Kamelritt, Beduinencamp, Sternenstaub: Marokkos grösste Sandwüste Erg Chegaga betört mit ihrer schlichten Schönheit.
Auf einmal steht er vor uns, der alte Mann mit dem typischen blauen Tuch um den Kopf. Er ist nicht alleine, wird begleitet von sechs Kamelen. Eine kleine Karawane, die uns für die nächsten Stunden in die Welt der Dünen entführt. Aus dem Nichts scheint er gekommen zu sein. Wir sehen nur Sand, nichts als Sand. Rotbraun schimmernde Hügel mit weichen Formen oder scharf anmutenden Kanten und dunklen Schatten. Bis zu 150 Meter hoch oder vielleicht noch höher, türmen sich die stattlichen Dünen auf. Doch keine Oase und noch weniger ein Ort ist in Sicht. Wo kommt er also her?
Die Frage muss warten. Rasch steigen wir auf die breiten, erstaunlich bequemen Sättel der Wüstenpferde, die sich sogleich wogend in Bewegung setzen. Immer wieder will der junge ungeduldige Hengst, das Schlusslicht, seine Vorgänger überholen. Ich erinnere mich, was im Internet über die erstaunlichen Tiere stand. Unter anderem das Zitat aus dem Buch «Der Weltensammler» von Illja Trojanow: «Auf Reisen wie dieser war jeder oft allein mit sich selbst und mit seinem Dromedar, diesem mürrischen, widerspenstigen Tier, dessen einzige freundliche Geste aus einem gelegentlichen Furz bestand.» Ja, auch das wird sich hin und wieder entladen, Luft aus dem Hinterteil des tierischen Vorgängers.
Entrückt von Sonne und Sand
Zu regeln, stelle ich rasch fest, gibt es hier für mich gar nichts. Ein dumpfes Gefühl des Ausgeliefertseins überkommt mich. Bald aber freunde ich mich mit meiner doch nicht so misslichen Lage und meinem Dromedar an. Ich gebe ihm sogar einen Namen und tue das, was man hier oben am besten macht: Vertrauen, locker bleiben, mit dem ganzen Körper mitschwingen, einfach geniessen. Bei steilen Passagen sinken die weichen, dicken Füsse des Kamels tief in den Sand ein. Ab und zu rutschen wir einige Meter zurück. Der Adrenalinspiegel steigt. Gut gemacht, Grosser. Ganze zwei Stunden (oder waren es mehr?) sind wir mit unserer kleinen Karawane unterwegs und hinterlassen für kurze Momente unsere Spuren im Sand der Erg Chegaga, der grössten Wüste Marokkos. Mein Vorgänger sitzt nach einiger Zeit doch etwas schief im Sattel. Schläft er schon oder ist er leicht benommen von dem Gewackel? Entrückt von Sonne, Sand und Wohlgefühl?
Von Alkohol können wir nicht beschwipst sein; beim scherzhaft als Berberwhisky bezeichneten Getränk, das wir beim gemütlichen Mittagessen im Schatten serviert bekommen, handelt es sich um Tee. Es ist der typisch süsse, dampfende Pfefferminztee, der jeweils schwungvoll und in hohem Bogen in die kleinen Gläschen gegossen wird. Ein Ritual, das zu jeder Begrüssung in Marokko dazugehört. Ein Zeichen der Gastfreundschaft.
Nach unserem Abenteuer mit den Dromedaren in der Weite der Wüste erwartet uns gegen Abend ein ruhigerer Sitzplatz. Kurz bevor die Sonne hinter der Dünenlandschaft versinkt und die Kamele samt ihrem Führer wieder im Nichts verschwinden, stehen wir hoch oben auf der vielleicht höchsten Düne der Erg Chegaga und werden von jungen Männern in Djellabas, den typischen hellblauen Gewändern, mit prickelndem Champagner, Salzmandeln und Oliven verköstigt. Wir sitzen auf der mobilen Lounge aus Kissen, flössen und schieben uns all die feinen Dinge in den Mund und fragen uns ein zweites Mal an diesem Tag: Ist das nicht doch alles eine Fata Morgana? Der Gedanke wird rasch in die Wüste geschickt, unser Blick schweift schliesslich über die schier unendlichen Wellen aus Sand, die jetzt in allen Rottönen erstrahlen. Schliesslich bleibt unser Auge an den grossen weissen Berberzelten haften, die unweit von uns auf einem Plateau stehen, bereit für die Nacht unter dem Sternenhimmel.
Das Nachtlager des Sahara Erg Chegaga Ghazala Camps lässt keine Wünsche offen. Genächtigt wird in grossen mit einem Doppelbett ausgestatteten Zelten, die auch über ein Bad verfügen. Im geschmackvoll ausgestatteten Restaurantzelt werden marokkanische Spezialitäten wie Tajine, mit Lamm, Käse, Kräutern sowie Zitronen gefüllte Teigtaschen, Couscous in diversen Varianten oder Hähnchen mit Zitronen und Oliven serviert. Der marokkanische Wein mundet ebenso vorzüglich.
Spät in der Nacht lohnt sich ein weiterer Abstecher in die Dünen – die funkelnden Sterne lassen keine andere Wahl. Nirgendwo sonst sieht man so viele Sternschnuppen wie in der Wüste, wo kein künstliches Licht ablenkt. Die Milchstrasse scheint hier wie eine grosse Wolke, die sich quer über den Nachthimmel zieht. Der Himmel ist klar und glitzernd. Schnell verfliegen die Minuten, die Stunden. Es ist schwer, sich vom Anblick zu lösen. Ganz auf Schlaf zu verzichten wäre auch eine Variante, die allerdings nur mit ausreichend warmer Kleidung zu empfehlen ist. Denn nachts ist die Wüste bitterkalt.
Stille als Erlebnis
Am frühen Morgen sollten sich Besucher noch im Dunkeln eine ideale Düne für den Sonnenaufgang aussuchen. Es braucht etwas Geduld, bis sich die Sonne dann über den Horizont erhebt. Doch die unglaubliche Stille ist ein Erlebnis für sich, die Morgenluft, das sanfte Licht. Die ebenen Flächen mit Kalkkrusten zwischen den niedrigeren Dünen sind jetzt noch leicht bläulich getönt. Die Schatten sind so früh noch viel weicher als tagsüber. Hin und wieder trifft man auf Tierspuren – ein Beweis für die Vielfalt an Leben in der für uns westliche Menschen lebensfeindlichen Wüste. Bald wird der Wüstenwind sie wieder zum Verschwinden bringen. Man glaubt schon fast, allein auf dem Planeten zu sein, könnte man in der Ferne nicht das Camp und dort einen der Männer sehen, der das Frühstück zubereitet.
Dann erhebt sich die Sonne. Im Gegensatz zu den Abenden, an denen sie fast schon hinter den Horizont zu fallen scheint und die Wüste mit einem Mal in ein tiefes Schwarz hüllt, nimmt sie sich am Morgen sehr viel Zeit für ihren Auftritt, bis sie wieder weiss und golden über die Wüste herrscht. Die Temperaturen steigen rasch. Für uns ist Zeit, weiterzufahren.
Wer es ursprünglicher und langsamer mag als im Geländewagen, kann zu Fuss mehrere Tage durch die Wüste wandern. Genächtigt wird dann in mobilen Camps. Ortskundige Berber führen die Karawane an, Dromedare tragen das Gepäck, die Zelte und die Verpflegung. Die Wüste wird auf diese Art und Weise noch unmittelbarer und mit einer natürlichen Langsamkeit erlebt, ganz ohne Motorenlärm.
Text: Lioba Schneemann
Bild: Sahara Erg Chegaga Ghazala Camp, Sahara Services