Grand Central Station war einer der bedeutendsten, Völker verbindenden Knotenpunkte der Neuen Welt. Heute nutzen New Yorker den Bahnhof gerne für Tagesausflüge in die Region.
Ganz so beeindruckend wie auf den Bildern, die «Grand Central» gleich nach seiner Erbauung vor 106 Jahren von aussen zeigen, ist der New Yorker Bahnhof nicht mehr. Bereits 15 Jahre nach seiner Eröffnung wurde die Grand Central Station vom mächtigen Chrysler Building einen Block weiter östlich überschattet, heute liegt der einstige Bahntempel eingeklemmt zwischen den grossen Glastürmen von Banken und Versicherungen. Wer aber durch die alten hölzernen Schwingtüren die majestätische Bahnhofshalle betritt, spürt immer noch, warum dieser Ort zum vielleicht bedeutendsten, Völker verbindenden Knotenpunkt geworden ist. Zwar kamen Einwanderer und US-Besucher aus Europa per Schiff im Süden New Yorks auf Ellis Island an, doch für Hunderttausende ging die Reise vom Grand Central in Midtown Manhattan aus weiter in eine der Städte der Neuen Welt. Umgekehrt war sie für Millionen von Amerikanern aus der Provinz hier zu Ende. Sie waren angekommen im Schmelztiegel New York, der Hauptstadt der modernen Welt. Unwichtig woher die Zuzüger kamen, sie brachten Rezepte mit für ihre Spezialitäten, Lieder und Texte aus ihren Ländern, in ihrer Kultur erlernte Fähigkeiten, die sie an Frau und Mann bringen wollten.
Köstlichkeiten aus allen Ländern
Dieser Geist lebt noch immer im mächtigen Steingebäude, nicht nur unter dem Firmament an der Decke der riesigen Ankunftshalle, sondern auch auf dem Grand Central Market, wo Händler an Ständen organische Produkte aus allen Regionen der Erde verkaufen – Früchte und Gemüse aus Upstate New York, Brot aus Frankreich, Gruyère und Chällerhocker, die man so auch in der Schweiz lange suchen müsste. Vor der Auslage des Metzgers mit Spezialitäten aus Italien probiert eine Familie aus Genua Schinken. «Der schmeckt besser als zu Hause», ruft die Tochter aus. Eine ausgezeichnete Gelegenheit, um einzukaufen für den Picknick-Ausflug, der auf dem Programm steht. Vom Grand Central ist man dem Hudson entlang in 50 Minuten in Tarrytown – eine Zugreise, die, sobald man Manhatttan verlässt, zu einer kurzen Erlebnisfahrt durch die Natur der US-Ostküste wird. Vor allem im «Indian Summer» im Herbst, wenn sich die Blätter in den weitläufigen Laubwäldern verfärben, die Temperaturen aber noch einmal in die Höhe schiessen.
Flucht aus den Wolkenkratzerschluchten
Von Tarrytown ist man mit dem Bus oder einem Taxi in wenigen Minuten beim Rockefeller State Park. Das Anwesen war einst Wohnsitz von William Rockefeller jr., einem der ersten Öltycoons Amerikas. Die ursprünglich aus dem deutschen Rheinland stammende Familie hat den Park, der in das sagenumwobene, nahe Dorf «Sleepy Hollow» reicht, dem Staat New York vermacht. Seit 1983 dient er New Yorkern, die für ein paar Stunden aus dem Trubel der Wolkenkratzerschluchten entfliehen wollen, als ideales Ausflugsziel. Beim Erforschen der Wege durch die dichten Wälder des Parks, entlang dem dunklen See und den plätschernden Bächen kann man sich gut vorstellen, wie Ichabod Crane in Washington Irving’s «The Legend of Sleepy Hollow» (1820) hier des Nachts vergeblich dem Headless Horseman zu entkommen versuchte. Bald lichtet sich die Gegend aber, das Laub erstrahlt im Sonnenlicht in allen Farben, und der Weg führt von den Feldern hoch über Tarrytown hinunter zum Bahnhof beim Hudson. Wer sich vom regelmässigen Rattern des Zuges zurück nach Manhattan zu einem Schläfchen verleiten lässt, verpasst die spektakuläre Aussicht auf den Fluss im Abendrot.
Text: Roman Elsener
Bild: nycgo
Top-5-Tagesausflüge aus Manhattan für Natur- und Kunstfreunde:
Rockefeller State Park: 125 Phelps Way, Pleasantville, NY 10570
Der 1983 von der Rockefeller-Familie dem Staat New York vermachte Park umfasst 6,28 Quadratkilometer und über 50 Kilometer Spazierwege. Mit dem Zug ab Grand Central Station nach Tarrytown, dann 10 Minuten mit dem 0013-Bus an die Albany Post Road, von dort ist man in 5 Gehminuten am Eingang des Parks.
parks.ny.gov
The Met Cloisters: 99 Margaret Corbin Dr, New York, NY 10040
Die 1938 eröffneten Cloisters sind nach Vorlage mittelalterlicher europäischer Klöster errichtet worden und beherbergen einen Teil der Metropolitan-Museum-Sammlung von Kunstwerken aus jener Zeit. Das Gebäude thront über dem Hudson River im Fort Tryon Park. Die Fahrt ab Grand Central dauert 40 Minuten.
metmuseum.org
Dia:Beacon: 3 Beekman St, Beacon, NY 12508
Das Dia:Beacon ist ein in einem früheren Fabrikgebäude untergebrachtes Kunstmuseum am Hudson River. Neben Wechselausstellungen werden dauerhaft Werke zeitgenössischer Kunst gezeigt, zum Beispiel von Andy Warhol. Ab Grand Central ist man mit dem Zug der Hudson Line in eineinhalb Stunden im Städtchen Beacon, vom Bahnhof in 10 Gehminuten beim Museum.
diaart.org
Storm King Art Center: 1 Museum Rd, New Windsor, NY 12553
Von Beacon ist man in 20 Minuten mit dem Taxi beim Storm King Park, einem Freilichtmuseum in Mountainville, New York. Auf einer Fläche von etwa 500 Hektar kann man bei einem Spaziergang die wohl grösste Sammlung zeitgenössischer Aussenskulpturen bewundern.
stormking.org
Parrish Art Museum in den Hamptons: 279 Montauk Hwy, Water Mill, NY 11976
Die Hamptons nennt man die Region am Ostende der Insel Long Island. In der Gegend haben viele wohlhabende Amerikaner ihre Ferienhäuser. Mit ein Grund, warum auch der Kunstmarkt blüht. Besonders sehenswert ist das von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron entworfene Parrish Art Museum. Vom zweiten grossen New Yorker Bahnhof aus, der «Penn Station», dauert die Reise mit dem Zug nach Southampton knapp drei Stunden.
parrishart.org