Der moderne Spielsalon heisst in New York heute VR-Welt. Aber auch die Stadt selbst und die Museen machen mit bei der Entdeckung des virtuellen Raumes.
Mit der rechten Hand klammere ich mich an die Aushöhlung im Felsen, mit der linken suche ich nach dem nächsten Griff in der steilen Wand. Weit unter mir der Canyon und die Wälder. Das werde ich schon schaffen, andere sind hier in wenigen Minuten hochgeklettert! Doch mit der rechten Hand finde ich keinen Halt, die Kraft in der linken lässt nach und ich falle in den Fluss. Zum dritten Mal. Ich setze die VR-Brille ab. Meine Freunde lachen, sie haben den Absturz meines Avatars am Grossbildschirm mitverfolgt.
Wir befinden uns in der «VR World» in Manhattan im «grössten Virtual Reality Center auf dieser Seite des Planeten», gleich daneben erhebt sich das Empire State Building. Für 60 Dollar kann man hier einen Nachmittag lang Robin Hood spielen, um die Wette laufen und Monster bekämpfen. «Wir haben die Zukunft gesehen, und sie besteht darin, Zombies über den Haufen zu schiessen», titelte die New York Times nach einem Besuch in der VR World spöttisch. Neben dem Gamer-Tempel in Midtown entführen auch kleinere VR-Boutiquen in Brooklyn und Queens ihre Kunden für ein paar Stunden in virtuelle Welten. Die offizielle Stadt und die Kunstbetriebe mischen ebenfalls mit. Wer einen Besuch in New York plant und sich virtuell schon einmal vortasten will, hat eine reiche Auswahl – von der klassischen Kutschenfahrt durch den Central Park und Eislauf beim Rockefeller Center (Jaunt VR App) über einen Stadtrundflug (YouVisit App) bis hin zum Gang durch die Bronx oder Brooklyn (NYT VR). Museen, die mit der Zeit gehen, bieten VR-Programme an. Das Guggenheim Museum kann man virtuell mit dem Smartphone und dem Google Cardboard Viewer besuchen. Viel Aufsehen erregte vergangenes Jahr im Whitney Museum das schonungslos brutale VR-Stück «Real Violence» von Jordan Wolfson.
Auch das New Museum, seit 2007 an Manhattans Lower East Side ein führender Ort für neue Kunst, bietet eine kostenlose Virtual-Reality-App an. Zachary Kaplan leitet das VR-Programm des New Museums. «Die Reaktionen auf unsere VR-Präsentationen sind grossartig, diese Events sind alle ausverkauft», sagt er. Das Publikum werde allerdings anspruchsvoller: «Es gibt einen Hunger nach VRKunst, sie muss sich aber auf hoher Ebene bewegen.» Alecz Girardeau, im virtuellen Raum als Boulder Haze bekannt, sieht VR weniger als Unterhaltungsmedium denn als ein gutes Werkzeug im Kasten der Designer. «Wäre ich Bildhauer, dies wäre mein neuer Hammer – aber so vielfältig wie ein Schweizer Sackmesser», sagt der Franzose, der in New York lebt. «VR ist ein Teil von etwas Grösserem, das wir im Moment noch nicht richtig greifen können», ist Girardeau überzeugt. Für eine Zukunftsprognose sei sein 15-jähriger Cousin besser aufgestellt: «Frage die Kids, sie haben die besten Ideen!»
Text: Roman Elsener
Foto: VR World New York