Senegal ist ein modernes Land, das sich viel Animistisches bewahrt hat. Das Leben ist bunt und bewegt.
Der Himmel über Dakar ist voller Milane. Zu Dutzenden kreisen ihre schwarzen Silhouetten über den flachen Dächern der graubraunen Häuserblocks. Von Lärm und Hektik ungestört, segeln die eleganten Greifvögel auf den unsichtbaren Luftströmen, die vom Meer her die steilen Uferklippen hochsteigen und über die Millionenstadt ziehen. Gelegentlich schert einer aus und lässt sich nonchalant bis über die schäumenden Brecher treiben, wo ihn die Gischt zu erhaschen versucht.
Die Strassenschluchten tief unter den Vogelschwärmen sind das Reich der Paradiesvogelfrauen. Hier pulsiert der Grossstadtverkehr und drängen sich Menschenmassen durch die Marktstrassen, über verstopfte Kreuzungen und an unübersichtlichen Bushaltestellen. Vom Staub und vom Chaos ungerührt, bahnen sich die Schönheiten ihren Weg durch das gemeine, farblose Volk. Ihre extravaganten, bodenlangen Deux-Pièces in den ausgefallensten Farben und Mustern sitzen wie angegossen. Die üppigen Volants an den Säumen betonen ihre weiblichen Formen, die Sonne bringt die teuren Stoffe zum Schimmern. Ihr ausladender Kopfputz im gleichen Design wie die Roben vollführt ein buntes Ballett über dem Köpfemeer. Die Paradiesvogelfrauen wohnen in jedem zweiten Haus. Sie sind die Schmuckstücke der Familien. Eine Augenweide in einem Land, in dem sonst Grau und Braun dominieren.
Baderitual für Schafe
Dakars sandfarbener Stadtkörper erstreckt sich dem Atlantik entlang und frisst sich beständig tiefer in das flache, trockene Umland. Wo die Krakenarme auf ein Dorf treffen, umfassen sie es zunächst sanft, bevor sie es sich einverleiben. So entsteht ein neues Stadtquartier nach dem anderen. Einigen gelingt es, sich ihren Dorfcharakter zu bewahren. Ngor zum Beispiel, eine traditionelle Fischersiedlung, umwachsen von einigen Hotels und modernen Wohnvierteln. Die Kombination hat für Besucher durchaus ihren Reiz. Vom Frühstückstisch des am Strand gelegenen Hotels «Madrague» bietet sich ihnen jeden Morgen ein faszinierendes Schauspiel: Scharen von Joggern jeden Alters und jeder Konstitution, die gemächlich ihr Training absolvieren, Dutzende von züchtig gekleideten Frauen und Männern, die hingebungsvoll einer Vorturnerin nacheifern, Acquafit-Teams, die mit Neoprenanzügen und bunten Schaumgummischlangen bewehrt das flache Wasser durchpflügen, und quirlige Schulklassen, deren französischsprachige Lehrer sie zu diszipliniertem Ballspiel anzuhalten versuchen.
Dabei ist der Sandstrand nur wenige Hundert Meter lang, Platz ist Luxus in Dakar. Die Bewegungsfreaks müssen ihn mit den Strandliegen vor den Hotels, aber auch mit den Fischern teilen, die ihre Holzpirogen an Land ziehen, um den Fang auszuladen. Und dann sind da überall noch die Schafe, die mehrmals pro Woche im Salzwasser gebadet und energisch gebürstet werden, was sie gesund und stark machen soll. Auffällig sauber sind sie jedenfalls, und das Sträuben gegen die Prozedur könnte tatsächlich ihre Muskeln stärken.
Fremde dürfen sich dazusetzen
In den sandigen Gassen, die vom Strand abgehen, setzt sich das Gewusel fort: Velos und Motorräder schlängeln sich mit ihrer Ware durch Schwärme spielender Kinder, in Plastikzubern am Boden waschen Frauen und Mädchen Wäsche und hängen sie kreuz und quer durch die Innenhöfe. Auf Stufen im Schatten sitzend palavern elegant gekleidete, ergraute Marabuts im Kreise von Gleichaltrigen. Niemand hat etwas dagegen, wenn sich Fremde dazusetzen. Verstehen tun sie sowieso nichts, die Umgangssprache ist Wolof. Nicht einmal das vermeintlich Begeisterung ausdrückende Wow ist, was es scheint. Es heisst schlicht Ja. Die meisten Senegalesen sprechen auch durchaus passabel Französisch. «On aime éclater!», ruft eine der Grazien mit einem breiten Lachen. Eine simple Erklärung für den auffälligen Kleidungsstil der Senegalesinnen. Eine Explosion an Farbe und Lebensfreude, ja das sind sie tatsächlich. Doch hat die Schönheit ihren Preis: Man kauft den Stoff – und zwar einen teuren – bei einem vertrauenswürdigen Händler und schneidert ihn zu Hause nach Mass. Nach jedem Waschen wird er gestärkt und mit einem Kohle-Bügeleisen geglättet. Erst das mache die Textilien glänzend und fest. Ein millionenfach wiederholtes Ritual.
Das Geld ist knapp, und so genehmigt sich kaum ein Dakarois einen Bus oder gar ein teures Taxi, um das eigene Land zu erkunden. Dabei wäre es so lohnenswert, auch wenn nicht alles nur schön ist: Auf der Fahrt nach Norden bis St. ouis oder nach Süden bis Fadiouth werden die Reisenden entlang der Teerstrasse von Abfallhalden begleitet, die jedem Dorf vor- und nachgelagert sind. Am Ende beider Küstenfahrten warten dann zwei Extreme: Der Senegalfluss, der die Staatsgrenze zu Mauretanien bildet und die Unesco-geschützte, koloniale Insel St. Louis umfliesst, gleicht im Norden einer ölig schimmernden Kloake, in der zwischen Hunderten Pirogen einiges an Abfall dümpelt. Im Mangrovendelta des ebenfalls Unesco-gelisteten Fadiouth im Süden ist es hingegen blitzsauber.
Bild: Katja Müller
Inseln aus Muschelschalen
Der Obolus, den Touristen hier entrichten, bevor sie einige der Inseln besuchen dürfen, wurde von der Dorfgemeinschaft dazu verwendet, unweit von Fadiouth eine Müllverbrennungsanlage zu bauen. Der freundliche Guide Hyacinte ist sichtlich stolz auf die gelungene Eigeninitiative. Könnte, was hier im Kleinen funktioniert, vielleicht ein Vorbild für Dakar sein?
Während der Führung über die verkehrsfreien Eilande von Fadiouth zeigt Hyacinte an einer Baugrube, dass die flachen, bebauten Inseln ausschliesslich aus kleinen weissen Muschelschalen bestehen – über Jahrhunderte von Menschenhand aufgeschüttet. Die Häuser, die Kirche und die Moschee dagegen sind aus Ziegeln und Lehm. In Umkehr des Landesverhältnisses wohnen in dem 4000-Seelen-Dorf 90 Prozent Christen und 10 Prozent Muslime. Die Beziehung zwischen den Religionen sei hier wie dort praktisch spannungsfrei, beteuert Hyacinte, denn in erster Linie seien Senegalesen Animisten und erst danach Muslime oder Christen. So verwundert es nicht, dass auf der Friedhofsinsel ein heiliger Baobab-Baum zwischen muslimischen und christlichen Gräbern steht. Von Toleranz zeugen auch die freilaufenden Schweine auf der Hauptinsel. Zum Mittagessen gibt es Schweinebraten und Mini-Austern aus den Mangrovenwäldern.
Im ölig-schmutzigen St. ouis am anderen Ende des Landes wird kein Schweinefleisch serviert, dafür das landestypische Thieboudienne – Reis mit Fisch – in einer unnachahmlichen Zwiebelsauce, dazu die süssliche, eiskalte Baobab-Milch oder eine fruchtige Hibiskusblüten-Limonade. Das saubere, einfache Esslokal «La Linguère» wird auch vom Gastgeber des hübschen «Sunu Keur»-Hotels frequentiert. Dessen französische Besitzer haben das ehemalige Handelskontor auf der Insel im Senegalfluss bis auf die Fundamente abgetragen und originalgetreu wieder aufgebaut. Mit seinem begrünten, schattigen Innenhof ist es eine Oase der Ruhe und Frische. Von der Dachterrasse aus lassen sich derweil das Gewimmel in der offenen Koranschule direkt nebenan, der bunte Fussgänger-, Droschken- und Verkehrsstrom über eine der Brücken und das Manövrieren der Fischer in ihren riesigen Pirogen ungestört beobachten.
Auf der historischen Insel, die mit den schachbrettartigen, sandigen Strassen und den zweistöckigen, ehemals pastellfarbenen Häusern mit schmiedeisernen Balkonen an New Orleans erinnert, stehen noch einige Hotels aus der französischen Epoche, die 1956 mit der Unabhängigkeit des Landes endete. Doch ausser dem luxuriös-kolonialen «Hotel de la Résidence» sind die altehrwürdigen Häuser heruntergekommen. Das Geld für Renovierungen fehlt. Nachdem 2013 die Islamisten in Mali eingefallen sind und seit Boko Haram Nigeria in Angst und Schrecken versetzt, machen Touristen einen Bogen um ganz Westafrika. Im Fall von Senegal zu Unrecht. Die Senegalesen wissen um die Flüchtigkeit des Glücks. Deshalb umwerben sie es mit ihren allgegenwärtigen Gris-gris und Talismanen. Sogar die Autos ziehen zum Schutz vor Unbill kurze Pferdeschweife hinter sich her.
Von Lucie Paska