Ruby Bute
Musik und Tanz prägen die bunte und weltoffene Antilleninsel St. Martin, die auch als als Gourmet-Paradies der Karibik gilt. Ein Teil der Insel gehört zu Frankreich, der andere zum Königreich der Niederlande.
«Im Grunde sind wir ja ein Volk», sagt Ruby Bute über ihre geteilte Insel St. Martin und lacht. «Trotz all der Probleme – auch der politischen – gehören die französische und die niederländische Seite zusammen. Man sagt, wir sind wie Zwillinge – nur mit zwei verschiedenen Nationalitäten». Die 79-jährige Malerin und Schriftstellerin sitzt im farbenfrohen Kleid auf ihrer orangegelb gestrichenen Terrasse. Sie blickt auf das grelle Pink eines Bougainvillea-Buschs und das üppig grüne Blätterdach eines von mächtigen Brettwurzeln gestützten Kapokbaums. Es sind dieselben Farben, die sich drinnen in ihrer Galerie in Butes Bildern wiederfinden: Exotische Blüten und Früchte, bunte karibische Häuschen und lebendige Karnevalsszenen – Saint-Martin beziehungsweise Sint Maarten ist in den Werken von Bute eine vereinte fröhliche Farbwelt. «Manchmal wünschte ich, ich könnte wie ein europäischer Künstler malen: in Schwarz, Braun und Grau», sagt Bute. «Ich kann es einfach nicht. Ich meditiere in Farbe. So ist die Karibik nun einmal.» Für die Grande Dame der Insel östlich von Puerto Rico und den Jungferninseln spiegeln die Bilder die Vielfältigkeit ihrer Heimat wieder. «Wir sind eine friedliche, weltoffene Insel», sagt Bute.
Das kleinste Territorium der Welt
Mit 87 Quadratkilometern Fläche ist St. Martin grob halb so groß wie Liechtenstein. Es ist das kleinste Territorium der Welt, das eine internationale Grenze in zwei Länder teilt. Der französische Teil der Hauptinsel hat etwa 53 Quadratkilometer und knapp 40.000 Einwohner, im dichter besiedelten Sint Maarten leben auf 34 Quadratkilometern etwa 44 000 Menschen.
Im Alltag der Antilleninsel spielt die fast unsichtbare Grenze für die meisten Bewohner kaum eine Rolle – viele überqueren sie auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, zum Strand oder zum Besuch bei Freunden mehrmals täglich. In der Geschichte war dies jedoch nicht immer so. Der Überlieferung nach soll Kolumbus die Insel am Martinstag 1493 erstmals gesichtet und nach dem Heiligen Martin von Tours benannt haben. Danach war die Insel lange von Spaniern, Niederländern und Franzosen umkämpft. 1648 sicherten sich im Vertrag von Concordia die militärisch überlegenen Franzosen einen größeren Teil im Norden der Antilleninsel. Die Niederländer gaben sich vorerst mit einem kleineren im Süden zufrieden.
Ruby Bute kann mit ihrer eigenen Biographie viel über das merkwürdige Konstrukt erzählen, das seit 1976 ihre Heimat ist. «Seither gehöre ich zu St. Martin und St. Martin gehört zu mir», sagt sie. Geboren und aufgewachsen ist Bute auf Aruba vor der Küste Venezuelas, damals holländische Kolonie und heute ein eigenständiges Land unter der niederländischen Krone ohne äußere Souveränität. Wie Aruba ist auch Sint Maarten heute eine autonome Insel, die zum Königreich der Niederlande gehört. Staatsoberhaupt ist König Willem-Alexander. Während Sint Maarten als Überseeisches Land und Hoheitsgebiet im Prinzip nicht zur Europäischen Union gehört, obwohl teilweise auch Europarecht gilt, ist der französische Teil Saint-Martin hingegen uneingeschränkter Teil der EU und ihr westlichster Punkt auf der Weltkarte. Der Präsident von Saint-Martin sitzt im fernen Paris und heißt Emmanuel Macron.
Afrikanische Wurzeln
Ruby Bute lebt, obwohl sie gebürtige Holländerin ist, lieber im französischen Teil der Insel. «Es ist hier ruhiger», sagt sie. Neben Niederländisch und Französisch spricht sie auch Englisch, Spanisch und Papiamentu, die in der Niederländischen Karibik verbreitete Kreolsprache. «Wir teilen trotz unterschiedlicher Sprachen unsere afrikanischen Wurzeln auf den Antillen», sagt die Urgroßmutter, «wir sind karibische Brüder und Schwestern. Auch wenn wir mit der Sklaverei einen der schlimmsten Teile der Menschheitsgeschichte verbindet, eint uns heute unsere Musik, unser Tanz, unsere Freude.»
Auf St. Martin leben Menschen aus mehr als 120 Nationen zusammen. Von Spannungen zwischen den verschiedenen kulturellen und ethnischen Gruppen hört man hier weniger als auf anderen Karibikinseln. Mit ihrem bunten, multikulturellen Flair und Englisch als Umgangssprache noch vor Französisch und Holländisch, zieht die Insel viele US-Amerikaner und Arbeitsmigranten aus benachbarten Inselstaaten, aus Mittel- und Südamerika, aber auch aus Europa an. Party-Touristen finden vor allem auf Sint Maarten ihr Eldorado. Für viele ist ihr Lieblingsspot der zwischen zwei belebten Strandbars gelegene Maho Beach. Über ihn rauschen die Flugzeuge im Endanflug in nur wenigen Metern Höhe zum direkt dahinter gelegenen Princess-Juliana-Flughafen. Saint-Martin sieht sich eher als Gourmet-Paradies der Karibik, von der Pariser Haute Cuisine, mediterranen und karibischen Einflüssen inspiriert.
Auf Saint-Martin gibt es alles doppelt – durch eine etwa 16 Kilometer lange Grenze geteilt: Zwei Währungen (der Euro und der Antillen-Gulden bzw. im touristischen Alltag de facto der Dollar), zwei lokale Volksvertretungen, zwei unabhängig agierende Polizei-Einheiten, zwei internationale Telefonvorwahlen mit unterschiedlichen Netzen (viele Einwohner haben daher zwei Mobiltelefone um sich Gebühren für internationale Telefonate zu ersparen), zwei Fremdenverkehrsämter und zwei Flughäfen.
Kreolische Snack-Bars und feine Fischrestaurants
Auf der französischen Seite geht es sehr viel geruhsamer zu als auf der niederländischen. In den Küstenorten Grand Case, Cul de Sac und Quartier d’Orléans, spielt sich das Leben zwischen den malerischen Sandstränden, Kreolischen Snack-Bars und feinen Fischrestaurants ab. Auf der holländischen Seite mit ihren Hotelklötzen, 20 Casinos, Diskotheken und Bars findet man fast rund um die Uhr einen Ort zum Partymachen. Im Kreuzfahrthafen von Philipsburg legten vor der Pandemie manchmal bis zu sechs Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig an und überschwemmten das überschaubare Inselhauptstädtchen mit Touristen. Langsam kehren sie zurück, auch wenn die Passagierzahlen vorerst noch nicht die Zahlen von 2019 erreichen. Die Insel hatte sich kurz vor Pandemiebeginn erst richtig von den schweren Verwüstungen erholt, die der Hurrikan Irma im September 2017 anrichtete.
An einem von Mangroven umwucherten Salzsee hält Binkie van Es mit dem Fernglas nach seltenen Vögeln Ausschau. Stelzenläufer, Brachvögel und Regenpfeifer durchsuchen den Uferschlick nach Fressbarem. In einiger Entfernung entdeckt Van Es einen Fischadler. «St. Martin ist kein Ziel für Hardcore-Birdwatcher», sagt der 66-Jährige, «aber hat doch eine bemerkenswerte Vielfalt». 111 der 150 auf St. Martin nachgewiesenen Arten hat er bereits auf seiner Liste. «Psychologen haben herausgefunden, dass Vogelbeobachten glücklicher macht als Gehaltserhöhungen», sagt Van Es. Seit 1986 lebt er in Sint Maarten, arbeitete im Weinimport und schließlich als Marketing-Verkaufsleiter für Heineken. «Ich war der Partykönig der Insel», scherzt er. Seine wilden Zeiten sind aber lange vorbei. Seit dreizehn Jahren durchstreift der Niederländer die Insel nun schon als Birdwatcher. Eine Gruppe amerikanischer Touristen rattert mit ihren Strandquads an den Mangroven vorbei. Der Naturschützer sieht ihnen mit einem Kopfschütteln nach. Er ärgert sich über die Auswüchse des Tourismus und dass noch immer große Bauprojekte genehmigt werden. Noch immer hat oft die Natur das Nachsehen. Viele Einheimische in Sint Maarten stören sich daran, dass reiche Holländer und Amerikaner die Luxus-Apartments in neuen Wohntürmen aufkaufen.
Auf der französischen Seite gibt es zwar strengere Bauauflagen – es dürfen nur Häuser mit maximal zwei Stockwerken errichtet werden. In unmittelbarer Nähe zur Küste sind Neubauten komplett untersagt. Dennoch fühlen sich auch hier die Einheimischen durch die ständig steigenden Preise auf dem Immobilienmarkt vom Boom ausgeschlossen und beklagen die immer höheren Lebenshaltungskosten.
«St. Martin ist ein multikultureller Mix mit vor allem freundlichen Menschen», sagt Van Es. «Die Holländer passen sich an, wo sie hingehen.» Sint Maarten sei aber eher amerikanisch als holländisch. «Die Franzosen pflanzen, wo auch immer sie sind, ihre eigene Kultur ein.» Für seine Wahlheimat wünscht er sich vor allem, dass sie auf beiden Seiten auch der Natur Platz einräumt. «Den Vögeln ist es egal, ob sie auf der französischen oder holländischen Seite etwas zu Fressen finden. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass wir die Natur der Insel erhalten.»
Win Schumacher
Gut zu wissen
Anreise: Zum Beispiel mit KLM (www.klm.com) über Amsterdam nach St. Martin an.
Unterkünfte: Das Belmond La Samanna liegt an der traumhaften Plage Longue und gehört zu den vornehmsten Hotels auf St. Martin. www.belmond.com
Ebenfalls in wunderschöner Lage an der Petite Plage liegt der Grand Case Beach Club mit dem beliebten Sunset Café. www.grandcasebeachclub.com
Essen und Trinken: Haute cuise à la française gibt’s im feinen Fischrestaurant Ocean 83 in Grand Case. www.ocean82.fr
Das auch bei Einheimischen beliebte Restaurant der Loterie Farm hat eine gute Auswahl karibischer und internationaler Gerichte. www.loteriefarm.com
Garantiert tiefentspannt speist es sich bei einem Punch in der Karibuni Strandbar auf dem vorgelagerten Inselchen Pinel. www.lekaribuni.com
Erleben: Der deutschsprachige Veranstalter «Zauber der Karibik» mit Sitz auf St. Martin stellt Touren zu den Highlights der Insel zusammen. www.zauberderkaribik.com
Jede Menge Infos zur Natur und der Ökologie der Insel gibt’s bei der Organisation «Les Fruits de Mer». www.lesfruitsdemer.com
Weitere Informationen: www.st-martin.org, www.st-maarten.com