Bild: Westlight Bar im The William Vale Hotel
Wer einmal einen New Yorker Hitzesommer erlebt hat, weiss: Rettung gibt es hier nur in der Höhe. Sobald die Sonne hinter der Skyline versinkt, geht es in New York ab aufs Dach.
Nie ist New York schöner als auf einem Dach, nachdem sich die Sonne am Horizont hinter New Jersey verabschiedet hat. Die «blaue Stunde», die Abenddämmerung, die sich mit einem leichten Thermikwind vom Meer über die Stadt legt, versöhnt die Bewohner nach einem hektischen Tag in den überhitzten Strassen mit dem Leben in der Grossstadt im Sommer.
Ob reich oder arm, ob per Hochgeschwindigkeits-Lift in eine schicke Rooftop Bar oder über eine Feuerleiter illegal auf einen Brownstone in Brooklyn – wenn die Sommernacht kommt, klettern die New Yorker auf die Dächer. Die Metropole befindet sich auf dem gleichen Breitengrad wie Neapel. Erbarmungslos heizt die Sonne die Beton-, Stahl- und Glasfassaden der City auf. Die Innenräume der Wolkenkratzer werden durch riesige Lüftungssyteme kühl gehalten, die Abhitze landet derweil in stickigen Schächten und Hinterhöfen. Aus der U-Bahn dringt warm-feuchte Abluft, die sich mit den Abgasen des Strassenverkehrs vermischt. Durchatmen kann man zwar auch in den grosszügigen Parkanlagen der Stadt – vom Central Park in Manhattan über den Corona Park in Queens und den Prospect Park in Brooklyn. Diese Oasen bieten aber nicht nur Eichhörnchen und einer Vogelpracht ein Heim, sondern auch störenden Insekten aller Art, von denen man auf den Dächern verschont bleibt.
Romantik auf dem Dach
«Als junge, angehende Schlagzeugerin wohnte ich in einer WG ohne Privatsphäre in einem Lagerhaus in Williamsburg», erzählt die Musikerin Heather Wagner, die unter anderem mit dem Brooklyner Songwriter Jeffrey Lewis um die Welt getourt ist. «Um etwas Ruhe zu finden oder ein bisschen romantische Zeit mit einem Partner zu verbringen, blieb nur das Dach. Manchmal war es auch schlicht zu heiss, um drinnen zu schlafen», lacht Heather.
Also ab auf die Dächer. Der führende Städteguide, der Condé Nast Traveller, listet für dieses Jahr nicht nur die 10 besten New Yorker Rooftop Bars, gleich 19 Dachrestaurants empfehlen die Experten. Noch ausschweifender ist die Auswahl der Redakteure der beliebten Gratis-Wochenzeitung Time-Out, die ihre neue Dachbar gleich an erster Stelle von 27 exzellenten New Yorker Dächer stellen. Doch aufgepasst! «Rooftop Bars sind im Sommer immer überteuert, überfüllt, überlaut und die meisten Leute betrunken», warnt Heather Wagner. Besuchern empfiehlt sie, sich schon bei der Planung eines Sommerbesuches in New York – sei das über Hotels oder private Anbieter – nach «Roof access» – Zugang zu einem Dach – zu erkundigen.
Mit Millionen New Yorkern verbunden
New York ohne Dach im Sommer ist kaum auszuhalten», sagt auch der Fitness Coach Tim Haft. Die Erfahrung der Stadt in der Nacht, auf dem Rücken auf einem Dach liegend, die Sterne betrachtend, wirke oft therapeutisch. Tim ist ein Fan von «Rooftop Films», einer Art Freiluftkino-Gruppe, die sich für ihre Vorstellungen immer neue Dächer in New York City aussucht. «Stadtgeräusche, Gerüche und Lichter rücken in den Hintergrund, man hebt ab», sagt Haft. Der Buchverleger Anton Fine pflichtet ihm bei. Mit seiner Frau Yael hat er sich vor ein paar Jahren ein kleine Wohnung mit Zugang zu einem herrlichen Dach mit Blick auf die Williamsburg Bridge Richtung Manhattan ergattern können. «Oft scherzen wir über die blinkenden ‹Sternschnuppen›, die sich Richtung Flughafen JFK bewegen und mit denen immer wieder Menschen aus allen Ländern landen, die zündende Ideen in die USA bringen», sagt Fine. Er, dem die politische Gespaltenheit des Landes noch mehr Sorgen macht als die Zukunft des Verlagswesens, hat ausgerechnet am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag, Geburtstag und lädt jeweils zur Party auf dem Dach.
«Wir warten auf den Sonnenuntergang und das Feuerwerk. Auch wenn man nicht patriotisch ist, sollte man diesen Feiertag auf einem Dach verbringen», sagt Heather. «Die Farben am Himmel schüren Erinnerungen an die Kindheit, während man sich mit Millionen anderer Einwohner New Yorks verbunden fühlt, die das gleiche Spektakel sehen.»
Von Roman Elsener
Die Top Five New York Rooftops:
1. Westlight: 111 N 12th St 22nd Floor, Brooklyn, NY 11249.
Das Westlight ist auf dem höchsten Wolkenkratzer von Williamsburg, dem William Vale Hotel. Es bietet bei Sonnuntergang die beste Aussicht auf die Skyline von Manhattan im Westen und auf Brooklyn und Queens im Osten.
2. Le Bain: The Standard, High Line, 848 Washington St, New York, NY 10014.
Das Standard Hotel an der High Line, einem Stadtpark auf den Trägern einer alten Zuglinie, ist ein Renner seit der Eröffnung 2009. Wer das erste Mal in den USA ist, sollte sich hierher begeben, um zu sehen, wie die Sonne im weiten, offenen Wilden Westen versinkt.
3. The Rooftop at Time Out Market: 55 Water St, Brooklyn, NY 11201.
Im angesagten Brooklyner Stadtteil Dumbo, mit der U-Bahn fünf Minuten von Manhattan entfernt, hat das Stadtmagazin Time Out einen eigenen Supermarkt eröffnet, der verspricht, das Beste von New York unter einem Dach zu vereinen. Und auf dem Dach geht die Party ab.
4. Gallow Green: 542 W 27th St, New York, NY 10001.
Während in den diversen Sälen des McKittrick Hotels die legendäre Party «Sleep No More» ihren Gang nimmt, findet man Ruhe vom Trubel auf dem Dach des Hotels, in der Geisterbar «Gallow Green».
5. The Water Tower: 96 Wythe Ave, Brooklyn, NY 11249.
Die kleine Cocktail Bar thront über dem Rooftop-Pool des neuen Williamsburg Hotels. Nach einem kurzen Schwumm im Pool ein Drink in den samtigen Sofas des Water Towers mit Ausblick auf Manhattan – New York pur.