Die Gallery of Modern Art in Brisbane hat ihre bisher grösste Ausstellung zeitgenössischer indigener Kunst eröffnet. Über 300 moderne Werke von Aborigines und Torres-Strait-Insulanern werden ausgestellt. Ein Kunstschatz mit uralter Tradition in Australien.
Künstler gelten als Sprachrohre der Gesellschaft. Sie können Botschafter sein, Mahner und Erzähler. In Australien tragen Kunstschaffende mit indigenen Wurzeln ein ganz besonderes Erbe. Die Kunst der Ureinwohner des Fünften Kontinentes – der Aborigines auf dem Festland und der Torres-Strait-Insulaner auf den Inseln zwischen Queensland und Papua-Neuguinea – gilt als älteste kontinuierliche Kunsttradition der Welt. Ihr Anfang liegt wahrscheinlich rund 50 000 Jahre zurück, in Felsmalereien.
Bis heute spielt die Kunst eine wichtige Rolle in der Kultur der Ureinwohner. Mehr noch, sie vertritt die verschiedenen Urvölker Australiens weit über die Landesgrenzen hinaus. Sowohl die alten Felsmalereien wie auch Werke viel neueren Datums, beispielsweise mit typischer Punktmalerei, haben weltweite Anerkennung gewonnen. Der renommierte Kunstkritiker des Time-Magazins, Robert Hughes, bezeichnete die Kunst der Aborigines als die letzte grosse Kunstbewegung im 20. Jahrhundert. Kein Wunder also, dass viele Werke indigener Künstler in grossen öffentlichen und privaten Sammlungen in Australien und auch international präsent sind.
Nun haben wichtige Vertreter der Aborigine-Kunst ein Heimspiel: Mit «My Country, I still call Australia Home: Contemporary Art from Black Australia» zeigt die Gallery of Modern Art (GoMA) in Brisbane an der Ostküste Australiens zurzeit ihre bisher grösste Ausstellung indigener, zeitgenössischer Kunst. 115 Aborigine-Künstler und Torres-Strait-Insulaner präsentieren ihre Werke. Insgesamt gibt es für die Besucher mehr als 300 Arbeiten zu sehen. Es sind Assoziationen zur Heimat, von einer wichtigen Minderheit in Australien, die rund 2,5 Prozent der Bevölkerung ausmacht.
Der eigene Blick auf die kulturelle Vergangenheit
Die Ausstellung umfasst Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Fotos, Kurzfilme und Installationen, aufgeteilt in drei Themenbereiche. In «My history» ist Warwick Thorntons «Stranded» zu finden, ein Video, für das sich der Künstler an ein leuchtendes, schwebendes Kreuz fesseln liess und damit auf den Kontrast zwischen dem Christentum und der Religion der Ureinwohner aufmerksam machen will. Ein Bild von Joan Nancy Stokes stellt dar, wie sich ihr Vater und ihr Grossvater während dem Massaker am Warrumuungu-Volk in einem Busch versteckten und überlebten. Ein Werk von Irene Entata wiederum blickt auf die Tage der Missionierung zurück.
Im zweiten Teil, «My life», thematisieren die Künstler Geschehnisse der Politik und drängende Fragen zur Existenz der Aborigines im heutigen Alltag. «My country» zeigt ergänzend eine Auswahl von Interpretationen des Landes selbst. Herzstück sind dabei Bilder von 25 Künstlern, die an der Decke der Grossen Galerie hängen und den verschiedenen Aborigine-Stämmen gewidmet sind. Sie lesen sich wie eine Stammeskarte der Ureinwohner.
Zwei Werke, die Installationen von Megan Cope sowie ein überdimensionales abstraktes Kunstwerk von Reko Rennie in der Eingangshalle, wurden eigens für die Ausstellung geschaffen. Für Kinder hat der in Brisbane wohnhafte Künstler Gordon Hookey zusammen mit dem Children’s Art Center der Galerie ausserdem eine grosse, interaktive Ausstellung mit dem Titel «Kangaroo Crew» entwickelt. Zwei zusätzliche Ausstellungen, «Death and life: Rakuny Ga Walnga» und «Voice and Reason», ergänzen das Programm perfekt. Insgesamt sind so bis Oktober rund 70 Prozent der Fläche der Gallery of Modern Art in Brisbane der Arbeit von Ureinwohnern gewidmet. Ihre Werke sind oft beeinflusst vom Stil ihrer Vorfahren.
Geschichte in Form von Kunst
Vor Jahrtausenden haben die verschiedenen Stämme der Aborigines und der Torres-Strait-Insulaner ihre Geschichten und ihre Kultur durch Felsmalereien, Rituale, Lieder, heilige Objekte und Totems übermittelt und am Leben erhalten. Sich den Kunstformen heute anzunehmen, schafft eine Vorstellung vom Leben von damals und erklärt die Entstehungsgeschichte der Landschaft, der Tiere und Pflanzen, wie sie die Aborigines sehen. Abgebildet wurden früher vor allem Handabdrücke, Tiere, Menschen und Geister. In jüngeren Zeichnungen sind aber auch erste Begegnungen mit Händlern, Flugzeuge und Kriegsschiffe zu entdecken.
Historische Zeugen in ganz Australien
In ganz Australien lassen sich Tausende solcher Felsmalereien finden, die viel älter sind als die ägyptischen Pyramiden. Einige der eindrücklichsten Werke sind in Nordaustralien, in den Regionen Kimberley und Arnhem Land, anzutreffen. Viele der bemalten Höhlen und Felsen liegen heute in Nationalparks. Aber auch nur einen Katzensprung von den grossen Städten entfernt trifft man auf Felsmalereien, wie zum Beispiel im Royal National Park in Sydney.
Doch nicht nur Felsen haben der indigenen Bevölkerung als Unterlage gedient. Sie haben auch auf Baumrinde gemalt, in Stein geritzt, auf Sand und Stoff gezeichnet und ihre Körper bemalt. Um diese uralte Kunsttradition zu entdecken, gibt es ein breites touristisches Angebot im ganzen Land. In Kulturzentren und Museen, Kunstgalerien und Nationalparks sowie an Festivals kann man als Besucher alleine auf Entdeckungsreise gehen. Lohnenswert ist aber sicher eine Tour mit Guide und speziell schön ist sie mit einem Aborigine-Guide, der die Kunstwerke seiner Vorfahren aus seiner Sicht erklären kann. Tourism Australia hat dazu zusammen mit Indigenous Business Australia ein Programm ins Leben gerufen, um Touren von Aborigines zu fördern und einen gewissen Standard zu garantieren. Ein Muss, um das Land richtig kennenzulernen – nicht nur für Kunstliebhaber!
Von Stefanie Schnelli, Bilder Gallery of Modern Art Brisbane / Tourism Australia