Lange hat das Schnattern von Gänsen zum Burgenland gehört wie Mozart zu Salzburg. Dann wurde es ruhig auf den Höfen. Doch das Federtier ist zurück – und wird im Herbst kulinarisch gross gefeiert.
Es gibt durchaus gute Schnapsideen. Als der Landwirt Siegfried Marth 2002 mit Kollegen im Südburgenland ein Glas Wein in gemütlicher Runde trank, schmiedeten die Männer Pläne, von denen damals niemand dachte, dass sie je so erfolgreich sein werden. Es war Herbst, der heimische Wein war jung, und Marth war gerade dabei, seinen Hof mit Schweinezucht und Obstplantagen auf Bio umzustellen. Was ihm Kopfzerbrechen bereitete, waren die vielen Grünflächen auf seinem Land. Wie konnte er sie nutzen? So kam die Runde auf die Gans, ein perfektes Weidetier.
Das war im Grunde kein revolutionärer Gedanke. Die Gans ist eng mit dem Burgenland verbunden. Bis in die 1960er Jahre schnatterten auf jedem Hof Gänse, jedes Kind hatte mit den Tieren zu tun. Sie lieferten nicht nur Eier und Fleisch, sondern vor allem auch wertvolle Federn. Doch mit der Modernisierung der Landwirtschaft sind die Gänse von den vielen Höfen in wenige Ställe von Mastbetrieben verschwunden. Marth und andere innovative Landwirte wollten sie wieder in den Kreislauf ihrer Höfe einbinden und auf die traditionelle, tierfreundliche Weise züchten. Dafür gründeten sie den Verein Südburgenländische Weidegans. Heute tummeln sich im Sommer 600 Gänse auf den Wiesen von Marths Masi-Hof in Hagensdorf. Nicht wegen der Eier, nur wenig für die Federn, vor allem aber für das Fleisch. Aus ihnen werden prächtige Martini-Gansl.
Martini am 11. November ist ein wichtiger Feiertag im Burgenland, dem Land Österreichs, das mit rund 300 Sonnentagen im Jahr verwöhnt ist, dem östlichsten Streifen der Nation an der ungarischen Grenze. Mit Ungarn teilen die Burgenländer den Neusiedlersee, die bekannteste Attraktion der Region. Allerdings liegt nur ein kleiner Teil des Sees auf ungarischem Boden. Die Unesco hat die gesamte Landschaft des Neusiedlersees mit ihren Ortschaften, Kulturgütern und Naturschönheiten auf die Liste des Welterbes gesetzt. Mit seinem bis zu fünf Kilometer breitem Schilfgürtel, oft perfektem Wind für Wassersportler und dem Nationalpark Neusiedlersee-Seewinkel zieht die idyllische Umgebung im Sommer viele Besucher an und wird auch «das Meer der Wiener» genannt. Kein Wunder: Der zweitgrösste Steppensee Europas ist weniger als eine Stunde von Wien entfernt.
Doch das Burgenland bietet weit mehr als den Neusiedlersee. Während der Norden in der pannonischen Tiefebene liegt, wird es gegen Süden immer hügeliger mit mehr Wald. Die Landschaft ist abwechslungsreich, wie auch das Klima. Grosse Städte fehlen, die Region ist geprägt von Dörfern, jedes mit seiner eigenen Geschichte und oft eigenem Brauchtum. Seit jeher eine Grenzregion, waren die Einflüsse im jüngsten Bundesland Österreichs vielfältig. In einzelnen Gemeinden ist Ungarisch eine Amtssprache, Roman, die Sprache der Burgenlandroma, sowie Burgenlandkroatisch sind anerkannte Minderheitensprachen. Ein kleines Stück Österreich mit einer grossen Vielfalt an Kulturen, Landschaften, Pflanzen und Tieren.
Laute Verräter im Stall
Martini jedoch wird im ganzen Bundesland gefeiert. Es ist der Gedenktag für den heiligen Martin, Schutzpatron des Burgenlandes. Auch in seiner Geschichte kommen Gänse vor. Der Legende nach hatte sich Bruder Martin im Gänsestall versteckt, als man ihn zum Bischof weihen wollte. Doch die Gänse, schon bei den Römern für ihre Qualität als Wachtiere bekannt, haben ihn mit ihrem aufgeregten Geschnatter verraten. Zur Strafe, so heisst es, müssen die Tiere nun zum Martinstag die Federn lassen und landen als Festmahl auf dem Teller. Heute wieder mehr denn je, denn mit Gänsen im eigenen Land ist auch die Nachfrage nach einheimischem Braten gestiegen. «Wir sind offene Türen eingerannt», erklärt Siegfried Marth den Erfolg. Marth verkauft rund die Hälfte seiner Tiere ab Hof, die andere Hälfte an Gastwirte der Region. Spitzenköche haben sich der Gans mit Leidenschaft angenommen und neben dem Klassiker aus dem Ofen auch an leichteren Gerichten sowie an Leber-Paté oder Gansl-Pastete getüftelt. Die Gans erlebt im Burgenland ein Revival. Zu diesem Schwung beigetragen hat sicher auch das Genussfestival «Gans Burgenland», das dieses Jahr zum sechsten Mal stattfindet. Von September bis Dezember gibt es rund 30 Veranstaltungen und Spezialangebote, von Federrupf-Workshops über Gala-Menüs bis zu Übernachtungspauschalen und dem Besuch eines Gänsehofes.
Lokale Schätze: Wein und Gans
Der goldene Herbst ist im Burgenland allgemein eine der schönsten Jahreszeiten für Geniesser. Die Weinlese ist in vollem Gange und rund um Martini werden die jungen Weine gesegnet und gekostet. Das Burgenland ist eines der ältesten Weinanbaugebiete Europas. Die roten Tropfen der Region, darunter Sorten wie Blaufränkischer, Sankt Laurent oder Zweigelt, passen perfekt zu einem Gansl. «Das Aussergewöhnliche an unseren Weidegänsen ist, dass sie den ganzen Tag draussen sind und so viel Gras fressen können, wie sie wollen», erklärt Siegfried Marth. Neben dem Gras stehen ihnen Getreide und Wasser zur Verfügung. Die gute Nahrung plus die viele Bewegung und die natürliche Haltung der Tiere im Herdenverband mache das gute Fleisch aus. Der heilige Martin hätte seine Freude.
Von Stefanie Schnelli, Bild: Burgenland Tourismus/Peter Burgstaller