Das Flusslabyrinth des Donaudeltas ist ein Paradies für Menschen, Tiere und Pflanzen. Das Biosphärenreservat am Schwarzen Meer liegt hauptsächlich auf rumänischem Boden, reicht aber bis in die Ukraine.
Vogelgezwitscher, stahlblauer Himmel, plätscherndes Wasser. Ein paar Gänse fliegen eine elegante Formation am Himmel. Libellen tanzen im Schilf. Weit und breit kein anderes Passagierschiff. Nur ab und zu ein kleines Fischerboot, das seine Netze auswirft. Am Ufer alle paar Kilometer einige einfache Zelte mit Feriengästen aus der Hauptstadt Bukarest. In der Ferne ein alter Wohnwagen, befestigt auf einem wackligen Floss. Inmitten des Flusslaufes ein Inselchen, auf dem ein alter Lipowaner seine vom Wasser umspülten Rebstöcke pflegt. Seine Babuschka sitzt am Feuer und kocht Fischsuppe. Wind und Sonne haben tiefe Furchen in ihr Gesicht gezeichnet. Neben ihr ein Storch, der sich zwischen blühenden Seerosen seinen Frosch zum Frühstück aussucht. Der Besucher aus der Schweiz erlebt das Donaudelta als Naturparadies und Hideaway, im wahrsten Sinne des Wortes.
Die russischstämmigen Lipowaner haben sich ursprünglich denn auch nicht freiwillig in dieser unberührten Sumpflandschaft Rumäniens versteckt. Als sie sich im 17. Jahrhundert den Reformen der offiziellen Kirche widersetzten, wurden sie als ketzerische Abspalter verfolgt und mussten aus Russland fliehen. Die Zahl dieser altorthodoxen Christen liegt heute etwa bei 100 000. Ein Drittel davon lebt in Rumänien. «Niemand kennt das Delta besser als sie», erzählt Christian, unser Guide im Flusslabyrinth. Bereits als Kind kam der deutschstämmige Rumäne aus Siebenbürgen in die naturbelassene Region, um in den fischreichen Wasserläufen Hechte, Karpfen und Welse zu fangen. Sein Vater hatte jeweils einen Lipowaner als Bootsführer engagiert. «Tagelang sind sie von zu Hause weg und übernachten dann in den Hütten anderer lokaler Fischer, die ebenfalls unterwegs sind.» Kuckuckskinder seien da keine Seltenheit, aber die Lipowaner sähen das ganz entspannt. In den vergangenen hundert Jahren habe es nur einen einzigen Eifersuchtsmord gegeben, lacht Christian. Die Verbundenheit mit dem Wasser zeigt sich auch darin, dass die Lipowaner ausgezeichnete Kanuten sind. Einer von ihnen, Ivan Patzaichin, gewann mehrmals die olympische Gold-Medaille.
Obwohl im April und Mai Schonzeit angesagt ist, begegnen wir in den Flussläufen mehreren Anglern. «Viele Familien ernähren sich vom täglichen Fischfang. Und Wels, Hecht und Zander gehören einfach in jede gute Fischsuppe, die Spezialität der Region», sagt Christian. Auch der Stör hat hier Tradition. Wegen der zahlreichen Schleusen und Kraftwerke kann er allerdings nicht mehr die Donau hinauf schwimmen. Er schafft es nur noch bis ins bulgarische Vidin. Früher reichten seine Wege bis nach Ungarn. Vor Jahren galt der ungarische Kaviar denn auch als lokale Köstlichkeit. Obwohl inzwischen weltweit geschützt, wird der Stör im Delta oft von Wilderern gefangen. Der illegal produzierte Kaviar findet seinen Absatz auf dem Schwarzmarkt. Doch Christian warnt: «Schwarz ist auch der mit Schuhwichse eingefärbte Rogen, mit dem die Gauner ihren Kaviar panschen.»
Das lokale Ausflugsboot bringt uns zurück in unser schwimmendes Hotel, das uns von Belgrad ins Delta gebracht hat. Der serbische Kapitän Aleksander Pavlovic steuert die Excellence Melodia in Richtung Flussmündung. Die Gäste liegen entspannt auf dem Sonnendeck. Das Rauschen der sanften Wellen und das Gezwitscher der Vögel vereinen sich zu einer harmonischen Klangkulisse. Über 300 Vogelarten sollen hier während des Jahres zu entdecken sein. Das Reservat beherbergt beispielsweise die weltweit grösste Kolonie des Rosapelikans. Das grösste zusammenhängende Schilfrohrgebiet der Erde befindet sich ebenfalls hier. Gemächlich ziehen Landschaften an uns vorüber: So stellen wir uns die Entdeckung der Langsamkeit vor. Das Delta strahlt Erhabenheit aus und lässt die Passagiere spüren, dass auch sie Teil der Natur sind. Das über die Jahrhunderte geschaffene Flusslabyrinth am Ufer des Schwarzen Meeres ist faszinierend schön. 1993 nahm die Unesco das Gebiet in die Weltnaturerbeliste auf. Das geschützte Biosphärenreservat umfasst eine Fläche von 4152 km2. Davon liegen 3446 km2 auf rumänischem Gebiet, der Rest auf ukrainischem Boden.
Spuren bis ins 11. Jahrhundert vor Christus
An der Mündung des St.-Georgs-Kanals erreichen wir das Schwarze Meer. Wir fahren wieder stromaufwärts, zurück in die Hafenstadt Tulcea, deren Wurzeln bis ins 11. Jahrhundert vor Christus reichen. Die Römer bauten hier die ersten Zufahrtsstrassen, Byzantiner und Genueser hinterliessen ebenfalls ihre Spuren und ab 1416 übernahmen die Osmanen die Kontrolle über die gesamte Dobrudscha, wie die historische Landschaft zwischen dem Unterlauf der Donau und dem Schwarzen Meer genannt wird. Im Delta selbst gibt es heute noch praktisch keine Strassen. Alles wird auf den Flussläufen transportiert. Auch Polizei und Ambulanz markieren in Booten ihre Präsenz. Im Notfall fliegt auch mal ein Rettungshubschrauber in die Gegend, wie Stephan Heinrich, der umsichtige und historisch versierte Reiseleiter, an Bord erzählt.
Die Excellence Melodia fährt dank ihrer Twin-Konstruktion unglaublich leise: Antriebseinheit und Passagierbereich sind komplett voneinander getrennt. Im Fahrgastraum des sogenannten Schubfahrgastschiffes spürt man deshalb kaum Vibrationen. Das Gezwitscher der Singvögel und das Plätschern des Wassers bilden die fast einzige Geräuschkulisse. Komfortabler kann man den einzigartigen Lebensraum von mehr als 5200 Tier-und Pflanzenarten kaum entdecken.
Von Markus Weber
Die Excellence Melodia und die Excellence Princess, beides Flussschiffe des Reisebüros Mittelthurgau, fahren mehrmals jährlich ins Donaudelta.
www.mittelthurgau.ch