Herr Staub, fliegen Sie privat in die Ferien oder bleiben Sie in Ihrer Freizeit lieber auf dem Boden?
Walter Staub: Tatsächlich bin ich wirklich manchmal froh, einfach zu Hause zu sein und Boden unter den Füssen zu haben (lacht). Als unsere Kinder klein waren, wollte ich sie nicht in einen Flieger drängen. Dafür hatte ich schon zu viele gestresste Eltern gesehen. Aber inzwischen sind wir auch privat wieder öfter mit dem Flugzeug unterwegs.
Sind Sie dann wie eine Art Beifahrer und prüfen insgeheim, wie gut der Pilot startet und landet?
Nein, ich kann mich entspannen. Natürlich würde mir auffallen, wenn etwas nicht ganz rund läuft, und ich denke auch mit. Aber grundsätzlich ist es ein ganz anderes Gefühl, hinten in der Kabine zu sitzen wie vorne im Cockpit. Was ich immer mache: Ich stelle mich dem Maître de Cabine vor, damit er weiss, dass sozusagen noch ein Extrapilot an Bord ist.
Können Sie sich an Ihren ersten Flug als Linienpilot erinnern?
Ja, ich glaube, das kann jeder Pilot. Das ist ein sehr intensives Erlebnis und mit sehr viel Respekt vor der Verantwortung für die Passagiere verbunden. Mein erster Linienflug führte nach Wien. Ich war angespannt und hoch konzentriert. Bis der Captain mir sagte, ich soll einmal die Alpen anschauen. Es war Sonnenuntergang, eine wunderschöne Stimmung. Das löste ein grosses Glücksgefühl und ein bisschen Entspannung in mir aus. Heute erinnere ich selber junge Co-Piloten daran, trotz all der Daten und technischen Details einmal mit dem Auge für das Schöne aus dem Fenster zu schauen.
Sie fliegen seit mehr als zwanzig Jahren. Hatten Sie schon schwierige Situationen in der Luft?
Ich hatte ziemlich am Anfang meiner Karriere einmal einen Druckabfall in der Kabine. Die Piloten müssen das Flugzeug in einem solchen Fall so rasch wie möglich auf eine Höhe bringen, auf welcher der Druck kein Problem darstellt, also auf rund 3000 Meter über Meer. Wenn ein Druckabfall eintritt, wird also sofort ein ungewohnt steiler Sinkflug eingeleitet. Für die Passagiere in der Kabine ist diese Situation höchst unangenehm. Zuerst fallen die Sauerstoff-Masken von der Decke, dann sinkt auch noch das Flugzeug mit der Nase voran. Aber an sich ist das Manöver nicht gefährlich.
Wie beruhigen Sie jemanden mit Flugangst?
Das Gefährlichste am Fliegen ist die Reise mit dem Bus oder Auto zum Flughafen. Das klingt abgedroschen, entspricht aber der Realität. SWISS bietet Flugangst-Kurse an. Man versucht, den Passagieren die Geräusche und die technischen Details zu erklären. Turbulenzen beispielsweise, sind zwar unangenehm für die Passagie- re, aber absolut ungefährlich. Zudem wird die Technik immer besser und Piloten werden laufend geschult. Wir sind alle sechs Monate im Simulator, spielen unterschiedliche Situationen durch und üben Manöver. Vor rund einem Jahr hat SWISS zusätzlich zu allen anderen Sicherheitsvorkehrungen den Mission Support eingeführt. Das bedeutet, wir sind während des gesamten Fluges auch mit dem Operation Center in Zürich in Kontakt. Das Team dort berät uns, schaut beim Wetter mit und ist als Ansprechpartner da. Das zeigt, dass auch beim Thema Sicherheit ständig dazugelernt und modernisiert wird. Aber ich weiss, dass jemand mit Flugangst, über den Verstand oft schwierig zu beruhigen ist. Meist hilft vor allem Routine, also oft zu fliegen.
Was fasziniert Sie bis heute an ihrem Beruf als Pilot?
Vieles! Da sind zum einen natürlich die Flugzeuge, die Technik. Bedenken Sie, wir fliegen erst mit der vierten Generation von Flugzeugen. 1903 schafften es die Brüder Wright zum ersten Mal, mit einer Maschine für rund hundert Meter vom Boden abzuheben. Heute fliegen wir mit einer Boeing 777 rund 340 Passagiere über den halben Globus. Es ist unglaublich, welche Fortschritte in dieser kurzen Zeit erzielt wurden. Zudem ist der Start auch nach mehr als zwanzig Jahren immer noch ein absolut magischer Moment. Auch während eines Fluges erleben wir unzählige schöne Augenblicke. Wir haben eine perfekte Aussicht. Und es bleibt phänomenal, immer wieder andere Länder und andere Sitten kennenzulernen und in fremde Kulturen und Landschaften eintauchen zu können. Ich geniesse das sehr, auch wenn das Bild falsch ist, dass wir vor Ort Ferien machen.
Wie verbringen Sie die Tage vor Ort?
Vor Ort hat die Erholung und Vorbereitung auf den nächsten Flug die höchste Priorität, damit wir wieder ausgeruht und fit ins Cockpit steigen. Aber natürlich bleibt da zwischendurch auch Zeit, sich kulturell und kulinarisch umzuschauen und das Angebot zu geniessen. Das ist ebenfalls ein wichtiger Teil der Faszination an der Fliegerei: fremde Kulturen und Sitten hautnah erleben zu dürfen.
Welche Destinationen würden Sie sich auf dem SWISS-Streckennetz noch wünschen?
Rio de Janeiro wäre toll, aber auch Alaska, Toronto und Vancouver. Nach Alaska flog Swissair übrigens früher. Privat würde ich gerne nach Australien reisen. Das heben meine Frau und ich uns noch auf.
Was haben Sie auf Reisen immer dabei?
Nichts Spezielles. Aber ich packe meinen Koffer nie ganz aus. Er wird auch zu Hause nicht weggeräumt.
Interview: Stefanie Schnelli
ZUR PERSON
Walter Staub, 51 Jahre alt, bezeichnet sich als «Spätzünder», was seinen Beruf als Pilot betrifft. Lange hatte ihn vor allem die technische Seite der Airlinebranche fasziniert. Staub hat Elektrik-Ingenieur studiert und bei SR Technics gearbeitet, unter anderem bei der Einführung der MD-11. Ein Kollege, der mit Staub in der gleichen Klasse zum Elektro-Ingenieur HTL sass, hat ihn eines Tages zu einem Informationsanlass für die Pilotenausbildung überredet. Dort hat es Staub den Ärmel reingezogen und er hat ohne Erfahrung im Fliegen von Privatflugzeugen die Pilotenschule absolviert. 1994 begann er bei Swissair als Pilot zu arbeiten, heute ist er Captain auf Langstreckenflügen von SWISS.