Foto-Safari in Afrika mit dem Geländewagen? Klingt für aktive und sportliche Menschen wie eine Drohung. Wer sich traut, geht in Botswana zu Fuss auf die Pirsch, begleitet von Wildhütern.
Tag 1: Das letzte Teilstück unserer Reise legen wir im Helikopter zurück. Unter uns Hunderte von Nilpferden, deren Leiber wie pralle Leberwürste aus dem schlammigen Wasser ragen. Dazu Schwärme von Marabus, Schwarzstörche, eine Herde Büffel, Elefanten. Wir sind von Botswanas Safari-«Hauptstadt» Maun aus mit einer Cessna an den zu dieser Jahreszeit fast ausgetrockneten Linyanti-Fluss an der Grenze zu Namibia geflogen. Dort erwartete uns Beks Ndlovu, Gründer von African Bush Camps und für die nächsten Tage unser exklusiver Guide. Nun landet der Heli direkt neben dem rustikalen Zelt-Camp – Plumpsklo, Bucket Shower, kein Strom, kein Handynetz, aber viele gute Geister, die einem feuchte Tücher reichen und das Gepäck ins Zelt tragen. So geht Glamping.
Der erste Gin & Tonic kommt genau, als der hier so wunderbar rot leuchtende Feuerball am Horizont versinkt. Ein Bild von Afrika. Klischeehaft, und doch romantisch. Wäre (die junge) Meryl Streep hier, man würde ihr glatt die Haare waschen wollen wie einst Robert Redford in «Out of Africa». Beks lächelt milde über unsere Fantasien. Er hat gelernt, mit den kolonialen Safari-Zerrbildern seiner Gäste umzugehen. Am Lagerfeuer erklärt er uns das Programm für die nächsten Tage: Tiere gucken zu Fuss, Walking statt Driving Safari. Das Intro dazu ist dann doch etwas länger und komplexer. Als wir später unter dem Kreuz des Südens zu unseren Zelten geleitet werden, haben wir ein leicht flaues Gefühl im Magen. Denn so viel haben wir verstanden: Ein Wildtier-Reservat in Botswana ist kein Spaziergang.
Tag 2. Als wir noch vor Sonnenaufgang aufstehen, überkommt mich plötzlich eine diffuse Sehnsucht, den Park doch lieber von einem Safari-Fahrzeug aus zu erkunden. Gleich hinter meinem Zelt streunen Hyänen herum, denen im Gegensatz zu uns ganz offensichtlich niemand Porridge gekocht hat. Doch Beks drängt zum Aufbruch, er hat sein grosskalibriges Gewehr entsichert und marschiert schnellen Schrittes voran durch den Busch. Er folgt den Spuren der Büffelherde, die wir gestern aus der Luft gesehen haben.
Nicht weglaufen, niemals!
Wenig später blicken uns durch die dicht stehenden Mopane-Bäume dunkle Augen an. Wir sind sehr nah, erkennen feuchte Nüstern, die unsere Witterung aufnehmen, und massige Hörner auf den Schädeln der bis zu einer halben Tonne schweren Bullen. Beks schaut etwas angespannt. Ich kämpfe Fluchtreflexe nieder. Hinter einem Baum gehen wir in Deckung. Die Herde, es sind mehr als hundert Tiere, setzt sich trabend in Bewegung. Die Halme des Savannengrases zittern wie bei einem leichten Erdbeben. Staub und ein strenger Geruch dringen in unsere Nasen. Hatte Beks gestern nicht erzählt, dass er vor Raubkatzen keine Angst, vor Büffeln aber einen Heidenrespekt habe? Ich versuche, mich an seine Regeln zu erinnern: Nicht weglaufen, niemals! 60 Sekunden später ist der Spuk vorbei. Die Herde ist in weniger als 50 Metern Entfernung vorbeigedonnert. Wir können aufatmen. Was für ein Auftakt!
Tag 3: So eine Adrenalin-Dusche wie gestern brauchen wir nicht gleich wieder. Wir lassen es ruhiger angehen. Versuchen, um die Big Five (Elefant, Löwe, Leopard, Büffel, Nashorn) einen Bogen zu machen. Wir freuen uns an grazilen Impalas, beobachten einen Trupp Paviane. Wir pirschen uns an schlammverkrustete Warzenschweine heran und fotografieren einen Zebra-Hengst, der seine Girls mit einem Warnruf auf uns aufmerksam macht. Beks gibt uns eine Lektion im Spurenlesen. In einem Safariwagen kann man Afrika sehen. Zu Fuss kann man es fühlen, riechen, schmecken und hören. Die sinnlichen Eindrücke sind intensiver, wir werden ganz allmählich Teil der Savanne. Natürlich: Um einen siebten Sinn für die Gefahren im Busch zu entwickeln, muss man wohl dort gross geworden sein. So wie Beks, der in der Nähe des Hwange-Nationalparks im Nordwesten Simbabwes aufgewachsen ist. Er gründet mithilfe vermögender Investoren, die er als Privat-Guide betreut hatte, sein eigenes Safari-Unternehmen. Denen gefällt Beks’ Geschäftsmodell: Er hat beobachtet, dass sich die Safari-Lodges in Sachen Luxus permanent zu überbieten versuchen. «Im Mittelpunkt sollen aber die Landschaften und die Tiere stehen», findet Beks. 2007 geht Somalisa an den Start, sein erstes Camp in Zim, Simbabwe. In Botswana eröffnete er sein erstes Camp am Linyanti, an dessen Ufer wir jetzt sitzen.
Tag der Schlangen
Tag 4: Beks verabschiedet sich, er hat Termine. Wir ziehen jetzt mit seinem Head-Guide Bee los. Auch er ist ein Zu-Fuss-Profi: Jedes Mal, bevor wir uns für eine Pause unter Akazien niederlassen, geht sein Controller-Blick nach oben auf der Suche nach Leoparden im Geäst. Den eleganten Katzen wollen wir nicht zu nahe kommen. Wenn sie Junge haben oder ihre Beute bewachen, sind sie unberechenbar. Und die Löwen? «In 80 Prozent der Fälle laufen sie weg», beruhigt Bee. Aber sind 80 Prozent wirklich beruhigend?
Tag 5: Wieder auf Pirsch mit Bee. Schweigsam und auf leisen Sohlen durchstreifen wir den Busch, als Bee plötzlich «Mamba» ruft. Direkt vor ihm schlängelt eine Schwarze Mamba im hohen Gras, mindestens zwei Meter misst sie. Die längste Giftschlange Afrikas ist zudem deutlich aggressiver als viele ihrer Verwandten, und ihr Gift tödlich. Diese hier verschwindet aber so schnell, wie sie aufgetaucht ist. Später stolpern wir fast über eine Gebänderte Kobra und beobachten fasziniert eine Felsenpython, die eine Fahrstrasse überquert – nicht giftig, aber beeindruckend gross. Danach haben wir von Walt Disneys lustiger Welt der Tiere aus der Zu-Fuss-Perspektive erst einmal genug. Ausserdem darf man nach gut 50 Wanderkilometern auf Tierpfaden ruhig einmal ins Allradauto steigen. Bee fährt uns zu einem perfekten Sundowner-Platz an einer Lagune. Wir sind gute Schüler. Als wir aussteigen, trete ich automatisch vom Wasser zurück. Keine zehn Sekunden später taucht ein Nil-Krokodil auf, zwanzig Meter entfernt. Um Tiere zu reissen, können sie wie Pfeile aus dem Wasser schiessen. Adrenalin durchströmt meinen Körper, vermischt sich mit dem Alkohol im Blut. Was für ein berauschendes Hochgefühl!
Aug in Aug mit einem Elefantenbullen
Tag 6: Wir wechseln in Beks’ Zeltcamp am Khwai River am Rand des berühmten Okavango-Deltas, eine der tierreichsten Ecken der Erde. Guide Dutch findet, dass wir mit Elefanten wandern sollten. Eine halbe Stunde später finden wir die Jumbos: Bullen mit langen Stosszähnen, Babyfanten mit ihren Mamas, Halbstarke. Uns wird wieder bewusst, wie klein und schutzlos wir sind. Dutch zeigt an, dass der Wind ungünstig steht und wir uns deshalb aus einer anderen Richtung anpirschen müssen. Noch hundert Meter, noch 80 Meter. Hinter umgestürzten Bäumen suchen wir Deckung. Einer der jungen Bullen hat unsere Witterung aufgenommen, schaut uns direkt an. Er kommt näher. 50 Meter. Dutch beobachtet ihn genau, hat das Gewehr im Anschlag. Vor einiger Zeit musste er bei einem solchen Kerl einen Warnschuss abgeben. Gerade, als wir uns für die Idee erwärmen, dass dieser Herr sich und seine Herde nicht bedroht sieht, rennt der Dickhäuter auf uns zu. 30 Meter, 20… Dann dreht er abrupt ab. Es dauert Minuten, bis wir wieder Fassung finden und ich das erste Wort herausbringe. Und auch dieses ist wenig eloquent: Wow! Auf dem Rückweg ins Camp stimmen wir die Hymne aller Fussball-Fans an, die passt auch in Botswanas Busch wie der Rüssel aufs Auge: You’ll Never Walk Alone.
Von Günter Kast