Andalusien ist Sinnlichkeit fürs Auge. Prächtige Bauten im maurischen Stil und eine malerische Natur öffnen den Blick für eine exotische Welt.
An einer Stelle schafft es die Sonne noch durch die dunklen Wolken. Wie ein Scheinwerfer beleuchtet sie das Quartier auf dem benachbarten Hügel. Die weissen, verschachtelten Häuser leuchten. Der Ausblick von der Alcazaba, der Zitadelle der Alhambra, ist atemberaubend. Er reicht weit ins Land, auf diese riesige, flache Ebene. Am Horizont kein Feind in Sicht, aber eine schwarze Front, die langsam über die Landschaft rollt und sie unter einen dunklen Mantel hüllt. Der Wind zerzaust die Haare, streichelt das Gesicht. Ein Sturm zieht auf.
Vielleicht standen Königin Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon auch einmal an dieser imposanten Stelle, nachdem sie die Alhambra eingenommen hatten. 1492 kapitulierte Muhammad XII. Abu Abdallah, Emir von Granada, und musste seine prächtige Kasbah, die Stadtburg, den katholischen Königen überlasssen. Isabella und Ferdinand hatten gesiegt, Granada lag zu ihren Füssen. Zumindest von der Alhambra aus betrachtet.
Granada war die letzte Bastion der Mauren in Spanien. Fast achthundert Jahre früher, 711 nach Christus, drangen sie zusammen mit Arabern ins Reich der Westgoten ein und brachten den grössten Teil der iberischen Halbinsel unter islamische Herrschaft. Mit der Kapitulation von Muhammad XII., auch Boabdil genannt, war die Reconquista, die Rückeroberung des Gebietes durch die Christen, vollzogen. Die muslimische Vorherrschaft, in welcher Christen, Juden und Muslime meist friedlich nebeneinander lebten, war endgültig beendet. Sie hinterliess jedoch Spuren: Viele Begriffe im spanischen Wortschatz lassen sich auf die arabische Sprache zurückführen. Die Zeit der Mauren in Spanien war eine Blütezeit, an den Höfen der Kalifen studierten Wissenschafter und Künstler. Es wurden Schulen errichtet, ausgeklügelte Bewässerungsanlagen und eindrückliche Bauwerke erstellt.
Souks in den Gassen
In Andalusien ist dieses architektonische Erbe besonders reich. Mit der Mezquita von Cordoba, einst die grösste Moschee der Welt und heute eine Kirche, dem ehemaligen Minarett der Kathedrale in Sevilla und der Alhambra in Granada stehen hier einige der eindrücklichsten und bekanntesten Bauwerke des maurischen Stils. Besucher, die durch die Alhambra wandeln, baden in der Schönheit der Architektur. Von aussen eher schlicht, fasziniert die Stadtburg im Inneren mit Räumlichkeiten voll von filigranen Details, mit Innenhöfen, in denen in Brunnen das Wasser plätschert, und mit zauberhaften Gärten. In den Nasridenpalästen – während der Hochsaison wegen der hohen Besucherzahl nur mit vorgebuchten Tickets zugänglich – tauchen vor dem geistigen Auge Männer in langen Gewändern auf, die Bücher lesen, am Boden sitzend, unter den grossen Kuppeln und Säulen mit schönstem Stuck und Verzierungen sowie warmem Licht, das durch die Fenster in der Höhe dringt.
Während man sich als Besucher das Leben in der Alhambra in die Räume denken muss, ist es in der Altstadt von Granada nicht zu verfehlen. Das älteste Viertel der Stadt, Albaicin, bietet nicht nur beste Sicht auf die Alhambra, sondern auch verwunschene Gassen zwischen hübschen Häusern, kleine Plätze und schöne Aussichtspunkte. Im unteren Teil des Quartieres haben sich einzelne Strässchen in richtige Souks verwandelt. Die kleinen Geschäfte mit Tüchern, Lederwaren oder Tees und Gewürzen haben ihre Auslage bis auf die schon enge Durchgangszone erweitert, die Händler grüssen, preisen ihre Ware an, feilschen. Ein buntes Durcheinander, ein Eintauchen in eine exotische Welt.
Von der Wüste auf die Schneegipfel
Granada ist eine seltene Schönheit, aber nicht die einzige in Andalusien. Die Region ist reich an prachtvollen, gepflegten Städten. Sie verbindet ihre reiche Geschichte, das römische und maurische Erbe, Einflüsse aus verschiedenen Epochen. Cordoba beispielsweise, war bereits im antiken Rom bekannt und entwickelte sich im Mittelalter unter den Mauren zu einem wichtigen Zentrum des Islams. Zur Zeit des Kalifats von Cordoba war sie eine der grössten Städte der damaligen Welt, ein intellektueller Treffpunkt für Wissenschaft und Kunst sowie Umschlagplatz für Güter wie Gold, Silber, Seide, Parfum und Gewürze. Sie wurde jedoch fast zwei Jahrhunderte vor Granada von den Christen zurückerobert. Die Hauptstadt Sevilla war einst ein wichtiger Hafen für ganz Europa, hier kamen die Schiffe aus Amerika an, schwer beladen mit Gold und Silber. Denn im gleichen Jahr, in welchem Muhammad XII. kapitulierte und Granada den christlichen Königen überliess, entdeckte Kolumbus Amerika. Auch Cadiz war eine wichtige Hafenstadt, genau wie Malaga, das heute vor allem auch für seine schöne Lage an der Costa del Sol und die Strände bekannt ist. Aber nicht nur die Grossen stehen in der Gunst der Besucher – auch die Kleinen reizen. Die weissen Dörfer Andalusiens liegen oft spektakulär, hoch oben auf Felsen. Das Leben läuft einen Tick gemütlicher ab, die weissen Hauswände werden mit farbigen Blumen geschmückt.
Zwischen den Städten und Dörfern erstreckt sich in Andalusien eine so abwechslungsreiche Landschaft, dass es machbar ist, innert weniger Stunden von einer tropischen Vegetation in eine vulkanische Wüste, in dunkle Wälder und in Feuchtgebiete sowie zu den höchsten Bergen des Landes zu gelangen. Die rund 800 Kilometer lange Küste ist bekannt und beliebt. Westlich von Tarifa, wo man bei gutem Wetter auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse von Gibraltar die Häuser in Marokko erkennen kann, werden die Ortschaften kleiner. Lange, wilde Strände, an denen gelegentlich eine Herde Kühe vorbeischaut, tragen die Gedanken davon und lassen das Gefühl aufkommen, sehr weit von zu Hause weg zu sein.
Gar nicht weit entfernt von dieser Küste ragen die höchsten Gipfel Spaniens in den Himmel, im Winter schneebedeckt. Die Berge der Sierra Nevada bilden die wunderbare Kulisse der Alhambra. Übrigens hat Granada auch eine sehr eindrückliche Kathedrale: Königin Isabella I. drängte zu ihrem Bau, kurz nachdem ihre Truppen die Stadt und die Alhambra erobert hatten.
Text Stefanie Schnelli
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