Vancouver profitiert vom einmaligen Mix zwischen urbaner Geschäftigkeit und der atemberaubenden Naturkulisse von British Columbia. So können Besucher am gleichen Tag Ski fahren und im Meer baden.
Yvonne wagte 1997 den Sprung ins Abenteuer und verliess ihre Heimat Hongkong, kurz bevor die britische Kronkolonie am 1. Juli an China zurückfiel. «Ich wusste nicht, was mich und meine Familie hier in Vancouver erwartet. Doch wir fühlten uns sofort zu Hause mit all den Landsleuten und der weltoffenen Community», erinnert sich die smarte Kulturingenieurin und strahlt zufrieden über ihrem herrlich duftenden Oloong-Tee. Der Sohn knabbert derweil an einem Glückskeks und rätselt erfolglos über die auf einem Zettel mitgelieferte Lebensweisheit.
Tatsächlich ist Vancouver die Stadt mit dem grössten asiatischen Bevölkerungsanteil ausserhalb Asiens und die grösste City im westlichen Kanada. Kein Wunder ist die farbenfrohe, quicklebendige Chinatown fester Bestandteil vieler City-Tours und zieht unweigerlich die meisten Besucher an. Der Abstecher lohnt sich, es duftet verführerisch aus all den chinesischen, koreanischen und japanischen Restaurants und Strassenküchen mit ihren herrlichen Leckereien. Neuster Trend ist der sogenannte Japadog, ein japanischer Hotdog, bei dem Gewürze und Zutaten im Brötchen oder der Wurst «verpackt» sind.
Die Ursprünge von Chinatown
Längstens etabliert hingegen ist das jeweils im August stattfindende kulinarische Highlight namens Powell Street Festival. Während dieses Volksfestes, das unter der Ägide der ansässigen japanischen Organisationen stattfindet, wird emsig gekocht und so tüchtig gefeiert, dass sich die Balken biegen und Sake in rauen Mengen fliesst. Doch auch das ganze Jahr über herrscht emsiges Treiben an der Pender Street mit ihren teilweise winzigen Läden – sie erinnern an die Entstehung von Chinatown vor über hundert Jahren. Mit der Vollendung der Transkanada-Eisenbahn kamen Tausende chinesische Gastarbeiter nach Vancouver und sie hatten Bedarf an vertrauten Produkten aus dem fernen Heimatland. Noch heute sind die Strassen sowie die meisten Geschäfte und Restaurants in Chinatown zweisprachig – chinesisch und englisch – angeschrieben und vermitteln so längst verschwunden geglaubte Colonial-Style-Romantik.
Eine Uhr, die dampft
Überhaupt lohnt der Blick in den Rückspiegel, und der ist überall möglich, vor allem in Gastown, der sorgfältig gepflegten Altstadt. Sie wurde 2009 in den Adelsstand erhoben und gehört seither zu den National Historic Sites of Canada. Sie ist der eigentliche Geburtsort Vancouvers, und viele historische Überbleibsel erinnern daran, beispielsweise das alte Kopfsteinpflaster. Hauptattraktion ist das Ungetüm einer alten Dampfuhr, das weltweit einzige Exemplar dieser Art. Sie intoniert alle 15 Minuten den Big-Ben-Glockenklang, qualmt und lärmt gewaltig. Unbedingt benützen sollten Besucher in Gastown auch die historischen Omnibusse, während im übrigen Stadtgebiet der vollautomatische SkyTrain das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs bildet und meist als Hochbahn verkehrt.
Absolute Musts für den Feriengast hervorzuheben ist angesichts deren Fülle unmöglich; da lässt man sich am besten von den eigenen Vorlieben lenken, wobei das ungewöhnlich milde Klima das Flanieren ohne Kleidersorgen und sperrigen Regenschirm erlaubt. Der eine oder andere Markt sollte aber schon dabei sein; etwa der Shipyards Night Market in North Vancouver mit seiner lässigen Stimmung und toller Tanzmusik, oder der farbenprächtige Food Market von Granville Island. Auch der Robson Square lohnt eine Visite.
Surfspots, Strände und Berge
Der grösste Trumpf Vancouvers allerdings ist die Umgebung. Dort begreifen Besucher den Ursprung der griffigen Formel «Skifahren und Schwimmen am gleichen Tag», widerspiegelt sich darin doch der ganze Reichtum der Natur wie auch der gut ausgebaute öffentliche Verkehr. Tatsächlich ist der direkte Zugang zu Surfspots, Beaches und Bergen weltweit einmalig. Wer etwa die atemberaubende Sicht vom Grouse Mountain aus, dem Berg mit Skipisten und Stadtblick, geniessen will, erklimmt die 2830 Stufen der «Mother Nature’s Stairmaster», mit der man die respektable Steigung von 853 Metern des 2,9 Kilometer langen Wanderwegs entlang des Grouse Grind überwindet. Die spektakuläre und abwechslungsreiche Szenerie sowie zahlreiche architektonische Preziosen rund um Vancouver ermöglichen hier den Dreh zahlreicher Filme, die in ganz anderen Kontinenten spielen. Nicht erstaunlich also, dass der Feriengast oft auf Filmteams stösst; Vancouver, leicht ironisch Hollywood North genannt, konnte sich zum drittgrössten Filmzentrum Nordamerikas aufschwingen. Günstige Wechselkurse und happige Steuererleichterungen brachten zusätzlichen Schub und begehrte Arbeitsplätze.
Gründungsort von Greenpeace
Gerade im Wissen um die materielle Bedeutung einer intakten Natur und um deren Verletzlichkeit wird diese seit Jahrzehnten vor Verschandelung geschützt. So entstanden zahlreiche Naturschutzgebiete, die ins Hinterland locken und Entspannung bringen. Angesichts der imposanten Landschaftskulisse dürfte es kein Zufall sein, dass 1971 ausgerechnet in Vancouver Greenpeace gegründet wurde. Dieser Spirit weht immer noch durch die Stadt – es ist erholsam für Körper und Seele, durch die vielen Parks zu schlendern, zu joggen oder mit dem Velo die gewaltigen Dimensionen zu erleben. Nicht erstaunlich, dass Vancouver gemäss Umfragen weltweit zu den drei Städten mit der höchsten Lebensqualität zählt.
Die aus dem brodelnden Hongkong emigrierte Yvonne jedenfalls schätzt das Leben und die Naturnähe mitten in der City. Denn die vielen Parks und die frische Luft erwecken die Illusion, sich mitten in den unendlichen Weiten von British Columbia zu befinden. Allein die grösste aller Grünflächen, der schöne Stanley Park, erstreckt sich über 400 Hektar und belegt eine ganze Halbinsel. An deren 13 Kilometer langen Küste (Seawall) treffen sich Jogger, Inline-Skater, Velofahrer und Romantiker, die hier ein Picknick samt Aussicht geniessen.
Zumindest beim Betrachten geordneter Zweierreihen beim Einsteigen in den Bus erinnert sich Yvonne aus Hongkong an ihre alte Heimatstadt, denn auch dort herrscht beim Schlangestehen disziplinierte Höflichkeit. Aber sonst? «Mir fehlt es in Vancouver an nichts. Hier ist mein Sohn, hier gibt es Peking-Ente und Dim-Sum-Leckereien», meint die Expat schmunzelnd und geniesst ihren Oloong-Tee. Ungesüsst, eine weitere Reminiszenz an ihre asiatische Herkunft.
Text: Werner Knecht
Gut zu wissen
Anreise: Von Mai bis September fliegt Edelweiss mehrmals pro Woche von Zürich nach Vancouver. Da Edelweiss im Sommer auch Calgary anfliegt, lassen sich die beiden Destinationen gut kombinieren. flyedelweiss.com
Unterkunft: Empfehlenswert ist das in fröhlichen Farben gehaltene Pinnacle Hotel Harbourfront; gut gelegen am Coral Harbour und nahe bei Robson Street, Stanley Park und Canada Place. pinnacleharbourfronthotel.com