Eigentlich sollte ein Highway mitten durch das Vallée de Ferney von Mauritius führen: Die Regierung wollte den Osten der Insel besser an den Flughafen anbinden. Umweltschützer haben dies verhindert. So ist ein uralter Schatz erhalten geblieben.
Louis Sergio Belle arbeitet seit einem Jahr als Guide im Naturschutzpark Vallée de Ferney. Doch den Baum, vor dem er stehen bleibt, hat er noch nie mit Früchten gesehen. Und auch wenn er bereits fünf Jahre hierherkäme – es wäre das Gleiche. «Das sind die faulsten Bäume der Inseln», sagt Sergio. «Sie schlafen für Jahre.» Zwar wächst die Pflanze, aber um Früchte zu produzieren, muss sie kräftig wachgerüttelt werden. Dafür genügt kein Sturm. Das erfordert einen Zyklon.
Solche Wirbelstürme peitschen sporadisch über Mauritius. Die Menschen sind in ihren Häusern inzwischen gut geschützt. Die Pflanzen aber mögen den Winden nicht standhalten. Wie Strohhalme werden sie umgeknickt, zersaust und zerfetzt. Aber nicht alle. Ein paar halten selbst den wütendsten Wirbelstürmen stand. Es sind die Arten, die seit je auf Mauritius wachsen. Zu ihnen gehört auch der «Sleeping tree». Und weil der letzte Zyklon zehn Jahre zurückliegt, hatte er schon ziemlich lange seine Ruhe.
«So schlimm ist das nicht», sagt Sergio. «Seine Früchte sind ungeniessbar – wie alle Früchte der ursprünglich auf Mauritius heimischen Pflanzen.» Sergio schützt sie trotzdem. Er arbeitet mit dem Team des Vallée de Ferney daran, einen Waldabschnitt im Naturschutzpark zu renaturieren. Sprich: von allen hierher eingeschleppten Pflanzen zu befreien. Und von denen gibt es viele: Mangobäume, den Zimtbaum oder die Travellers Palm. Letztere hat die Prinzessin von Madagaskar eingeführt. Vier Stück waren es damals. Heute ist die Palme überall anzutreffen.
Stärke durch Langsamkeit
Finanziert wird das Projekt Vallée de Ferney der Organisation Ciel & Nature auch durch die Einnahmen aus begleiteten Wanderungen. Äusserst unterhaltsam erklären die Guides dabei die Flora und führen zu Bäumen, wo Grossvater, Vater und Sohn nebeneinanderstehen und ihr Alter durch Streifen auf der Rinde verraten. Oder zu einem einsamen Junggesellen, wie Sergio das eher mickrige Exemplar am Wegrand nennt. «Von dieser Art gibt es auf Mauritius noch drei Bäume, und sie sind alle männlich. Sie wird aussterben.» Nur noch zwei Prozent der Gesamtfläche Mauritius’ sind mit Primärwald bedeckt. Die endemischen Bäume darin sind erkennbar an ihren nach oben gerichteten Blättern. «Diese Bäume wachsen langsam, sind aber stark. So überstehen sie Zyklone und werden bis zu tausend Jahre alt», sagt Sergio.
Höhepunkt der Wanderung ist ein Aussichtspunkt, der den Blick bis ans Meer freigibt. Das Blätterdach ist beeindruckend und wird abgesucht nach Blättern, die nach oben der Sonne entgegen wachsen.