Ein hartes alpines Stelldichein, das die Tradition der Schweizer Velomanufaktur und die Leiden der Tour-de-Suisse-Berghelden hochhält – das ist das Vintage-Velo-Festival Bergkönig in Gstaad.
Bergkönig – das ist eine respekterheischende Affiche. Liegt ja auf der Hand für ein Rennen in den Bergen. Ein Rennen soll es aber gar nicht sein. Es wird weder die Zeit gestoppt noch gibt es eine Rangliste. Vielmehr war das erste Schweizer Vintage-Velo-Festival in Gstaad im Berner Oberland ursprünglich als «touristisch-historische Ausfahrt» gedacht. Von wegen: Die grosse Bergkönig-Runde mit 115 km und 2800 Höhenmetern, die es auf kleinen Bergstrassen gespickt mit Schlaglöchern, Schotterpassagen und vielen Kuhfladen zu meistern gilt, ist definitiv mehr als ein Sonntagsspaziergang für Vintage-Liebhaber – mit den alten Rädern gleicht die Herausforderung einem Rennen. Erst recht bei einer Austragung wie im vergangenen Jahr, als es auf den Pässen schneite.
Die kommende vierte Austragung Ende August 2020 legt nun mit der neuen Top-Runde «Le Fou!» noch einen ziemlichen Zacken zu. Nomen est omen: 170 km und 5000 Höhenmeter; Verhältnis Genuss/Leiden gleich 0/100 … Damit kann der Bergkönig definitiv das Prädikat «Härteste Strecke an einem Vintagerennen» für sich beanspruchen. Er ist sogar noch strenger als die härteste Etappe bei L’Eroica (210 km/3000 Hm) in der Toskana, die auch für den Bergkönig Vorbild war.
Es ist aber das Credo dieser Vintage-Veranstaltung, dass nicht nur durchtrainierte Gümmeler ihren Spass haben, sondern auch genussorientierte Stilradler. Für sie gibt es seit Anbeginn vier «Pédaleur de Charme»-Runden zu je rund 20 km mit überschaubaren Steigungen rund um Gstaad. «Beim Bergkönig geht es darum, Radsport und Radfahren, grosse Velomarken und Velonamen, alte Zeiten und Geschichten zu feiern sowie traumhafte Aussichten und regionale Spezialitäten zu geniessen – und das alles mit möglichst viel Stil», bringt Alex Beeler, der den Anlass mit seiner Frau Franziska initiierte, die Philosophie des Bergkönigs auf den Punkt.
Stilechtheit wird belohnt
Beeler hat eine Affinität für alte Rennräder, er besitzt eine ganze Oldtimer-Sammlung. Als Veranstalter von Vintage-Autorennen bringt er auch die nötige organisatorische Erfahrung mit. Wieso um Himmels willen aber findet ein gediegenes Nostalgietreffen ausgerechnet mitten in einer herausfordernden Bergtopografie statt? Erstens als Hommage an die legendären Bergkönige der Tour de Suisse, und zweitens, weil die Tourismusorganisationen der befahrenen Gemeinden tatkräftige Unterstützung bieten. Gstaad gehört zu den wenigen Schweizer Alpen-Destinationen, die nicht nur für Mountainbiker, sondern gerade auch für Rennradler ein prächtiges Routennetz geschaffen haben; das «Roadbook» fasst die zehn schönsten Touren in der Region zusammen. Last, but not least bietet die berühmte Nobeldestination auch die nötige Grandezza: Am Samstag findet als Prolog ein kurzer Sprint zum Luxushotel Park statt, wo die Teilnehmer zu einem gediegenen Garden-Apéro und zum Besuch des Concours d’Elegance, einer Ausstellung von zwei Dutzend exklusiven Sammler-Rädern, geladen sind.
Am Sonntagmorgen gilt es dann schon ernster: Eine versierte Jury beurteilt vor dem Start Räder und Fahrer nach Details und Gesamtbild – und ob überhaupt die Stilechtheit gewahrt ist. Der Bergkönig hat ja auch ein halbes «Regelwerk» erstellt, was echt Vintage sei, und was nicht – Schaltungen, Bremsen, Sattel, Räder und Rahmen; Deadline ist 1989. Weil die besten Vintage-Styles mit Pokalen prämiert werden, lassen sich die kleinen Bergkönige nicht lumpen und haben sich in die alten (oder auf alt gemachten) Wollsäcke gestürzt, Würstlihelme übergestülpt und Collés umgebunden – ganz wie zu guten alten Zeiten. Bei den Pédaleurs de Charme findet man Sturmey-Archer-3-Gangschaltungen, Rockschutz, Segeltuchsaccochen oder sogar Karbidlampen und Anhänger. Aber klar, Hauptblickfang sind die Räder – an diesem einzigen Schweizer Vintage-Velo-Festival natürlich vor allem altgediente heimische Renner. Da tauchen nicht nur jahrzehntealte Allegros, Cilos, Condors, Gerbers, Mondias und Titans aus der Versenkung auf, sondern auch rare Preziosen völlig vergessener Manufakturen. Schliesslich soll es im letzten Jahrhundert über 700 helvetische Velomarken gegeben haben!
Um dem Anlass auch punkto Teilnehmer entsprechenden Glanz zu verleihen, sind einige Cracks aus den siebziger bis neunziger Jahren geladen, etwa die Sprinterkönige und Weltmeister Urs Freuler und Gilbert Glaus, Paris-Roubaix-Held Thomas Wegmüller oder Lüttich-Bastogne-Lüttich-Sieger Sepp Fuchs. Die Oldies dürfen sogar in einer eigenen gemächlichen Legendenrunde starten.
Hobelkäse und Mehlrost statt Energieriegel
Ihnen wie natürlich auch den Pédaleurs de Charme verschaffen die über ein Dutzend Verköstigungsposten unterwegs willkommene Kunstpausen. Sie bieten Gelegenheit, sich mit überraschenden Produkten von örtlichen Bauernhöfen und Alpen zu stärken, etwa Graswürmleni oder Mehlrost (mit Zucker und Konfitüre gebackenes Mehl). Diese hiesigen Spezialitäten sättigen mindestens so sehr wie Energieriegel, munden aber viel leckerer. Oberhalb von Gstaad lockt gar die Möglichkeit, in einem ehemaligen Wasserreservoir einen veritablen Käsekeller zu besuchen. Und wer noch etwas Appetit ins Ziel bringt, darf sich dort an Raclette à discrétion gütlich tun. Bis zur Prämierung bleibt Zeit, im Vintage-Velo-Markt nach raren Edelteilen zu stöbern. Ganz verstohlen wagen einige Zaungäste mit Carbon-Rennern einen Blick in diese auferstandene Leder-Stahl-Wolle-Ära. Eine wunderliche Welt für sie.
Text und Foto: Peter Hummel
Gut zu Wissen
Italienische Velos testen: Im Vorfeld zum Bergkönig können in Gstaad vom 17. bis 25. Juli Italo-Traumräder von Bianchi, Colnago, Wilier, Pinarello und Passoni getestet werden. Dazu gibt es täglich eine geführte Ausfahrt mit Franco Marvulli oder Steve Morabito. Organisiert wird die Testwoche vom Park Gstaad, für Hotelgäste kostenlos. Der Event ist aber auch offen für alle anderen, mit Tagesanmeldung. Am Wochenende vom 17. bis 19. gibt es zudem ein «Fast Female Cyclist Camp», geleitet von Marlen Reusser und Emma Pooley. biking-gstaad.ch
Bergkönig, die Strecke: Die Original-Bergkönig-Runde und die neue Maximalroute Le Fou! durchfährt das Grenzgebiet von Berner Oberland, Freiburger und Waadtländer Alpen. Die längste Strecke führt von Gstaad (1050 m) über den Saanenmöser (1279) – Zweisimmen (946) – Jaunpass (1508) – Jaun (1021) – Mittelbergpass (1633) – Saanen (1010) – Montbovon (796) – Lac de l’Hongrin (1257) – Pierre de Moëllé (1650) – Leysin (1252) – Le Sépey (975) – La Forclaz (1260) – Les Diablerets (1154) – Lac Retaud (1691) und den Col du Pillon (1546) zurück nach Gstaad.
Termin und Teilnahmeoptionen: 28. bis 30. August: Volles Programm: Freitag – Bergzeitfahren, Käse- und Weindegustation; Samstag – Sprint und Aperitif im Park Gstaad; Sonntag – Ausfahrt auf Strecke nach Wahl; 179 CHF. Nur Wochenende: 139 CHF. bergkoenig-gstaad.com
Die Velos: Der Bergkönig kennt fünf Radkategorien:
Kat. 1, vor 1932: Keine Schaltung, keine oder antike Bremsen.
Kat. 2, 1932–1949: Frühe Schaltungen wie Simplex mit 3 oder 4 Gängen.
Kat. 3, 1950–1966: Schaltungen 2 × 5, meist noch verkeilte Kurbeln.
Kat. 4, 1967–1983: Aluminiumrahmen und erste Japan-Komponenten.
Kat. 5, 1984–1989: Erste Hightechteile wie Klickpedale, innen geführte Kabel. Zugelassen sind auch die original Ordonnanzfahrräder (1- oder 7-Gang).
Roadbook Gstaad: 1950 gewann der mehrfache Tour-de-Suisse-Sieger Hugo Koblet, genannt «Pédaleur de Charme», die Etappe von Lausanne nach Gstaad. Seither ist der Rennradsport fest in der Destination verankert. Gstaad ist immer noch ein Geheimtipp für Rennradler und bietet abwechslungsreiche Touren- und Trainingsmöglichkeiten. gstaad.ch/sommer/bike/rennrad-routen