Eine Safari in Sri Lanka ist wie ein Ausflug in die bunte Welt des Dschungelbuchs. Tiger gibt es allerdings nicht, dafür umso mehr Leoparden.
Die Morgensonne steht schon hoch über dem Dschungel, als Steuart Roelofsz zum ersten Mal den Fuss vom Gaspedal nimmt. In den Baumkronen über seinem Geländewagen kreischt ein aufgeregter Affe. Der Safari-Guide schaltet den Motor aus und horcht in den Wald. «Irgendwo hier im Dickicht muss er stecken», flüstert er. «Wenn die Hanuman-Languren Alarm schlagen, ist der Leopard meist nicht weit.»
Im dichten Unterholz hängt noch der Dunst der Nacht. Nur langsam dringt die Hitze des Tages in den Urwald vor. In den Baumkronen flüstern winzige Vögel. Aus der Ferne erklingt ein heiseres Krähen. «Unser Nationalvogel heisst uns willkommen im Yala-Nationalpark», sagt der 35-jährige Sri-Lanker. «Das ist ein Ceylonhahn. Ein bunter Verwandter unserer Haushühner.» Nur der Leopard will sich nicht blicken lassen.
Keine Konkurrenz für den König
Nirgendwo auf der Welt soll es so viele Leoparden pro Quadratkilometer geben wie im Yala-Nationalpark, Sri Lankas bekanntestem Schutzgebiet im Südosten der Insel. «Das liegt daran, dass sie hier keine natürlichen Konkurrenten wie Löwen oder Tiger haben», erklärt Roelofsz. «Die Leoparden sind hier unbestritten die Könige im Dschungel.» Ein Besuch der verwunschenen Wälder Sri Lankas gleicht einem Ausflug in die bunte Welt des Dschungelbuchs. Die meisten Besucher möchten einen Blick auf Baghira und Balu erhaschen: Leopard und Lippenbär sind auf jeder Pirschfahrt die begehrtesten Tiere. Auch schwarze Panther kommen vor, also Leoparden mit schwarzem Fell. Doch obwohl es viele der Grosskatzen gibt, braucht es ein wenig Glück, um sie im Dickicht ausfindig zu machen. Besser stehen die Chancen, Hathi und seine Elefantenherde bei der Frühpatrouille zu überraschen oder King Louie und seine Affenbande in den Baumkronen zu erspähen. Drei tagaktive Primatenarten leben in Sri Lanka: die langschwänzigen Hanuman und Weissbart-Languren sowie der endemische Ceylon-Hutaffe mit seinem charakteristischen namensgebenden Haarschopf. Manchmal lässt sich auch eine Tigerpython aufspüren.
Ausser Kaa muss Mogli in Sri Lanka aber niemanden fürchten. Shir Khan wurde jedenfalls auf der Insel noch nie gesichtet. «Tiger hat es hier nie gegeben», sagt Roelofz. «Man geht davon aus, dass die Leoparden in Sri Lanka aus diesem Grund zu den grössten der Welt gehören.» Weil der direkte Nahrungskonkurrent fehlt, erlegen die Raubkatzen auch grössere Beutetiere wie Sambarhirsche und kleine Büffel. Die Grosskatzen sind am Tag aktiv und halten sich gerne auf dem Boden auf. Zudem sind sie im Yala-Nationalpark weniger schreckhaft und daher leichter zu beobachten als in vielen Schutzgebieten Afrikas. «Wir haben hier alles, was man sich auch auf einer Safari in Afrika wünscht – und noch mehr», sagt Roelofsz, während er an einem üppig grünen Sumpfgebiet vorbeituckert. Die atemberaubende Umgebung gibt ihm recht. Auf der Sandbank eines Sees liegen zwei riesige Krokodile. Nicht weit davon entfernt suhlt sich eine Gruppe Büffel im Schlamm. Ein Waran streift auf der Suche nach Nestern von Wasservögeln durch das Uferdickicht. Fehlen tatsächlich nur noch die Impalas und Zebras, um sich in die Wildnis Afrikas versetzt zu wähnen. Statt Gazellen und Antilopen ziehen weissgepunktete Axishirsche über das Grasland. Ein Pfau schlägt sein prächtiges Rad.
Spektakuläre Schutzgebiete
Sri Lanka zieht immer mehr Safari-Gäste an. Längst hat sich herumgesprochen, dass die Insel viel mehr als nur Tee und Tempel zu bieten hat. Sri Lanka ist reich an spektakulären Schutzgebieten und für ausschliessliches Faulenzen in einem Resort am Strand viel zu schade. Mit den üppigen Bergregenwäldern im zentralen Horton-Plains-Nationalpark, den farbenfrohen Korallenriffen von Pigeon Island und den Elefantenparadiesen Udawalawe und Minneriya verfügt das Land über gleich mehrere Traumziele für Tierfreunde. So manchen langjährigen Afrikareisenden versetzen der Artenreichtum an grossen Säugetieren und die vielfältige Vogelwelt ins Staunen. Seit Neustem gibt es um den Yala-Nationalpark auch luxuriöse Safari-Camps nach afrikanischem Vorbild wie die Uga Chena Huts oder die Wild Coast Tented Lodge. Anders als in den meisten afrikanischen und indischen Nationalparks haben Wildtiere in Sri Lanka noch direkten Zugang zum Meer. Mit etwas Glück können Besucher beim Sundowner Elefanten beim Planschen am Strand beobachten oder zuschauen, wie in der Nacht die Meeresschildkröten an Land kommen, um ihre Eier im Sand zu vergraben.
Faszination für die kleinsten Tiere
«Afrika hat seine Big Five», sagt Bimal Eranga Herath, «wir haben die kleinen Fünftausend.» Der Wildhüter ist im Wilpattu-Nationalpark im Westen der Insel am Ufer eines zugewucherten Tümpels unterwegs. Das Surren und Brummen von Abertausenden Insekten erfüllt die heisse Nachmittagsluft. Der Park ist bekannt für seine über sechzig Seen und Feuchtgebiete, welche die Einheimischen Willus nennen. Sie sind vor allem in der Trockenzeit ein Magnet für unzählige grosse und kleine Tiere. Herath ist auf der Suche nach seltenen Libellen. Gemeinsam mit einem Team von Rangern erfasst er im Nationalpark bisher unbekannte Arten. «Es müssen nicht immer nur Leoparden und Lippenbären sein», sagt der Wildhüter. «Für mich sind die Kleinen hier genauso interessant, und alle Tiere haben ihren besonderen Platz in der Natur.» Zwölf verschiedene Ökosysteme umfasst der Wilpattu-Nationalpark, von abgeschiedenen Strandbuchten über dichten Dschungel bis zu artenreichen Sumpfgebieten. Wilpattu wird von viel weniger Reisenden besucht als der Yala-Nationalpark. «Einen Stau von Safari-Jeeps um einen Leoparden wird man hier nicht erleben», sagt Herath, «schon deshalb nicht, weil es kein Mobilfunknetz gibt, mit dem die Guides ihre Kollegen rufen können.»
Bis 2010 war der Wilpattu-Nationalpark für Besucher geschlossen. Während des Bürgerkriegs hatte sich hier eine Gruppe der Tamil Tigers verschanzt. Langsam finden aber wieder vermehrt Besucher und Einheimische ihren Weg in die Region. Sie lieben die Abgeschiedenheit in der ungezähmten Natur und dass man die Wildtiere hier meist für sich allein hat. Wilpattu hat das Potential, zum beliebtesten Safari-Ziel Sri Lankas zu werden. «Die Chancen, Lippenbären zu sehen, stehen sogar besser als in Yala», sagt Herath. «Und wir haben hier fast gleich viele Leoparden.» Etwa 130 Ranger patrouillieren durch den Park. Noch immer jagen Wilderer Leoparden aufgrund ihrer schönen Felle, und Dorfbewohner töten die Tiere, weil sie bisweilen ihrem Vieh nachstellen. Auch Elefanten werden manchmal getötet, wenn sie die an den Park grenzenden Felder zerstören. Im vergangenen Jahr wurden in Wilpattu neun Elefanten gewildert. «Zum Glück nimmt die Wilderei hier aber nicht die Ausmasse wie in Afrika an», erzählt Herath. Die Sri-Lanka-Elefanten können sich glücklich schätzen, dass nur etwa sechs bis sieben Prozent von ihnen Stosszähne tragen. «Wir Sri-Lanker lieben unsere Elefanten und Leoparden», sagt Herath. «Wir wissen, dass unsere Natur und unsere Tierwelt unser grösster Reichtum sind.»
Im Yala-Nationalpark ist die Dämmerung eingebrochen. Roelofsz ist mit seinen Gästen auf dem Rückweg zu ihrer Lodge an der Grenze zum Nationalpark. Kurz vor Verlassen des Parks konnte die Gruppe noch einen Lippenbären beobachten, der sich mit seinen scharfen Krallen an einem Termitenhügel zu schaffen machte. Die Insekten sind seine Leibspeise. Für die Besucher war der Auftritt Balus das Highlight eines langen Safaritags. Am Ende haben sie gar nicht mehr mit Baghira gerechnet. Doch plötzlich steht der Leopard wie bestellt vor dem Geländewagen. Die Begegnung im Dämmerlicht dauert nur ein paar Sekunden: ein neugieriger Blick aus ungezähmten Katzenaugen. Ein geschmeidiger Sprung ins Dickicht. So schnell wie er aufgetaucht ist, verschwindet der König des Dschungels auch wieder in der Dunkelheit. Geheimnisvoll und majestätisch.
Text Winfried Schumacher
Bild iStock
Gut zu Wissen
Anreise: Edelweiss fliegt von Ende Oktober bis Ende April zweimal pro Woche nonstop von Zürich nach Colombo. www.flyedelweiss.com
Hotels: Uga Chena Huts: Sri Lankas erste Luxus-Lodge nach afrikanischem Vorbild liegt direkt am Meer und grenzt unmittelbar an den Yala-Nationalpark. Zwischen den Hütten sonnen sich manchmal auch Elefanten, Büffel und Leoparden.
Ulagalla: Zwischen der berühmten Festung Sigiriya und dem Wilpattu-Nationalpark liegt das vornehme Ulagalla. Den Mittelpunkt der schönen Parkanlage bildet ein restauriertes, 150 Jahre altes Herrenhaus, einst Stammsitz eines Fürsten.
ugaescapes.com