Eine Kanu-Safari auf dem Sambesi führt in ein wundersames Land, wo Leberwürste von den Bäumen wachsen und Elefanten auf zwei Beinen gehen.
Der Koloss im Fahrwasser will nicht weichen. Zornig schnaubend streckt das Flusspferd die Nüstern aus den Fluten und wirft den Kanuten wütende Blicke zu. Der mächtige Bulle ist nur drei Paddelschläge entfernt. So schnell wird er den Weg in den schmalen Seitenarm des Sambesi nicht freigeben. Dies hier ist sein Revier. Und Eindringlinge leben gefährlich.
«Dicht zusammen bleiben und Ruhe bewahren!» Henry Bandure drängt die vier Kanus mit ruhiger Stimme ans Ufer. Der Kanu-Guide weiss, dass mit gereizten Flusspferdbullen nicht zu spassen ist. Und dieser hier gefällt sich besonders gut mit seinen Drohgebärden. Aber Henry bewahrt seine stoische Gelassenheit. Ungelenk stossen sich seine Schützlinge mit den Paddeln am lehmigen Ufer ab, bis es endlich auch das letzte Kanu an dem Ungetüm mit dem Grossmaul vorbei geschafft hat.
Mit Henry fühlen sich Kanu-Touristen sogar angesichts eines schnaubenden 3-Tonnen-Riesen sicher. Selbst wenn sie wissen, dass Flusspferde in Afrika als jene Grosstiere gelten, denen die meisten Menschen zum Opfer fallen. Henry ist sich dessen sehr wohl bewusst. Aber er weiss auch, wie man durch umsichtiges Verhalten das Risiko, von einem wilden Tier angegriffen zu werden, auf fast null einschränken kann. «Ich paddle seit fast 15 Jahren den Sambesi hinunter», erzählt der 36-Jährige stolz, «aber noch nie wurde auf unseren Touren jemand von einem Flusspferd verletzt.»
Zu Beginn der viertägigen Expedition im Mana-Pools-Nationalpark im Norden Simbabwes hatte uns Henry ausführlich auf die Risiken des Flusses aufmerksam gemacht. «Die grösste Gefahr besteht nicht durch Flusspferde und Krokodile, sondern durch die Sonne. Wer sich nicht ausreichend schützt, kann hier den Hitzschlag seines Lebens erleben.» Bei Flusspferden gilt es vor allem, Abstand zu halten, so dass ihnen genügend Raum bleibt, in tiefere Zonen abzutauchen. «Keine Sorge, sie sind Vegetarier», gab Henry uns noch augenzwinkernd mit auf die Fahrt. «Wir stehen nicht auf ihrem Speiseplan.»
Es ist der zweite Tag auf dem Fluss. Zwei Tage voller nilpferdgrosser und manchmal kolibrikleiner Abenteuer, die einen den Rest der Welt vergessen lassen. Auf dem braunen Wasser des Sambesi bekommt der Mensch seine Kinderaugen zurück: Wie die Elefanten in altkaiserlicher Würde zur Abendtränke schreiten und dabei ihre Kleinsten zärtlich mit den Rüsseln voran stupsen. Wie die Flügel der Bienenfresser eine graue Lehmwand in eine vor Farben sprühende Wolke verwandeln. Wie das nächtliche Brüllen der Löwen einem eisig über die Halswirbel gleitet.
Henry hatte in der ersten Nacht am Lagerfeuer versprochen, dass dies alles noch nicht genug der Wunder des Sambesi sein sollte, die wir erleben werden. «Mit etwas Glück werdet ihr mit eigenen Augen sehen: Hier gehen manchmal auch die Elefanten wie Menschen auf zwei Beinen, und mit noch mehr Glück begegnen wir irgendwann einem Löwen auf der Pirsch.» Wir sind nicht sicher, ob wir so viel Glück haben möchten.
Mit jedem Kilometer, den wir zwischen planschenden Flusspferdeherden und sich auf Lehmbänken sonnenden Krokodilen zurücklegen, lernen wir das Staunen neu. Was ist das für ein Land, in dem Leberwürste von den Bäumen wachsen – und seien die Früchte dieses Trompetenbaumgewächses, das wie eine Akazie aussieht, für den Menschen auch ungeniessbar. Was für eine Welt, in der sich das Leben so dicht um einen Streifen Wasser schart. Träge fliesst der grosse Strom durch eine Landschaft, die jedem Naturfreund den Atem raubt. In den saftig grünen Auen grasen Herden von Impalas und Wasserböcken. Hinter ihnen erhebt sich die flimmernde Silhouette der Berge jenseits der Grenze zu Sambia.
Der ManaPoolsNationalpark verschwand für fast ein Jahrzehnt von der Landkarte vieler Afrikareisender. Mit Mugabes radikaler Landreform ab dem Jahr 2000 und der zunehmenden politischen Krise strichen mehr und mehr internationale touristische Unternehmen und Fluglinien Simbabwe komplett aus ihrem Programm. Seit der Regierungsbeteiligung der Oppositionspartei MDC im Frühjahr 2009 hoben die meisten westlichen Länder ihre Reisewarnungen zwar wieder auf, doch die Zukunft Simbabwes bleibt ungewiss. Dennoch kommen langsam die Touristen zurück in das einstige Musterland Afrikas. Viele machen jedoch nur an den Victoriafällen Station oder besuchen den HwangeNationalpark, das grösste Reservat des Landes. Den unteren Sambesi haben Kanufahrer meist für sich allein.
Nur ein paar hundert Meter hinter dem längst abgetauchten Flusspferdbullen lässt Henry die Kanus an Land ziehen. Die Sonne steht bereits hoch über den Akazienwipfeln und die Morgenluft ist erfüllt vom lethargischen Zirpen der Zikaden.
Keine Kanu-Safari ohne Landausflüge zu Fuss. Wer der Wildnis auf dem Wasser noch nicht nahe genug gekommen ist, spürt spätestens jetzt, sobald er die ersten Schritte in unbekannte Tierspuren gesetzt hat, die Halsschlagader unter der verschwitzten Haut beben. Nicht weit von hier hofft Henry, eine Gruppe alter Elefantenbullen auszukundschaften, die tatsächlich auf zwei Beinen gehen sollen. Zunächst stossen wir aber nur auf das abgenagte Gerippe eines Büffels – die Reste einer Löwenmahlzeit. «Allesamt folgen mir in einer Reihe und verlassen niemals die Gruppe!», gebietet Henry uns flüsternd. Er hält mit der Rechten fest sein grosskalibriges Gewehr umschlungen. An seinem Gürtel baumeln fünf Patronen. Davon Gebrauch gemacht hat er auf einer Kanu-Safari noch nie.
Ein heisser Savannenwind streicht durch die ausgetrocknete Buschlandschaft. Unter unseren Füssen raschelt dürres Laub, bis Henry uns urplötzlich zum Stillstand mahnt und das Gewehr an den Körper zieht. Hinter einer Buschgruppe jenseits der Lichtung bewegt sich etwas. Erst Minuten später erkennen auch wir, dass dort ein stattlicher Büffel in unsere Richtung blickt. Henry hält es für sicherer, den Rückmarsch anzutreten: «Einsame Bullen wie dieser sind völlig unberechenbar. In Wahrheit sind sie die gefährlichsten Tiere der Savanne.» Er drängt die Gruppe hinter einen Baumstamm und gebärdet uns, sich nicht zu bewegen. Der Büffel zieht wenige Meter an uns vorbei.
Henrys angespannte Gesichtszüge weichen langsam einem breiten Lächeln: «Wie geht’s, Leute? Noch fit für die Elefanten?» Nur zehn Minuten später hat er sie tatsächlich im Schatten eines wilden Mangobaums entdeckt. Es sind vier ausgewachsene Bullen mit besonders beeindruckenden Stosszähnen. Aber sie stehen auf vier Beinen, wie alle anderen Elefanten auch, die wir bisher gesehen hatten. «Geduld, Geduld», meint Henry verschmitzt. Vielleicht 20 Minuten warten wir schweigend im Schatten eines Mopanebusches. Die Elefanten stehen reglos unter dem Mangobaum. Will uns Henry mit seinen Elefanten auf zwei Beinen etwa auf den Arm nehmen?
Dann richtet sich der grösste Bulle tatsächlich auf die Hinterbeine auf, um mit dem Rüssel nach einem breiten Ast des Baums zu greifen. Zwei Schritte geht er dabei nach vorne. Schon gibt ein grosser Ast krachend nach. Der Riese lässt sich das rare Grün sichtlich schmecken.
«Nur hier im Mana-Pools-Nationalpark haben Elefanten gelernt, auf zwei Beinen zu gehen, um an frisches Grün zu kommen», erklärt uns Henry, «in anderen Nationalparks Afrikas wurde dies fast noch nie beobachtet. Aber auch hier sind nur ältere Bullen dazu in der Lage.» Anderswo muss es sich unter Afrikas Elefanten wohl noch herumsprechen, dass es Vorteile hat, wie die Menschen auf zwei Beinen zu gehen. Henry hat uns wieder einmal nicht zu viel versprochen.
Und selbst ein Löwe kommt uns am Ende der Kanu-Safari noch näher, als wir uns das hätten wünschen können. Am Morgen vor der Rückkehr ins Basislager zeigt Henry uns die Spuren von gewaltigen Pranken im Staub – unweit von unseren am Flussufer aufgereihten Zelten. Uns stockt erneut der Atem. Wir hätten der Raubkatze schutzlos im Schlaf zum Opfer fallen können. Henry lächelt. «Kein Grund zur Panik! Löwen haben hier noch nie einen Touristen aus dem Zelt geholt. Er war einfach nur neugierig, wer da in seinem Revier campiert. Ich habe ihn die ganze Nacht brüllen hören und lag mit dem Gewehr auf der Lauer.» Auch dieses Mal konnte Henry sich seine Patronen sparen.
Von Winfried Schumacher