Cornwall ist bekannt für seine Schlösser, Küsten, Fischerdörfer – und als Schauplatz leidenschaftlicher Romane. Biker und Wanderer können die südenglische Grafschaft mit allen Sinnen geniessen.
Da Pilchers gefühlvolle Sittengemälde über blaublütiges Lieben und Leiden, Herzschmerz und Leidenschaft meist in Cornwall spielen – mittlerweile wurden über 100 Pilcher-Filme gedreht –, fühlt man sich unweigerlich in ihre Schnulzen versetzt, sobald man entlang der wildromantischen Küsten wandert, pittoreske Fischerdörfer durchstreift, nach Antiquitäten stöbert oder ehrfurchtsvoll vor Herrenhäusern und Schlössern steht. Immerhin kommen mittlerweile pro Jahr gegen fünf Millionen Touristen, und zehn Prozent der Bevölkerung finden im Fremdenverkehr ihr Auskommen. In jedem dritten Haushalt lebt ein Familienmitglied, das in der Gastronomie oder Hotellerie arbeitet. Der Tourismus ist hochwillkommen, denn die vormals blühende Minenindustrie ist verschwunden und die Fischereiindustrie am Boden. Einzelne ausrangierte Hochkamine der im Norden gelegenen Zinnminen ragen wie Denkmäler in den Himmel.
Lauwarmes Bier und junger Wein
Cornwall als eine der einst reichsten Regionen des Vereinigten Königreichs erfindet sich deshalb neu. Die reichlich fliessenden Fördermillionen werden gezielt eingesetzt für erneuerbare Energien, Yachtbau, Teeplantagen, nachhaltige Landwirtschaft. Es ist gerade das Fehlen jeglicher Industrie,das den besonderen touristischen Reiz dieses County ausmacht. Keine hässlichen Industriezonen und Spekulationsbauten verschandeln die Landschaft. Stattdessen locken Postkartenidylle und unberührte Natur seltener Güte. Je öfter man unterwegs ist – zu Fuss oder als Biker –, umso intensiver packt einen der Reiz dieser Grafschaft. Das angenehm milde Klima lässt sich erklären durch den Golfstrom, der in verschwenderischen Gartenanlagen und Parks auch exotische Pflanzen zum Blühen bringt. Die salzgesättigte Meeresbrise sorgt für willkommene Abkühlung und regt den Appetit an. Besucht man ein Pub oder Gasthaus, ist man oft erstaunt über das meist deftige, aber schmackhafte Angebot, das alte Klischees über lausiges Essen in England Lügen straft. Das lauwarme Bier passt überraschend gut, und man staunt über die munter wachsende Palette an englischen Weinen, die ihr Entstehen einzig und allein der Klimaerwärmung verdanken.
Doch das stärkste Magnet Cornwalls ist und bleibt – trotz Fortschritten in Küche und Keller – die Natur. Geologische Gesteinsformationen in bizarrer Ausprägung, Sanddünen, zerklüftete Klippen, dramatisch coupiertes Gelände, riesige Wälder, ein türkisblaues Meer, das sich in sturmgepeitschten Phasen pechschwarz färbt: ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Und wenn man beispielsweise das Schlammdelta des Flusses Hayle besucht, freut man sich an diesem intakten Lebensraum unzähliger Vögel. Die Unversehrtheit ist der grösste Trumpf Cornwalls; eine Region, um zu sich selber zu finden.
Einmalige Ingredienzen
Da begreift man plötzlich, warum Rosamunde Pilcher ihre Traumgeschichten in dieser naturgegebenen Traumwelt ansiedelt. Kein Wunder, dass Schlösser und Herrenhäuser wie Champignons aus dem Boden wuchsen und sich die Aristokratie seit Jahrhunderten in Cornwall in Szene setzt, fasziniert von der eigenen Grandezza, dramatisch oszillierend zwischen Liebe und Hass, Helden und Schurken. Es ist dieser Stoff, aus dem die Träume sind; und Rosamunde Pilcher ist Meisterin im Mischen geheimnisvoller Ingredienzen und sinnlicher Düfte, die Cornwall so einmalig machen. Wandernd und vom Velosessel aus hat man die beste Sicht auf diese reale Traumwelt.
Text Werner Knecht