In Ägypten ist Hauptsaison. Doch seit den Auseinandersetzungen im Sommer lahmt der Tourismus wieder stärker. Das EDA hat die Reisehinweise weiter gelockert. Das schafft Hoffnung.
Die Nachrichten konnten noch so negativ, die Gerüchte noch so wild sein: Angst hatte Michaela Fioratto in den vergangenen Monaten in Ägypten nie. Die 36-jährige Schweizerin leitet die Shams Tauchschule in Safaga am Roten Meer. «Ich kenne die Menschen hier und ich sehe keine Gefahr.» Selbst als mehrere Staaten, darunter die Schweiz, diesen Sommer für ganz Ägypten Reisewarnungen aussprachen, dachte sie nicht daran, nach Hause zu fahren. «Mein Herz hängt an der Tauchschule und solange es etwas zu tun gibt, bleibe ich auch.»
Grund für die Reisewarnungen im Sommer waren gewalttätige Zusammenstösse bei Demonstrationen in Kairo und anderen Städten. Seit dem Arabischen Frühling 2011 halten die politischen Spannungen im Land an – mit direkten Auswirkungen auf den Tourismus. Die Besucherzahlen sind eingebrochen, auch am Roten Meer. Obwohl es da keine Konfrontationen gab, wie Michaela Fioratto sagt. «Wir hatten hier nie Probleme.» Real hingegen waren die Sorgen ihrer Angestellten. Die meisten seien aus Kairo, Alexandria oder anderen grossen Städten und an den Badeorten, um zu arbeiten. Ihre Familien mussten sie zurücklassen. «Es war nicht einfach, sich ein Bild über die Lage zu verschaffen. Sobald es irgendwo Krisen gibt, sind auch viele Gerüchte im Umlauf.» Michaela Fioratto hat sich anfangs versucht über deutsche Medien zu informieren. «Die Berichterstattung hat aber nicht geholfen und das Bild, das von Ägypten gezeichnet wurde, hatte nichts mit meinem Alltag und meinen Erfahrungen zu tun.»
Tanzen auf fremden Hochzeiten
Michaela ist gut integriert, spricht arabisch und hat ägyptische Freunde. Vor sieben Jahren hat sie zum ersten Mal für die Shams Tauchschule gearbeitet, anfangs nur für ein paar Monate. Doch das Land hat sie nicht mehr losgelassen. Seit 2009 lebt sie in Safaga. Vor allem die ägyptische Gastfreundschaft beeindruckt sie immer wieder. «Ich bin schon an einer Hochzeit bei wildfremden Menschen gelandet, weil ich dachte, mein Begleiter kennt das Brautpaar. Obwohl wir Fremde waren, wurden wir herzlichst aufgenommen.»
Heute ist sie für ihre Gäste eine Art Botschafterin. Nachdem die Fluggesellschaften während des Sommers viele Flüge nach Ägypten annulliert hatten, wurde es schwierig, Touristen nach Safaga zu bringen. «Ich bin manchmal zwei Tage am Computer gesessen, um für unsere vor allem deutschen Gäste einen guten Flug zu finden.» Die Mühe hat sich gelohnt: Die Tauchschule, Teil eines ägyptischen Familienunternehmens, zu dem auch drei Hotels gehören, konnte den Betrieb in den vergangenen zwei Jahren aufrechterhalten. Nur eines der Hotels musste für kurze Zeit schliessen. «Bis jetzt sind wir mit einem blauen Auge davongekommen. Das verdanken wir vor allem unseren Stammkunden, die uns die Stange halten.»
Dass es vielen Menschen wirtschaftlich schlechter geht in Ägypten, sieht sie am Café neben ihrer Wohnung. Dort sei es im Gegensatz zu früher sehr ruhig. «Die Menschen an den Badeorten sind stark vom Tourismus abhängig. Wenn die Gäste ausbleiben, trifft es sie hart.» Trotzdem kann Michaela verstehen, wenn Schweizer zurzeit auf Ferien am Roten Meer verzichten. «Aber wenn mich ein Gast nach meiner Meinung fragt, kann ich voller Überzeugung sagen, dass es unbedenklich ist.»
Auslandschweizer bleiben in Ägypten
Auch das EDA hat die Reisehinweise inzwischen wieder gelockert. Zuerst nur für die Badeorte am Roten Meer, nun für fast alle touristischen Destinationen. Auch Kairo, Alexandria, das Niltal zwischen Luxor und Assuan inklusive der beiden Städte, der Tempel von Abu Simbel sowie die Mittelmeerküste zwischen Alexandria und Marsa Matrouh können grundsätzlich besucht werden. Von Reisen in alle anderen Landesteile sowie von Ausflügen ab den Badeorten, abgesehen von Flughafentransfers, wird abgeraten.
Für die Reisehinweise stützt sich das EDA auf eigene, als vertrauenswürdig eingeschätzte Informationsquellen. Das sind vor allem die eigenen Botschaften und Konsulate vor Ort. Markus Leitner, Schweizer Botschafter in Kairo, sagt, die aktuelle Situation in Ägypten kenne viele Facetten. «Die Demonstrationen und Auseinandersetzungen, die namentlich in Kairo regelmässig, aber unterdessen mit weniger Intensität stattfinden, sind Teil des Alltags. Daneben gibt es ein normales tägliches Leben in Ägypten, das aus Arbeiten, Einkaufen und viel Verkehr besteht.»
Auch die rund 1500 Auslandschweizer, die in Ägypten wohnen, scheinen sich mit der Situation arrangiert zu haben. Laut EDA haben nur sehr wenige das Land verlassen wegen der jüngsten Entwicklungen.
«Wir sind auf einem guten Weg»
Dafür hat Anfang November ein Ägypter seine Heimat verlassen, um in Europa die Werbetrommel für sein Land zu rühren: Mostafa Tawfik ist normalerweise in Hurghada stationiert und verantwortlich für alle Reiseleiter von Hotelplan Suisse. «Es ist überhaupt kein Problem, in Hurghada Ferien zu machen», sagt er am Telefon. Er ist zuversichtlich, dass sich der Tourismus in Ägypten auch dieses Mal rasch erholen wird. «In den vergangenen zwei Jahren hatten wir Hotels mit Einbussen von bis zu 70 Prozent. Aber jetzt kommen die Touristen langsam zurück. Die Zahlen für März und April sehen sehr gut aus. Wenn das so weitergeht, erleben wir im Sommer einen Boom.» Die politische Situation kratzt nicht an seinem Optimismus. «Wir sind auf einem guten Weg. Es gibt einen Zeitplan für die neue Verfassung und für Wahlen. Das stimmt mich optimistisch.» Sind seine ägyptischen Freunde auch so zuversichtlich? «Wir sind aus Hurghada! Wer unter dieser Sonne, an diesem Meer lebt, kann nur optimistisch sein.»
von Stefanie Schnelli