50 originale Ming-Häuser wurden zerlegt und 700 Kilometer weiter, vor den Toren Shanghais, akribisch wieder aufgebaut: die unglaubliche Geschichte des Amanyangyun-Resorts.
2002 in dem kleinen Ort Fuzhou in der südchinesischen Provinz Jiangxi, rund 700 Kilometer südwestlich von Shanghai: Die chinesische Regierung hatte entschieden, in der Provinz einen Staudamm für ein Wasserreservoir zu bauen. Die Menschen werden umgesiedelt, die Häuser geflutet, der Wald abgeholzt. Damals war eine solche Regierungsentscheidung wie in Stein gemeisselt. Niemand machte sich viele Gedanken über die Konsequenzen für die lokale Bevölkerung, die Kultur, die Umwelt.
In jenem Sommer 2002 besuchte Ma Dadong seine Heimat Jiangxi. Er freute sich auf seine Eltern, aufs Schwimmen im See und – endlich wieder einmal – auf das scharfe Essen seiner Kindheit. Schon mit 22 Jahren ging er von Fuzhou nach Shanghai und machte mit Immobilien und Vermögensberatung Unmengen von Geld – in knapp sieben Jahren. Kurz vor diesem Sommerbesuch hatte er seinen 29. Geburtstag gefeiert. Es gab Umarmungen, das Bad im See und das leckere scharfe Essen, aber es gab auch den Regierungsbeschluss. Ma Dadong sah, wie die ersten Bäume geschlagen wurden. «Ich war schockiert, ich war traurig», erinnert sich Ma heute, «und ich wollte sofort etwas unternehmen.» Mas Geschäfte in Shanghai liefen bestens und so entschied er sich, ein für eine Privatperson schier unglaubliches Unterfangen zu wagen: Er wollte die 50 Häuser seines Dorfes, alle aus der Ming- und Qing-Dynastie und damit 400 bis 500 Jahre alt, sowie 10 000 Kampferbäume umsiedeln und retten. Kampferbäume werden in der chinesischen Kultur als heilig betrachtet und gelten als von Gottheiten bewohnt. Sie können mehr als 2000 Jahre alt werden. «Ich hatte keine Ahnung, wie viel Geld mich das alles kosten würde», erzählt er weiter. «Botaniker warnten mich, die Bäume würden das Verpflanzen und den langen Transport nicht überleben.»
Neues Heim für 80-Tonnen-Baum
Doch Ma hatte vor den Toren von Shanghai Land mit einem See wie zu Hause, und dort wollte er die Bäume wieder einpflanzen: 10 000 Bäume, die er dem Staat abkaufen musste. Jeder Einzelne wurde mit möglichst viel heimischer Erde an den Wurzeln auf einen Lastwagen verladen. Darunter der alleine 80 Tonnen schwere Emperor Tree, 17 Meter hoch und weit mehr als 1500 Jahre alt. Selbst die kleineren Bäume wogen schon um die zehn bis zwölf Tonnen. Ma wagte das Risiko und die verrückte Idee wurde mehr und mehr zu einem millionenschweren Unterfangen: Es erforderte zunächst den Bau von zehn Brücken und Strassen, damit die schweren Lastwagen von seinem Dorf überhaupt auf die grosse Hauptstrasse nach Shanghai gelangen konnten. Jede Fuhre der hundert eingesetzten Lkw dauerte mit Ver- und Abladen sowie der rund 700 Kilometer langen Reise alles in allem zwei bis drei Tage. Zehn Unfälle passierten. Und trotzdem: «Ich hoffte für jeden Baum. Jeder sollte nochmals 500 oder tausend Jahre leben können», sagte Ma und schaffte das fast Unmögliche: Wider allen Befürchtungen überlebten 8000 der 10 000 transportierten Kampferbäume, die in ihrer neuen Heimat in exakt der gleichen Richtung eingepflanzt wurden wie am ehemaligen Standort.
2009 treffen sich in Shanghai zwei Männer. Ma Dadong und Adrian Zecha, damals noch Inhaber der exquisiten Aman-Resorts, der 1988 das «Amanpuri» im thailändischen Phuket eröffnete und die Resort-Hotellerie neu definierte sowie Massstäbe setzte, an denen sich bis heute alle messen (lassen müssen). Das «Amanpuri» war das erste Resort, in dem traditionelle Bauelemente auf moderne Formen und Lifestyle trafen. Adrian hörte von Mas spektakulärem Umzug. Wenn zwei Visionäre aufeinandertreffen, entsteht auch etwas Konkretes daraus. Das Ergebnis heisst «Amanyangyun», das 31. Aman-Resort weltweit und das vierte in China.
Antike Reliefs und modernes Design
Und jetzt steht man da – und träumt ein wenig: Gibt es das alles wirklich? Wer kneift einen, damit man endgültig weiss, dass alles wahr ist? Ma hat sein Projekt mit Erfolg durchgezogen und Adrians Architekten haben ein Resort geschaffen, das spielend 500 Jahre harmonisch miteinander verbindet. In der Mitte der Anlage steht der Emperor Tree mit seinen 1500 Jahren, geschmückt mit roter Schleife. Jeder Gast gibt ihm Wasser – noch vor dem Check-in. In dem zehn Hektar grossen Refugium mit den 8000 Kampferbäumen aus Fuzhou können die Gäste nun in 13 der antiken Häuser wohnen. Ming- sowie Contemporary Design sind stilsicher aufeinander abgestimmt. Antike Bausubstanz trifft auf zeitgemässe Strukturen. Aussen schmücken alte Reliefs, Ornamente und Inschriften. So tauchen Brunnen-Reliefs aus der Ming-Epoche im Aman in ganzer Pracht wieder auf: Wurden sie doch zum Schutz vor Zerstörung während der Kulturrevolution unter einer Lehmmasse versteckt. Im Inneren der Villen lodert ein Kamin, verführt eine Bibliothek, denn der Fernseher ist versenkbar und die freistehende Badewanne der beste Platz für ein gutes Buch. Granit, Glas, Holz, Bambus, erdig, graue Töne dominieren. Und fünf Köche aus der Jiangxi-Region sorgen für die authentischen, scharfen Speisen aus Mas Heimat.
Eröffnet wurde das Resort Amanyangyun im Januar. Die ersten Wochen sind ausgebucht. «Amanjunkies», wie sich die Stammgäste gerne selbst nennen, hatten schon lange im Voraus reserviert, um zu den ersten Gästen zu gehören im Ming-Aman, 27 Kilometer vor den Toren von Shanghai.
Von Jochen Müssig
GUT ZU WISSEN
Anreise: Swiss fliegt direkt von Zürich nach Shanghai. swiss.com Für die Einreise nach China ist ein Visum erforderlich.
Informationen und Buchungen: tourasia.ch