Affären im Büro sind unvermeidlich – aber auch gefährlich. Und Emanzipation und Gleichstellung machen die Sache nur noch komplizierter.
Dreissig Prozent der Ehen bahnen sich gemäss Statistiken am Arbeitsplatz an. Je stärker die Grenzen zwischen Arbeits- und Berufsleben verschwinden, desto weniger lässt sich auch das Liebesleben aus dem Arbeitsalltag raushalten. Ging es früher um den Schutz der leicht erregbaren Männer durch die Verführerinnen im Vorzimmer, werden Beziehungen heute unter dem Aspekt der Corporate Governance betrachtet. Will heissen: Ist es heikel, wenn der Personalchef mit einer Abteilungsleiterin liiert ist? Der CEO mit der Chefjuristin Verhandlungstisch und Bett teilt? Oder der ehemalige CEO seine Frau in den Vorstand hievt?
Liebe in Zeiten der Corporate Governance
Ein Grossteil der Beziehungen am Arbeitsplatz findet unter hierarchisch Gleichgestellten statt. Da damit die Produktivität und die Arbeitslust steigt, wird das durchaus gerne gesehen. Dünner wird die Luft in höheren Etagen. Da wird die Beziehung schnell zum Thema der internen Richtlinien oder heizt die Gerüchteküche an. Im Zusammenhang mit der Übernahme der Bank Wegelin wurde die Partnerschaft zwischen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und seine Beziehung zur Chefjuristin Nadja Ceregato kritisch diskutiert. Als letzte Woche der neue Leiter der Herzchirurgie am Kinderspital Zürich vorgestellt wurde, fehlte die Anmerkung in der Presse nicht, dass seine Frau, die ebenfalls eine Spezialistin auf dem Gebiet ist, keine Anstellung erhält.
Die Vorzimmer – einst Orte der Begegnung
Die Angst, die Corporate-Governance- Regeln zu verletzen, ist bei den einen allgegenwärtig, auch wenn sich die anderen darum foutieren. So will der VW-Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch seine Frau Ursula in ein Aufsichtsgremium wählen lassen, und die Sonntagspresse berichtete genüsslich von den Parallelen der ehemaligen Kindermädchen Friede Springer und Ursula Piëch, die heute machtvolle Positionen innehaben. Ungewohnt ist höchstens, dass der ehemalige Arbeitsort der beiden das Kinderzimmer war und nicht das Vorzimmer. Denn dieses war traditionell der Ort, an dem die Beziehungen entstanden. Heute lebt es vor allem in den amerikanischen Fernsehserien wieder auf. In «Mad Men» oder der Stewardessen-Serie «Pan Am» – ein richtiger Chef hat eine adrette Sekretärin, die nicht nur das Tippen, sondern auch Po-Wippen draufhat und die Überstunden versüsst.
Die ewige Verführerin und der Triebgesteuerte
Dieses Bild zeichnet auch die amerikanische Historikerin Julie Berebitsky in ihrem «Sex and the Office». Seit es weibliche Angestellte in Büros gibt, seien diese als Verführerinnen dargestellt worden, schreibt sie. Postkarten, Frauenzeitschriften oder Ratgeber-Literatur – die Historikerin hat sich zahlreicher Quellen bedient, um die Geschichte vom Sex im Büro zu erzählen. Sie berichtet über Sekretärinnen, die in zweideutiger Pose zum Diktat er-scheinen. Stenotypistinnen-Pools, in denen die Damen sich in langen Röcken mit hochgeschlossenen Blusen und im separaten Zimmer möglichst reizlos zeigen sollten, um den Chef nicht in Versuchung zu führen, oder eine Illustration, auf der eine Schreibkraft in einem überdimensionierten Käfig steckt, um ihren Vorgesetzten auf Abstand zu halten. Oder aber sie setzten auf ihren Charme und hofften darauf, sich als Frau des Chefs aus dem Büroalltag zu verabschieden. «Sich hochschlafen» wurde zum festen Begriff und der Aufstieg von der Sekretärin zur Frau Direktor gehörte zu den realistischeren Frauenkarrieren.
Sexuelle Erfüllung – gerade auch am Arbeitsplatz, das propagierte in den 60er-Jahren Helen Gurley Brown, langjährige Chefredaktorin der «Cosmopolitan» und Fürsprecherin in Sachen Sex für Stewardessen, Sekretärinnen und Singles. Spass soll es machen, genug soll man davon bekommen und keine Hemmungen haben. Ihr Buch, ebenfalls mit dem Titel «Sex and the Office», war ein Ratgeber für den Umgang mit Affären im Büro. Gurley Brown wird heute eher widerwillig eine gewisse Bedeutung von Feministinnen eingeräumt.
Und heute? Seit die Sekretärinnen als Berufsgruppe etwas ausser Mode geraten sind und Executive Assistents beiderlei Geschlechts übernehmen, hat sich die Lage verändert. Geblieben sind die Vorurteile. Vier von zehn Mitarbeitenden gaben bei einer Befragung zu, dass es bei Frauen, die schnell aufsteigen, interne Gerüchte gab, dass sie sich hochgeschlafen hätten. Und wiederum jeder Vierte von denen ist der Überzeugung, dass das stimmt.
Ungeachtet dessen, dass die Soziologin Catherine Hakim darauf hinweist, dass Männer ihr erotisches Kapital heute viel gekonnter einsetzen als Frauen. Die Gleichungen «Mann = triebgesteuert + mächtig», «Frau = verführerisch + bedeutungslos» gehen heute so nicht mehr auf. Mit der steigenden Zahl beruflich erfolgreicher Frauen hat auch eine Trendwende in den Betten stattgefunden.
Gleiche Voraussetzungen in der Horizontalen
Denn nicht nur auf der Leinwand, sondern auch in der Realität kommt es immer häufiger vor, dass sich auch Männer beim Koitus am Arbeitsplatz nach oben orientieren und damit zunehmend für Gleichstellung in der Horizontalen sorgen. In einer amerikanischen Befragung gab ein Viertel derjenigen, die eine Beziehung am Arbeitsplatz hatten, an, dass dies mit jemandem in einer höheren Hierarchiestufe der Fall war, der Frauenanteil betrug 35 Prozent, verglichen mit 17 Prozent bei den Männern. Keine schlechte Quote – verglichen mit anderen.
Die Frage ist heute vielmehr, wo lernt man sich überhaupt noch kennen, wenn kaum mehr Meetings und Kaffeepausen stattfinden, sondern die Leute zwischen den Wäschebergen oder am Strand arbeiten? Und wie kommt das heraus, wenn die Gleichstellung in dem Bereich voranschreitet? Ein mögliches Modell wird im Film «Up in the Air» eingeführt. Vielflieger George Clooney, der über einen virtuellen Arbeitsplatz und reelle Triebe verfügt, trifft auf sein weibliches Pendant Alex, die ihm nach einer Liebesnacht zu seiner Verblüffung mitteilt: «I’m just like you. Only with a vagina.» Das wollte er definitiv nicht hören – aber so ist das eben manchmal mit der Gleichstellung.
Clack
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