Das finnische Schwitzritual hat tiefe mystische Wurzeln und einen Geist, der über allem wacht. In der Rauchsauna ist er am mächtigsten.
Die typische finnische Landschaft ist kühl, weit und einsam. In den kleinen Holzhütten dagegen herrscht Hitze, Enge und Geselligkeit. Es muss wohl ein urmenschliches Bedürfnis nach Ausgleich sein, das die Finnen jahraus, jahrein mehrmals wöchentlich in Scharen in die Sauna treibt. Statt nach Büroschluss gestresst nach Hause zu eilen, genehmigt man sich hier regelmässig ein Bier und dann eine entspannte Runde mit Freunden und Kollegen an der Wärme.
Wenn es zischt, dampft und wabert und der Hitzeschwall alle Verkrampfungen im Körper schmelzen lässt, löst sich nicht nur die Zunge der vermeintlich schweigsamen Finnen, sondern es erwacht auch der Saunageist Löyly, der Dampf-Djin. Er ist hier der Herrscher, die mystische Verbindung zu einer Zeit, als die Sauna noch ein heiliger Ort war. Hier, wo Feuer, Wasser, Stein und Luft in eine kraftvolle Verbindung treten, ist der Mensch kein einsames Wesen in einer feindlichen Umgebung mehr, sondern Teil einer alles durchdringenden Ordnung. Die Sauna ist der Ort des Friedens und der Harmonie. Stress und Streit haben keinen Platz.
Hitze, die in Wellen über den Körper rollt
Mit einem Birkenbüschel in jeder Hand demonstriert Maaria Alén mit langsamen, fliessenden Armbewegungen den Beginn eines traditionellen Saunarituals. Zunächst gelte es, die Luft, die Hitze und den Dampf in Schwingung zu versetzen und sie wie Wellen über den Körper gleiten zu lassen, erklärt eine der letzten Heilerinnen Finnlands. Im selben Rhythmus stimmt sie ein Lied an, das tief aus ihrem Inneren hochsteigt. Sie beschwört den Dampfgeist, heisst ihn willkommen und dankt ihm für seine Wohltat. Dann arbeitet sie sich langsam, mit leichten, raschelnden Schlägen aus dem Handgelenk, von den Füssen bis zu den Schultern hoch. Birkenblätter wirkten auf den menschlichen Körper entzündungshemmend, antiallergisch und entwässernd, führt sie aus. Und der Effekt? Schwerelosigkeit und ein Gefühl der Verbundenheit mit einer Zeit, als der Mensch noch Teil einer allwissenden Natur war. Der krönende Abschluss ist das Eintauchen ins kalte Seewasser. Danach sprudeln die Glückshormone und zaubern jedem ein Lächeln ins Gesicht.
Schamanisches Wissen
In den alten Zeiten war die einzige warme und trockene Nische einer Behausung diejenige ums Feuer. Hier gab es Essen und Trost, man war selten allein; hier wurden die Kinder geboren und die Toten verabschiedet, jahrtausendelang. Die Finnen haben diesen Quell des Urmenschlichen in die Moderne hinübergerettet. Sie wissen auch heute noch über die reinigende und gesundheitsfördernde Wirkung von regelmässigen Saunagängen, doch das schamanische Wissen um die Kraft des Dampfgeistes, auch die Seele zu läutern, ist in Vergessenheit geraten. Insbesondere das Aufkommen elektrisch beheizter Saunen, bei denen kein Feuer mehr entfacht und kein Holz mehr in die Hand genommen wird, hat die Verbundenheit der Menschen mit den Urkräften der Natur gekappt. Das tief verwurzelte, geheimnisvolle Ritual der Zugehörigkeit ist vielerorts zu einem Wellness-Plausch verkommen.
Maaria Alén ist eine der wenigen, die das alte Wissen und die überlieferten Praktiken in die Neuzeit hinüberretten möchte. In Finnland kenne sich damit fast niemand mehr aus, meint sie bedauernd. Hilfreich seien ihr deshalb alte Volksweisen, Sagen und der Austausch mit Schamanen aus Russland und den baltischen Staaten. Wir haben die ausgebildete Osteopathin im Lehmonkärki-Resort im Süden Finnlands kennengelernt, wo sie Gäste auf Kräutertouren begleitet und ihnen die Saunakultur näherbringt. Selbstverständlich hat jedes Blockhaus und jede Villa im Resort eine eigene Sauna, doch wartet das Lehmonkärki mit zwei Besonderheiten auf: Eine der – mit Holz beheizten – Gemeinschaftssaunen hat eine zehn Meter breite Glasfront mit Blick auf den See und den Sonnenuntergang. Die andere ist eine Rauchsauna – eine wahre Rarität. Sie ist das Nonplusultra der nordischen Schwitzkultur. Da sie brandgefährdet und teuer im Unterhalt sind, macht sich heute kaum noch jemand die Mühe, diese urtümlichen Russkammern zu betreiben. Die Rauchsauna wird mindestens sechs Stunden lang vorgeheizt, bis sich der Steinhaufen in ihrem Innern und das Holz mit Wärme vollgesaugt haben. Das Feuer brennt in einer Kammer unter den Steinen. Die Hütte hat keinen Kamin, der Rauch entweicht in den Raum und bleibt dort gefangen. Während des Saunierens wird nicht mehr nachgeheizt. Vor dem Saunagang wird gründlich gelüftet, der Russ von den Bänken gewischt und Wasser über die erhitzten Steine gegossen. Dann ist sie endlich bereit. Sobald die Türe geschlossen ist, wähnt man sich in eine schwarze Wolke gebettet: Samtweiche Luft und matte Dunkelheit versetzen Körper und Geist in einen zeitlosen Schwebezustand zwischen Leben und Nichts. Ein Gefühl, das süchtig macht.
Text Lucie Paska
Bild Visit Finland/Harri Tarvainen