Das Ende des Tourismus-Boykotts macht Myanmar zum neuen Shangri-La.
Lange galten Burma-Reisen als «politisch unkorrekt». Nach dem Rückzug des Boykottaufrufs stillen Touristen ihren Nachholbedarf. Das südostasiatische Land steht dem Boom erfreut, aber konzeptlos gegenüber.
«Burma ist voll.» Das haben viele Interessenten in Reisebüros zu hören bekommen, als sie für die vergangene Hauptreisezeit (Oktober bis März) buchen wollten. Es war die erste Saison, in der es nicht mehr als «politisch inkorrekt» galt, nach Burma zu reisen.
Die Kampagne gegen Reisen nach Burma hatte einen spürbaren Effekt. Die Militärregierung hatte das Jahr 1996 zum «Visit Myanmar Year» erklärt, ein Versuch, die internationale Isolation aufzubrechen. Die unter Hausarrest stehende Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi durchkreuzte dies mit einem Aufruf zum Boykott von Burma-Reisen. «Burma wird noch lange hier sein, also sagt euren Freunden, besucht uns später»», schrieb sie. «Wenn ihr jetzt kommt, gleicht das einer Anerkennung des Regimes.» Die Forderung der Nobelpreisträgerin wurde weltweit multipliziert, etwa durch die Burma Campaign-UK oder den Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung in der Schweiz.
Geld für die Militärs?
Während in einigen Nachbarstaaten Burmas der Tourismus zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor wurde, dümpelten in der Folge die Besucherzahlen am Flughafen von Rangun vor sich hin. 2010 reisten 310 000 Touristen ein, zwei Drittel von ihnen stammten aus Asien, vor allem aus China. Während Burma in jenem Jahr 254 Millionen Dollar einnahm, erzielten Thailand im Reisesektor 18 Milliarden, Vietnam 3,6 Milliarden und Kambodscha 1,6 Milliarden Dollar.
Die ersten Tauzeichen der Regierung nach den Wahlen 2010 wurden im Jahr darauf von der National League for Democracy (NLD) zum Anlass genommen, die Aufhebung des Boykotts von Reisen nach Burma zu erklären. Allerdings mahnte sie, wenn immer möglich keine Dienstleistungen, die von den Militärs oder deren Klüngel erbracht werden, in Anspruch zu nehmen. «Lonely Planet», der wichtigste Burma-Reiseführer, verwendet in seiner jüngsten Ausgabe mehrere Seiten darauf zu erklären, wie Touristen es vermeiden können, die Militärs profitieren zu lassen. So erhalten etwa Hotels mit einem Bezug zum Militär keine Empfehlung.
Als Tourist um das Regime ganz herumzukommen, ist freilich unmöglich, denn es vergibt Lizenzen, verpachtet Grundstücke und lässt Fluglinien von Günstlingen betreiben, gibt ein Hotelmanager zu bedenken. Vielleicht sei gerade die Auslastung der touristischen Kapazitäten, die von «cronies» aufgebaut worden sind, einer der Gründe für die politischen Lockerungen gewesen.
Aung San Suu Kyi als Brosche
Immer weniger scheren sich die einheimischen Reiseführer um die Regierungsdirektive, «unnötigen Kontakt von Ausländern zu Burmesen» zu unterbinden. Ein Besuch in einer Galerie in Rangun zur Ausstellung von politischen Karikaturen wie auch eine Stippvisite im Hauptquartier der NLD, wo mit Glück Suu Kyi anzutreffen ist, wäre vor ein paar Monaten noch aus Angst vor der Geheimpolizei kaum denkbar gewesen. Wer sich als Tourist mit T-Shirts der NLD oder Suu-Kyi-Abzeichen zeigt, spürt, dass die «Welcome to Myanmar»-Banner, mit denen die Regierung Touristen willkommen heisst, auch von jenen Burmesen ernst gemeint sind, die ihr Land weiterhin Burma nennen. In der Sprachregelung der NLD gilt die Namensänderung durch die Militärs als nicht legitimiert.
Der 15 Jahre dauernde Boykott stiess auch bei vielen Gegnern des Militärregimes auf Ablehnung. Ein Hotelpionier, der zu den Gründern eines NLD-Zweigs im Shan-Staat gehört, sagt, für ihn seien die Touristen wie eine Nabelschnur gewesen, die den Kontakt zur Aussenwelt und das Überleben der Familie sowie der Angestellten bedeuteten, während er als politischer Gefangener eingekerkert war. Ausserdem ermöglichten ihm diese Kontakte bis heute, mehrere Gesundheitsposten weiter zu betreiben.
Manche Touranbieter reagieren auf das Bedürfnis von Kunden, einen sinnvollen Beitrag an besuchte Dörfer zu leisten. Wenn etwa die Passagiere der Paukan Cruises von ihrem alten Irrawaddy-Kreuzfahrtkahn aus das Dorf Yandabo besuchen, wo die Burmesen 1826 ihre Niederlage im ersten von drei Kriegen gegen die Briten konzedieren mussten, so lassen sich die Einwohner gerne beim Töpfern fotografieren. Die Schiffsleitung sammelt im Gegenzug Spenden ein, mit denen ein Gesundheitsposten gebaut werden soll, gleich neben der bereits dank der Touristen erstellten Schule.
Buddhas im Ausverkauf
Andererseits mangelt es nicht an Touristen, die rücksichtslos gekleidet Pagoden betreten oder wertvolle Antiquitäten einkaufen. In Rangun präsentiert ein Antiquitätenhändler auf mehreren Stockwerken Buddhafiguren, manche vergoldet oder als meterhohe Bronzen, und kostbare Lack- und Silbergefässe. Völlig legal liefere er auch in die Schweiz, versichert der gebürtige Inder. Die Stücke würden ihm in Oberburma von Klöstern geschenkt, als Dank für seine Spenden. Das Ministerium sanktioniere die Legalität seines Tuns mit Ausfuhrpapieren. Dass die höchstwahrscheinlich durch Korruption ermöglichte Plünderung der buddhistischen Stätten noch schneller vorangehen wird, ist unschwer vorherzusagen.
Der Tourismus-Boom, der in der letzten Saison schätzungsweise ein Viertel bis ein Drittel mehr Besucher gebracht hat, bringt Burma an den Rand der Kapazitäten. Im ganzen Land gibt es nur etwa 8000 Gästebetten. Manche Hotels beabsichtigen drastische Preiserhöhungen oder warten mit der Annahme von Reservationen zu, um im letzten Moment von der überbordenden Nachfrage profitieren zu können. Ein Hotelier am Ngapali Beach, dem begehrtesten Strand an der Andamanen-See, berichtet von ausländischen Rekognoszierungsteams, die auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten sind. In Rangun prüfen Ingenieure, wie in der Flaute aufgegebene Hotelbauten, nun halb verfallen, doch noch fertig erstellt werden könnten. Bereits hat eine grosse deutsche Charterflugfirma die Aufnahme von Rangun in ihren Katalog für den nächsten Herbst angekündigt.
Koffer voller Dollars
Die Tourismusindustrie hofft, dass die Lockerung der Sanktionen rasch zum Anschluss an das internationale Finanzsystem führt. Noch sind Zahlungen per Kreditkarte, ausser in einer Handvoll Hotels, nicht möglich. Es muss alles bar mitgeführt werden, möglichst in neuen, ungefalteten Dollar-Noten. Glücklicherweise ist Myanmark kein Land, in dem die Kriminalität blüht. Trotzdem ist es für die Reisebüros stets ein Vabanquespiel, wenn sie Koffer voller Dollars an den Zöllnern am Flughafen Rangun vorbei schaffen müssen.
Angesichts der Goldgräberstimmung ist zu befürchten, dass einige der in den Nachbarländern begangenen Fehler auch in Burma wiederholt werden könnten. Die NLD fordert in einem Papier, dass für touristische Projekte nicht mehr ganze Dorfbevölkerungen um ihr Land gebracht werden dürfen, wie dies erst kürzlich an den Stränden von Chaung Tha und Ngwe Saung der Fall war. In der Pagoden-Stadt Pagan steckt die Zwangsräumung der Altstadt von 1990 immer noch in den Knochen der Bürger. Dass die Regierung weiterhin gegen die Interessen des Landes vorgeht, zeigt sich im kürzlich inmitten der Pagoden-Landschaft erstellten Hochhaus des Regime-Günstlings und Milliardärs Tay Za. Da half auch der Protest der Unesco nicht, die im Vorgehen einen weiteren Grund dafür sieht, der einmaligen Ansammlung von Tempeln und Stupas den Welterbe-Status zu verweigern.
Die NLD hat sich Anfang Juni zum Konzept des Responsible Tourism bekannt, das von Harold Goodwin vom International Center for Responsible Tourism geprägt worden ist. Es scheint, dass nur Behörden und die Tourismusindustrie in dessen Ausarbeitung einbezogen wurden, nicht aber NGOs. Zu hoffen ist, dass die Umsetzung des Konzepts verhindern kann, dass die exponentiell steigende Zahl der Touristen nicht jenes Shangri-La zerstört, das sie vorzufinden hoffen.
Von Oswald Iten