf der Wartburg ein stilvolles Dach über dem Kopf. Gastronomisch bleibt kein Wunsch unerfüllt: Vom Bratwurststand auf dem Wartburg-Parkplatz bis zum erlesenen Mehrgangmenü in der zugehörigen Landgrafenstube ist alles dabei.
wartburghotel.de
In Zusammenarbeit mit Thüringen