Madees Khoury ist die erste Braumeisterin im Westjordanland. In der Brauerei ihres Vaters stellt sie ein palästinensisches Bier nach deutschem Reinheitsgebot her. Auch die Israelis mögen es.
Taybeh ist ein aussergewöhnliches Dorf. Es ist der einzig übrig gebliebene christliche Ort auf dem Gebiet, das die palästinensische Autonomiebehörde verwaltet – 1500 Einwohner, praktisch alles Christen, vier Kirchen, umgeben von Checkpoints und arabischen Dörfern. Hier, auf rund 900 Meter über Meer, wo es bis Anfang April empfindlich kalt werden kann, lebt Madees Khoury (33) zusammen mit ihren Eltern und vier Geschwistern. In einem Gebiet, in dem Wasserknappheit zum Alltag gehört, leitet sie die einzige palästinensische Bierbrauerei Taybeh. Sie ist die erste Braumeisterin im Westjordanland und war zehn Jahre alt, als ihre Eltern aus Boston in den Nahen Osten umzogen.
Nach dem Friedensabkommen von Oslo zwischen den Palästinensern und Israel entschied sich ihr Vater Nadim 1994, die erste Mikrobrauerei in der politisch umstrittenen Region zu gründen. «Ich bin seit elf Jahren im Geschäft und habe in den letzten Jahren mehr und mehr Verantwortung übernommen», sagt Operation Manager und Brauerin Madees Khoury, die 2007 ihr College in Boston abgeschlossen hatte. 15 Angestellte führt Khoury. «Wir sind klein, aber gut», sagt sie und lacht. «Speziell sind das lokale Quellwasser, das wir zur Herstellung der Biere benutzen, unser Rezept, die Passion, Qualität und Frische.» Zur Auswahl stehen sechs Sorten, alle nach deutschem Reinheitsgebot gebraut, wobei das «Taybeh Beer Golden» mit einem Alkoholgehalt von fünf Prozent das Flaggschiff stellt. Sein würzig-herber Geschmack überzeugt. Besonders seien aber auch das dunkle Lagerbier, das Amber, ein Weizen mit lokalen Orangen und Gewürzen wie Zaatar und Salbei, oder das Alkoholfreie «für Moslems, Schwangere, Autofahrer und Kinder», so Khoury. Sie importiere die Mehrheit der Zutaten aus Frankreich und Belgien, den Hopfen aus Bayern und Tschechien.
Nach einem 16-Stunden-Tag gönnt sich die Bierbrauerin gerne selbst ein Bierchen. Ihr Favorit ist das Dunkle, bei dem geröstetes Malz für eine verführerische Kaffee- und Schokoladennote sorgt. Trotzdem löst das eigene Bier nicht alle Probleme: Weil es sich um ein palästinensisches Produkt handelt, müssen die Fahrer mit ihrer für Israel bestimmten Lieferung einen Umweg über die von den Israelis kontrollierten Checkpoints machen, wo sie manchmal über zwei Stunden warten müssen. Viele Hotels und Restaurants in Jerusalem schliessen um 15 Uhr die Pforten für die Anlieferung. Da kann es knapp werden, obwohl der Fahrer schon um 9.30 Uhr gestartet ist.
Im Gespräch macht die junge Frau, die einen amerikanischen Pass und einen ebensolchen Fahrausweis besitzt, klar, dass es ihr um mehr geht als Hopfen, Malz und die perfekte Schaumkrone: «Unsere Firma ist nicht nur ein kleines, palästinensisches Familienunternehmen, das in ein Dutzend verschiedene Länder exportiert. Wir können damit das Bild der Palästinenser verändern, denn oft sind die Menschen überrascht, dass wir Bier haben und es auch gerne trinken.» Und weiter sagt sie: «Ich hoffe, ich bin ein Vorbild für die Jungen. Es wäre schön, wenn mehr Frauen ins Biergeschäft einsteigen. Klar, der Markt ist limitiert, weil nicht jeder Alkohol trinkt. Bierbrauen ist hier schwieriger als in Europa oder den USA.»
Khoury weiss, wovon sie redet, reist sie doch zur Bearbeitung der Auslandmärkte regelmässig. Auch in Israel und im Westjordanland werden die Taybeh-Biere immer populärer. Mitgeholfen hat das von Taybeh organisierte regionale Oktoberfest, das seit 2005 jeweils im September oder Oktober durchgeführt wird, je nach Feiertagen im jüdischen und islamischen Kalender. Zum Bier gibt es Hip-Hop und Rock ’n‘ Roll. Das Bier als Friedenstifter? «Bestimmt. Wir investieren mit unserem Geld und unserer Erfahrung in ein Geschäft, das grenzüberschreitend ist», sagt Madees Khoury. «Eines Tages wird es im Nahen Osten Frieden geben – hoffentlich mit Taybeh-Bier.»
Text Reto E. Wild
Gut zu Wissen
Taybeh-Bier gibt es alleine in Jerusalem an rund 20 verschiedenen Standorten, so im Laden von Avi Ben, im verrauchten Sira-Pub, im YMCA-Hotel und den Hotels Amabassador, American Colony und Jerusalem. In Tel Aviv und Jaffa findet man das palästinensische Bier in der bekannten Puaa-Bar und in den populären Bars von Beer Bazaar, beispielsweise im Carmel-Markt oder neu auch im Machane-Yehuda-Markt von Jerusalem. Taybeh-Bier ist ausserdem am Stand des Palestine Grills an der Langstrasse 92 in Zürich erhältlich.
taybehbeer.com