Ein kleiner Fleck auf der Landkarte, mitten im grossen Ozean. Eine afrikanische Insel mit indischem Gesicht, die vertrautes europäisches Niveau mit exotischer Landschaft verbindet: Mauritius.
Wer sich eine Reise nach Mauritius gönnt, der sollte sich Zeit nehmen: Zeit, um zu träumen, ohne die Augen zuzumachen. Schliesslich sei zuerst Mauritius erschaffen worden – und dann der Himmel nach dem Vorbild der Insel, heisst es. Liegt man am blendend weissen Sandstrand in der tropischen Sonne, so schimmert zwischen den Zehen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang die Lagune türkisblau hindurch. Und über dem Kopf neigen sich sattgrüne Bäumchen, die sie hier Filaos nennen. Ab und an schwebt ein dunkelhäutiger Engel vorbei und fragt, ob man vielleicht etwas Manna benötige. Andere Engel weisen die Gäste in die Handhabung eines Segelboots oder lehren sie das Skifahren auf dem Wasser. Alles ohne zusätzliche Kosten. Das ist Mauritius. Das ist der Himmel auf Erden.
Schon Mark Twain schrieb: «Dies ist das einzige Land auf Erden, wo man den Fremden nicht fragt: ‹Wie gefällt Ihnen unsere Gegend?› Alles Reden über die Insel geht von den Bewohnern aus, der Reisende braucht nur zuzuhören.» Auf dem riesigen Globus wirkt die Insel noch kleiner als ihre so berühmte blaue Briefmarke. Aber am Strand zwischen Türkisblau und sattem Grün, unterhalb des mächtigen Morne Brabant am südwestlichen Zipfel der Insel, da öffnet sich Mauritius so gross und weit wie ein grenzenloser Kontinent.
Nach ein paar Tagen im mauritischen Paradies ist klar: Der Stressabbau hat funktioniert. Der Chef schmort in der Hölle. Das nasskalte Wetter ist vergessen. Jetzt wird die Neugier befriedigt. Wie sieht wohl der Himmel hinter den sattgrünen Filaos aus, abseits des weissen Traumstrands? Und was erzählen die Leute denn wirklich über ihre schöne Insel?
Vom Paradies über Wasser gelangen Abenteuerlustige direkt ins Paradies unter Wasser – zu Fuss. Im Himmel ist ja fast alles möglich. Der Underwater Walk kommt einem Moon Walk gleich. Das Gefühl von Schwerelosigkeit zwischen den Korallenstöcken ist berauschend. Nur die Optik ist leicht verzerrt. Die kleinen schwarzweiss gestreiften Sergeant-Major-Fische werden zu fetten Generälen. Hinter den Plexiglasglocken der anderen Unterwasserspaziergänger strahlen Gesichter, die selbst Julia Roberts’ Breitwandlachen in den Schatten stellen.
Auf den futuristischen Aquanautenspass folgt im zehn Kilometer entfernten Balaclava ein Besuch in der Vorzeit: 240 Kilogramm Lebendgewicht mit 120 Jahren auf dem Buckel warten hier geduldig auf die Besucher. Mühsam bewegen sich die Kerle, Kopf und Hals sind kahl, der Körper ist gepanzert. «Am liebsten mampfen unsere Riesenschildkröten die frischen Blätter von den Bäumen über ihnen», sagt der Tierpfleger und deutet nach oben. Er zupft ein paar der Blätter und die Rallye beginnt. Was beim ersten Betrachten so schwerfällig wirkte, wird plötzlich leichtfüssig.
Leichtfüssig geht es auch am Abend zu und her. Zum Dinner steht Sega auf dem Programm. Das heisst, nach der Vorzeit folgt die Kolonialzeit des 17. und 18. Jahrhunderts – und damit auch die Zeit der Sklaven. Sie wurden für die Zuckerrohrernte ins Land gebracht. Und abends nach der harten Feldarbeit trafen sie sich zur Sega, dem Tanz der Unterdrückten, der das Leben zumindest für einen kurzen Moment etwas leichter machte. Roselyn aus Mahébourg tourt mit ihrer Gruppe über die Insel. Sie geht von Tisch zu Tisch und stellt sich und Sega vor: «Tanz und Musik sind afrikanisch geprägt», sagt sie. «Aber wir entwickelten die Sega ständig weiter, übernahmen auch fremde Einflüsse, und so ist Sega heute Popmusik für alle.» Mark Twain scheint recht zu behalten. Niemand fragt, ob die Insel gefalle, alle erzählen nur von ihr, den Menschen und ihren Bräuchen.
Von Jochen Müssig
GUT ZU WISSEN
Anreise: Edelweiss fliegt nonstop von Zürich nach Mauritius. Zur Einreise genügt ein Reisepass.
Reisezeit: Ganzjährig. Die Luftfeuchtigkeit ist von Januar bis April am höchsten. Die Eitel-Sonnenschein-Monate sind September bis Dezember.
Zeitdifferenz: plus zwei Stunden, im Winter drei.
Sprache: Englisch; gesprochen wird aber meist Patois, das dem Französischen ähnlich ist. In Hotels wird auch Deutsch verstanden.
Verkehrsmittel: Ein Mietwagen kostet pro Tag ab 50 Franken, Taxifahrten pro Kilometer einen Franken. Günstige öffentliche Busse verkehren sternförmig ab Port Louis.
Strände: Die Nr. 1 im Norden: Bain de Boeufs beim Cap Malheureux. Im Westen: Trou aux Biches südlich von Mont Choisy. Im Süden: Le Paradis am Morne Brabant. Im Osten: Belle Mare und die Île aux Cerfs.