Herr Madsen, Sie sind Däne und seit September Oberbürgermeister von Rostock. Das macht Sie zum ersten Oberbürgermeister einer deutschen Stadt ohne deutschen Pass. Wie kam es dazu?
Claus Ruhe Madsen: Als Präsident der Handelskammer lernte ich viele Politiker kennen und ich wurde angefragt, ob ich nicht Oberbürgermeister werden will. Die Hanse- und Universitätsstadt Rostock ist dieses Jahr 800 Jahre alt geworden. Da fragt man sich schon, wie die nächsten 800 Jahre werden und wie ich mich in diese Entwicklung als Vater, als Unternehmer und als Bürger einbringen könnte. Das hat mich gereizt. Im Wahlkampf bin ich mit meinem Fahrrad durch die Stadt gefahren und habe mit möglichst vielen Menschen gesprochen und sie gefragt, was sie in Rostock verändern würden. Ich war überrascht, wie die Menschen sich wunderten, als ich auf sie zuging und ihnen zuhörte. Ich würde also sagen: man braucht grosse Ohren und einen kleinen Mund.
Wie würden Sie Rostock einem Schweizer beschreiben?
Als die schönste Stadt der Welt! Im Ernst: Wir haben hier einen grossen, weiten Sandstrand. Im Sommer, mit Eisdielen und Sonne, ist er sehr einladend. Im Winter, wenn Wind und Wellen peitschen, verkörpert er den rauen Norden. Er hat also beide Gesichter, das warme, offene, und das nordische, kühle. Das ist wunderbar. Wir haben auch einen Fluss, der durch die Stadt fliesst. Nicht zu vergessen die viele Grünfläche und der grosse Wald. Die Stadt hat eine reiche Geschichte, was uns schöne alte Backstein- und Speicherhäuser beschert. Dazu kommt unsere Uni, die älteste in Nordeuropa. Rund 14 000 Studierende lernen hier. Wir sind eine Hansestadt mit starker Maritimindustrie, haben aber auch führende Unternehmen in jüngeren Branchen wie der Biomedizin. Rostock verbindet Tradition und Moderne und ist mit dem Hafen seit jeher weltoffen. Dafür bin ich als ausländischer Oberbürgermeister der beste Beweis. Die Menschen interessiert es nicht, woher ich komme, sondern für was ich stehe. Das ist typisch hanseatisch.
Sie haben die touristischen Highlights, erwähnt. Welche Ideen haben Sie für den Tourismus in Rostock und Mecklenburg-Vorpommern?
Wir wollen bei ökologischen Themen Vorreiter werden. Gerade haben wir einen Klima-Notfallplan aufgesetzt. Wir geben uns 99 Tage, um konkrete Massnahmen für den Schutz des Klimas vorzustellen. Das betrifft auch den Tourismus. Geplant ist, am Hafen eine Landstrom-Anlage für Kreuzfahrtschiffe zu bauen. Wenn die Menschen Kreuzfahrten machen wollen, müssen wir eine ökologische Infrastruktur zur Verfügung stellen. Das gilt ganz allgemein: Ich glaube nicht an Verbote, aber an die Schaffung von guten ökologischen Angeboten. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, aus Rostock eine plastikfreie Stadt zu machen. Ich hoffe, die Hotels werden mitziehen in unserem Bestreben, Vorreiter zu werden. Sodass wir unseren Besuchern bald einen möglichst grünen Urlaub ermöglichen können.
Sollte der Direktflug, den es eine Zeit lang zwischen Rostock und Zürich gab, trotzdem wieder aufgenommen werden?
Unbedingt! Ökologie wird für uns ein Hauptthema sein, aber wir müssen verstehen, dass es auch notwendigen Verkehr gibt. Die Verbindung nach Zürich ist vor allem für Geschäftsreisende wichtig. Die Frage ist, wie man möglichst anständig damit umgehen kann. Es braucht Angebote. Da bin ich sehr dänisch geprägt. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, nicht zu übertreiben.
Sie sind bei Kopenhagen und an der Nordseeküste aufgewachsen. Wie hat Sie das sonst noch geprägt?
Als ich 13 war, zogen wir von Kopenhagen in ein kleines Dorf an der Küste mit 12 Einwohnern – uns mitgezählt. Das war schon hart. Ich ging dann auf ein Internat. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen. Ich denke, ohne diesen Schritt wäre ich mit zwanzig Jahren nicht nach Essen losgezogen – und damit wohl auch nicht in Rostock gelandet.
Was bedeutet Reisen für Sie?
Reisen bildet. Wenn man vieles gesehen hat, kann man die Welt besser verstehen. Man kommt mit Erinnerungen nach Hause, aber immer auch mit Inspiration.
Was haben Sie immer im Koffer, wenn Sie unterwegs sind?
Ich habe einen Schuhtick, darum reise ich auch mit relativ vielen Schuhen. Nie dabei habe ich Badelatschen. Die kann ich auch im Urlaub nicht ausstehen.
Was sind Ihre schönsten Ferienerinnerungen?
Dazu gehören sicher meine Rennradtouren. In der Schweiz über den Gotthard zum Beispiel. Ich liebe die Schweiz und ihre Berge. Obwohl ich sagen muss, dass der Gotthard mit dem Rad echt fies ist. Ansonsten freue ich mich immer über den Moment, wenn ich mit meiner Familie irgendwo in einer Seitengasse ein tolles Restaurant entdecke.
Sie haben eine Möbelhauskette aufgebaut, aber auch die Firma Mobilson, die Wohnmobile vermietet, gegründet. Bevorzugen Sie den Camper einem Fünf-Sterne-Hotel?
Ich mag beides und am liebsten die Abwechslung. Nur bei Airbnb bin ich noch skeptisch. Ich finde es eine seltsame Vorstellung, bei Herrn Meier im Wohnzimmer zu sitzen, aber ohne Herr Meier.
Interview Stefanie Schnelli
Bild Ecki Raff
Zur Person:
Der sympathische Däne Claus Ruhe Madsen wurde im September 2019 als parteiloser Einzelkandidat mit 57 Prozent der Stimmen zum neuen Oberbürgermeister von Rostock gewählt. Madsen kam 1972 in Kopenhagen zur Welt und wuchs nahe der Hauptstadt sowie an der dänischen Nordseeküste auf. Nach dem Schulabschluss zog er als 20-Jähriger ins deutsche Ruhrgebiet, um ein Auslandjahr zu absolvieren. Er blieb in Deutschland und lebt nun seit 21 Jahren in Rostock. Madsen ist verheiratet und hat eine Tochter. Vor seiner Wahl war er Chef einer Möbelhauskette und Präsident der Industrie- und Handelskammer Rostock.