Weltweit geht die Zahl der Löwen drastisch zurück. Im Tarangire- und Ruaha-Nationalpark in Tansania aber wird der König geschützt.
Die Spur führt in den Sumpf. Sosio Mollen mustert den Horizont und deutet auf den roten Sand neben dem Geländewagen. Im feuchten Boden sieht man die Abdrücke von mächtigen Löwenpranken. «Die Fährte ist noch ganz frisch», flüstert der Safari-Guide. In einiger Entfernung stolziert nichts ahnend eine Gruppe Strausse über die Grasebene, die irgendwo in den Morast des Silale-Sumpfs in Tansanias Tarangire-Nationalpark übergeht. Dahinter erhebt sich im Dunst der mächtige Vulkankegel des Oldonyo Sambu. Sosio tritt plötzlich auf die Bremse. Etwas bewegt sich im hohen Gras. Tatsächlich: Eine Löwin hat sich mit ihren vier Jungen auf den Boden gekauert, für das ungeübte Auge vollkommen unsichtbar.
Die meisten Besucher, die in Tansania Löwen sehen möchten, fahren in die Serengeti und zum Ngorongoro-Krater. In weniger bekannten Nationalparks wie Tarangire oder Ruaha stehen die Chancen jedoch fast genauso gut. Allein in Ruaha sollen etwa zehn Prozent der Löwen Afrikas leben. «Wir müssen sicherstellen, dass der globale Wert der Löwen von Ruaha anerkannt wird», sagt die Oxforder Umweltbiologin und Gründerin des Ruaha Carnivore Projects, Amy Dickman. Sie ist heute über Ruaha hinaus als Tansanias Löwenfrau bekannt. «Der Tourismus ist eine dringend benötigte Einnahmequelle. Die Einheimischen müssen erkennen, dass die Präsenz von Raubtieren am Ende profitabel für sie ist. Denn die Landbevölkerung ist entscheidend für den Artenschutz und muss umfassend eingebunden werden.»
Löwenjäger wird Umweltschützer
Über die Sumpfebene streicht ein trockener Savannenwind. «Mit 13 Jahren habe ich meinen ersten Löwen getötet», erzählt Sosio Mollen. Früher gehörte das für die Massai zu ihrem Initiationsritual für junge Männer. «Wir brauten einen Trunk aus Akazienrinde, der uns die Angst nahm. Dann jagten wir den Löwen und töteten ihn mit einem Speer. Das abgezogene Fell legten wir uns über die Schultern.» Heute ist diese Praxis verboten. Aus Sosio, dem Löwenjäger von einst, ist ein Natur-Guide geworden, dem der Schutz der Tiere spürbar am Herzen liegt.
Die Löwen sind nicht durch die Initiationsbräuche der Massai selten geworden, sondern durch Viehzüchter, die am Rand der Nationalparks immer öfter mit den Löwen in Konflikt geraten. Zudem stellen Wilderer ihnen nach. Die Knochen der Tiere gelten in Asien als Wundermittel. Die letzten Bestandsaufnahmen fielen für die Löwen Afrikas alarmierend aus. Nicht viel mehr als 23 000 Tiere soll es in freier Wildbahn noch geben, in den meisten Regionen sind die Grosskatzen akut vom Aussterben bedroht.
Am Rande des Ruaha-Nationalparks im Süden Tansanias macht sich Ayubu Msago mit zwei Mitarbeitern des Ruaha Carnivore Projects auf den Weg in das Dorf Tungamalenga. Die drei Aktivisten tuckern vorbei an Hütten mit Lehmwänden und Strohdächern. Dazwischen hüten Kinder Ziegenherden und ein paar Kühe. «Wir klären die einheimische Bevölkerung darüber auf, wie ein Zusammenleben mit wilden Tieren möglich ist», sagt Ayubu. Früher gab es in der entlegenen Region nur wenige Viehzüchter. Heute haben sich aufgrund der immer länger anhaltenden Dürren Massai-Familien aus dem Norden an der Grenze des Nationalparks angesiedelt. Immer wieder fällt ihr Vieh Raubtieren zum Opfer. Aus Angst vor weiteren Verlusten töten die Hirten die Tiere. «Ich habe mehr als vierzig Ziegen verloren», sagt Matambile Mgemaa. Ein kleines Vermögen für einen Viehzüchter mit zwei Frauen und acht Kindern. «Aber damit ist jetzt Schluss!» Stolz krault er einen kalbsgrossen Rüden am Hinterkopf. «Seit er hier ist, trauen sich weder Löwe noch Hyäne mehr in die Nähe.» Die anatolischen Hirtenhunde hat das Ruaha Carnivore Project den Viehzüchtern zur Verfügung gestellt. Sie sollen den Löwen das Fürchten lehren. Die Rasse wurde bereits in Namibia erfolgreich eingesetzt, um das Vieh der Bauern vor Geparden zu schützen. Das spendenfinanzierte Projekt stellt den Hirten nicht nur die Hunde, es versorgt sie auch mit raubtiersicheren Viehgattern und solarbetriebenen Blitzlichtern, die wilde Tiere nachts von den Herden fernhalten. Zudem werden die Hirten geschult und als Löwenwächter eingesetzt. «Seit wir 2009 starteten, wurden 80 Prozent weniger Löwen durch Hirten getötet», sagt Dickman.
10 000 Elefanten
Eine Safari in dem entlegenen Nationalpark lohnt sich indessen auch ohne eine Begegnung mit dem König der Tiere. 10 000 Elefanten sollen durch den Park streifen. Mit mehr als 20 000 Quadratkilometern ist er halb so gross wie die Schweiz und damit der grösste Nationalpark Ostafrikas.
Durch die dünnen Zeltwände des Kwihala-Camps am Mwagusi-Fluss dringt das düstere Brüllen eines Löwen. Ein kalter Schauer kriecht über die verschwitzte Haut. Touristen, das wird ängstlichen Gemütern in Ruaha immer wieder versichert, stehen aber nicht auf dem Speiseplan des Löwen. Nahe des Flusses gibt es Beutetiere im Überfluss. Ob Matambile Mgemaa wohl noch wach liegt? Gut, dass sein Hirtenhund bei der Herde wacht.
Text Winfried Schumacher
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Gut zu Wissen
Übernachten: Das Asilias Oliver’s Camp im Tarangire-Nationalpark liegt ideal, um mit etwas Glück Löwen auf ihrer Pirsch zu verfolgen. Im Kwihala-Camp im Ruaha-Nationalpark streift bei Nacht bisweilen ein Löwenrudel zwischen den Zelten hindurch. asiliaafrica.com
Ruaha Carnivore Project: Die Mitarbeitenden des Ruaha Carnivore Projects geben Besuchern bei Voranmeldung gerne Einblick in ihre Arbeit. ruahacarnivoreproject.com
Panthera: Die Tierschutzorganisation Panthera setzt sich weltweit für die letzten Grosskatzen in freier Wildbahn ein. panthera.org